Aktienmärkte, Anleger

Die Börse ist zu fokussiert auf Zinssenkungen

Die Börse ist zu fokussiert auf Zinssenkungen
von Sven Weisenhaus

Laut Medienberichten sollen die Aktienkurse vorgestern noch einmal einen Satz nach oben gemacht haben, weil der Gouverneur der US-Notenbank, Christopher Waller, angedeutet habe, dass der Leitzins gesenkt werden könnte, wenn die Inflation noch einige Monate weiter zurückgeht. Zudem habe der Präsident der Chicagoer Fed, Austan Goolsbee, darauf hingewiesen, dass die Gesamtinflation so schnell zurückgeht wie seit den 1950er Jahren nicht mehr.

Keine neuen Erkenntnisse

In der Tat lässt sich ein klarer zeitlicher Zusammenhang feststellen. Ich frage mich allerdings, was an den Aussagen der beiden Fed-Mitglieder nun besonders bullish gewesen sein soll. Denn die Aussage Goolsbees ist lediglich die Feststellung einer offensichtlichen Entwicklung. Und dass der Leitzins gesenkt werden kann, wenn die Inflation weiter zurückgeht, wie es Waller formuliert hat, ist nun auch keine bahnbrechende Erkenntnis.

Fraglich ist zudem, auf welchen Zeitraum er sich konkret bezieht. Das wusste er selbst nicht so genau. Er wollte sich daher nicht auf eine Zeitspanne festlegen. So könnte es zum Beispiel auch im Mai des kommenden Jahres soweit sein. Die Märkte waren aber sowieso schon mehrheitlich davon ausgegangen, dass der Leitzins zu diesem Zeitpunkt erstmals wieder gesenkt wird. Und in einem Jahr soll die Fed Funds Rate, die sich aktuell in einer Spanne von 5,25 bis 5,50 % bewegt, nur noch bei 4,00 bis 4,25 % liegen, womit der überwiegende Teil der Anleger bereits von 4 Zinssenkungen ausgeht.


(Quelle: cmegroup.com)

Ich habe mir die vorgestrige Rede von Waller durchgelesen, die HIER abrufbar ist. Und diese ist nicht gerade von extrem viel Optimismus geprägt, dass die Arbeit der Fed bereits erledigt ist. Waller sieht zwar, dass die Geldpolitik wie erhofft wirkt, er ist sich aber keineswegs sicher, dass die Inflation das Ziel von 2 % zeitnah erreichen wird.

Positive Nachrichten werden gekauft, schlechte ignoriert

Dennoch stieg laut dem FedWatch-Tool der CME Group die Erwartung des Marktes, dass der Leitzins im Mai 2024 um mindestens 25 Basispunkte gesenkt wird, von rund 50 % vor den Äußerungen der Zentralbanker auf fast 63 %. Und das hat die Renditen am Anleihemarkt weiter nach unten gedrückt und zugleich die Aktienkurse weiter nach oben getrieben. Die negative Korrelation hält also an.

Für die Anleger unbedeutend war dabei die Aussage der Fed-Gouverneurin Michelle Bowman, die darauf hinwies, dass die Zentralbank wahrscheinlich die Kreditkosten weiter anheben muss, um die Inflation auf ihr 2 %-Ziel zu senken. Passend dazu hatte ich vorgestern bereits geschrieben, dass schlechte Nachrichten derzeit ignoriert und positive sofort für Käufe genutzt werden. Der Markt sucht sich eben derzeit die Informationen heraus, die zur Stimmung passen – und die ist eben derzeit extrem bullish.

Gute Zeiten, schlechte Zeiten

Teilweise ist mir das auch sehr Recht. Denn beim Börsenbrief „Börse-Intern Premium“ habe ich einige Long-Positionen im Depot. Und diese haben von der bullishen Stimmung massiv profitiert und ordentlich zugelegt. Erst vorgestern konnte ich Aktien von Andritz mit Gewinn von etwas mehr als 10% verkaufen – nachdem ich sie erst Anfang des Monats ins Depot geholt hatte.

Allerdings habe ich auch Short-Positionen auf den Nasdaq 100 im Depot. Und die sind leider zeitgleich recht weit ins Minus gelaufen. Ich halte aber vorerst daran fest, da ich darauf setze, dass der US-Technologieindex nach seinem Kursanstieg um 15 % binnen nur 22 Handelstagen bald deutlich zurücksetzt. Schließlich wurde das Muster aus dem Prinzip der Wellengleichheit inzwischen abgearbeitet (siehe dunkelgrüne Rechtecke im folgenden Chart), über das ich am 15. November berichtet hatte (siehe „Ein langfristiges Elliott-Wellen-Szenario für den Nasdaq 100“).

Die Dauer der Welle (5) entspricht nun schon dem Zeitraum, in dem die Welle (1) ausgebildet wurde. Für die exakte Länge von 2.209,89 Punkten fehlen genau genommen vom heutigen Tageshoch noch rund 100 Punkte. Aber womöglich verzichten die Bullen darauf.

Und wenn es zu einem größeren Rücksetzer kommt, dürften auch einige Aktien wieder günstiger zu haben sein – daher auch die Gewinnmitnahme bei Andritz. Ich hoffe, dass ich jüngst verkaufte Aktien, auch die von Andritz, mit einer Gegenbewegung billiger zurück ins Depot holen kann.

Die Zinssenkungserwartungen lassen nach, die Kurse steigen weiter

Übrigens: Die Zinserwartungen für Mai sind inzwischen wieder auf rund 50 % zurückgegangen.


(Quelle: cmegroup.com)

Die Kurse an den Aktienmärkten steigen aber dennoch einfach weiter. Selbst wenn also Gründe für einen Kursanstieg wegfallen, wird dies ignoriert. Die Anleger scheinen derzeit wie in einem Tunnel. Es geht nur in eine Richtung, egal, was außen herum passiert. Das sind weitere Anzeichen für eine Übertreibung.

Ich weiß nicht, wie lange diese noch anhält und wohin sie die Kurse noch führt. Aber ich bin recht sicher, dass es im Anschluss zu scharfen Rücksetzern an den Aktienmärkten kommen wird. Und dann könnten Short-Positionen auf den Nasdaq 100 wieder sehr nützlich werden.

Ich wünsche Ihnen jedenfalls weiterhin viel Erfolg an der Börse
Ihr
Sven Weisenhaus

(Quelle: www.stockstreet.de)

@ ad-hoc-news.de | 30.11.23 09:47 Uhr