Aktienmärkte, Anleger

Worauf es nach dem Verfallstag ankommt

Worauf es nach dem Verfallstag ankommt
von Torsten Ewert

Sehr verehrte Leserinnen und Leser,

der Verfallstag ist vorüber (dazu gleich mehr), die Berichtssaison in vollem Gang. Doch die Blicke der Anleger richten sich nun auf die nächsten wichtigen Ereignisse: die bevorstehenden Meetings der großen Zentralbanken.

Eine kurze Verfallstagsnachlese

Bereits in dieser Woche tagt der EZB-Rat, in der kommenden Woche die Fed. Bis dahin könnten die Anleger trotz der ermutigenden Signale von den US-Börsen am Freitag in Deckung bleiben. Doch viel Zeit zum weiteren Ausruhen haben die Bullen nicht. Das liegt vor allem an der kritischen übergeordneten Chartlage.

Worauf es nun ankommt, erfahren Sie im Folgenden. Beginnen werde ich dabei mit einer kurzen Nachlese zum Verfallstag. Dazu zunächst das Update des DAX-Charts, den ich Ihnen in der Vorwoche im Vorfeld des Verfallstags präsentierte:

Abgerechnet wurde der DAX am Freitag zum Verfallstermin bei 12.597,69 Punkten. Das war sehr nahe am theoretisch optimalen Abrechnungskurs von 12.650 Punkten und nicht allzu weit entfernt vom „idealen“ Kursziel bei 12.500 Punkten, wo sowohl die größte Call- als auch die größte Put-Position neutralisiert worden wären.

Bewährungszeit für die Bullen

Insofern brachte der Verfallstag also wenig Überraschendes. Ungewöhnlich war allerdings, wie der DAX zu diesem Abrechnungsniveau gelangte: Nach dem kräftigen Kurssprung vom Dienstag, der den Kurs schon bis an den violett gestrichelten Widerstand bei 12.937 Punkten katapultierte, ging es kontinuierlich abwärts. Dabei vermied der DAX nahezu jeden Kontakt mit dem gelben Target.

Es sah zunächst so aus, als wollte er das Target von unten umrunden. Doch gestern schoss er doch noch nach oben (da er den Anstieg der US-Börsen vom Freitag nachholte) und erreichte das Target so einen Tag später. Damit hat er einen Rückfall in das graue Dreieck mit einiger Mühe abgewendet und die Chance zum Wiederanstieg genutzt. Der DAX hat außerdem die bearishen Signale der Kerzenmuster der Vorwoche neutralisiert.

Den Bullen bleibt nun womöglich eine längere Bewährungszeit erspart, in der sie nachweisen müssten, dass zwei Kursschübe im Oktober nicht nur Strohfeuer waren, sondern zumindest der Beginn einer nennenswerten Gegenbewegung sind. Durch den gestrigen Sprung über das Zwischenhoch vom Dienstag wurde der Anstieg immerhin formal fortgesetzt, auch wenn der Schlusskurs „nur“ auf Höhe des Dienstags-Hochs liegt. Nun müssen sie noch die weiteren Widerstände sowie das nächste Target bei 13.000 Punkten überwinden, auf das Sven Weisenhaus am Donnerstag aufmerksam gemacht hat.

Kommt von den US-Börsen Rückenwind?

Dabei haben die Bullen weiterhin Rückenwind von den US-Börsen, wo am Freitag womöglich schon der Befreiungsschlag gelang und die Kurse gestern neue Hochs erreichten. Besonders gut ist das im Dow Jones zu sehen:

Hier bildete der Kurs in den vergangenen Wochen eine perfekte Rechteckkonsolidierung (gelb), aus der er in der Vorwoche nach oben ausbrach. Dabei sah es zunächst nach einer Bullenfalle aus, denn wie im DAX bildeten sich dabei mehrere bearishe Kerzen (roter Bogen). Doch am Freitag schoss der Kurs mit einer klar bullishen Kerze nach oben, markierte ein neues Zwischenhoch und schloss in der Nähe seines Tageshochs.

Dabei überwand er sogar den wichtigen kurzfristigen Widerstand bei 31.000 Punkten (dicke blaue Linie), wenn auch nur knapp. Doch die Bullen legten gestern nach und trieben den Index an die Rechteckmittellinie. Dort konsolidiert er zwar zunächst, aber die neue Stärke der Aktienmärkte ist unübersehbar.

Der Anstieg sollte nun mindestens bis zur oberen roten Abwärtslinie weitergehen. Damit bliebe zwar der übergeordnete Aufwärtstrend noch intakt, aber immerhin gäbe es dann endlich die Gegenbewegung, die nach der anhaltend überverkauften Lage längst fällig ist.

Warum dieser Befreiungsschlag gelingen muss

Ein solcher Befreiungsschlag der Bullen ist aber auch bitter nötig. Der Dow Jones hat sich mit dem Anstieg seit der Vorwoche mittlerweile deutlich von dem Hoch vor dem Corona-Crash gelöst (dicke grüne Linie). Um dieses Niveau tobte zuletzt der Kampf zwischen Bären und Bullen, bei dem sich das gelbe Rechteck bildete. Nun sieht es zwar so aus, als sollten ihn die Bullen gewinnen, aber die Gefahr ist noch nicht ganz gebannt.

Denn im NYSE Composite (der in den USA viel beachtet wird) ist dieser Kampf noch nicht entschieden:

Quellen MarketMaker mit Daten von VWD, Barron’s, eigene Berechnungen

Hier hat sich der Kurs am Freitag gerade erst an das Vor-Covid-Top herangearbeitet. Ein neues Zwischenhoch wie beim Dow Jones gab es bis gestern ebenfalls nicht. Stattdessen ist hier der Kurs bisher nur dabei die kurzfristige, abwärts gerichtete Konsolidierung zu bestätigen (blaue Linien).

Darüber hinaus gibt es weiterhin Warnsignale von Marktbreite in Form einer Divergenz zwischen Kursverlauf und Advance/Decline-Linie (unterer Chartteil). Diese Divergenz ist potenziell bearish. Darauf hatte ich hier vor zwei Wochen bereits hingewiesen. Diese Divergenz hat sich in der Vorwoche auf kurzfristiger Ebene sogar verstärkt: Während der Schlusskurs vom Freitag über dem Schlusskurs vom Dienstag lag, blieb der Wert der A/D-Linie vom Freitag unter dem vom Dienstag.

Ist die Marktbreite nun bearish oder nicht?

Das bedeutet, dass eine große Anzahl Aktien fällt, während der Index steigt. Das ist nur möglich, wenn die Indexschwergewichte zulegen, aber kleinere Aktien weiter fallen. Das kann ein Hinweis darauf sein, dass auch der Markt insgesamt bald wieder fällt.

Allerdings zeigen Small und Mid Cap-Indizes gegenüber dem Gesamtmarkt eine relative Stärke. Das ist ein Hinweis, dass die Anleger wieder risikobereiter sind, was tendenziell bullish ist. Wie kommt es dennoch zu dieser Divergenz der A/D-Linie?

Nun, bei der Sektoranalyse zeigt sich, dass einige zahlenmäßig starke Sektoren, wie der Finanz- und der Tech-Sektor, zuletzt schwach waren, während dagegen Sektoren, die nur von relativ wenigen Aktien vertreten werden, wieder Auftrieb bekamen, z.B. der der Energie- und Rohstoffsektor.

Die schwache Marktbreite muss also kein bearishes Signal sein. Aber es kommt nun dennoch darauf an, dass auch der NYSE Composite die Gefahrenzone um sein Vor-Covid-Hoch nach oben verlässt. Dann ergäbe sich hier ebenfalls ein übergeordneter Fehlausbruch nach unten (Bärenfalle), was bullish wäre. Und dann dürfte auch der DAX weiter zulegen.

Und weil er das Niveau seines nächsten Targets bei 13.000 Punkten faktisch schon erreicht hat, könnte er es – bei einem weiteren Anstieg – statt wie erwartet von unten durch einen Rücksetzer von oben erreichen.

Mit besten Grüßen

Ihr Torsten Ewert

(Quelle: www.stockstreet.de)

@ ad-hoc-news.de | 25.10.22 09:44 Uhr