Aktien, Anleger

Wenn das Aktienkind bereits in den Brunnen gefallen ist

Ich erhielt gestern eine Mail. Und nicht nur der Verfasser ist der Überzeugung, dass die Antwort auch noch andere interessieren könnte. Doch zunächst die Mail:

Hallo !

Bitte schreiben Sie unbedingt etwas zu VW. Ich war zum Beispiel schon bei 170 gut im Minus. Jetzt bei 105 hat sich mein Kapital mehr als halbiert.

Soll man jetzt in Panik verkaufen oder auf höhere Kurse hoffen. Wie hoch schätzen Sie trotz der Krise das Kurspotential der VW Vorzugsaktie ein.

Ich bin leider seit der Dividende mit meinem ganzen Kapital in der Aktie.

Ich denke dies wird auch jede Menge anderer interessieren.

Mit freundlichem Gruß

K.

Normalerweise würde ich auf eine solche Mail sehr kurz antworten. Da dies jedoch sicherlich kein Einzelfall ist und Vergleichbares häufiger geschieht, nutze ich den Steffens Daily für eine ausführlichere und auch allgemeinere Antwort:

Sehr geehrter Herr K.,

ich kann Ihre Lage sehr gut verstehen und auch Ihren Wunsch, von einem "Experten" eine Prognose zu hören. Doch leider kann ich Ihnen nicht sagen, wohin sich die VW-Aktie entwickeln wird. Das kann niemand! Und tatsächlich geht es bei Ihren Fragen in erster Linie nicht einmal darum, wie sich die VW-Aktie weiter entwickelt.

Das Problem ist, Sie haben bereits einige schwerwiegende Anlagefehler gemacht und das Kind IST bereits in den Brunnen gefallen.

Um keine weiteren „Fehler“ mehr zu machen, bedarf es zunächst einer kurzen Fehleranalyse, denn auf dieser baut sich das zukünftige Vorgehen auf:

  1. Sie haben sich nicht über die allgemeinen Grundsätze der Geldanlage informiert. Man sollte niemals alles auf eine Karte/Aktie setzen. Das funktioniert an den Börsen nur in den seltensten Fällen. Sie hätten Ihre Investitionen breiter diversifizieren sollen, also in verschiedene Aktien, Branchen oder sogar Indizes anlegen müssen.
  2. Zweitens haben Sie sich offensichtlich keine Gedanken über eine Exit-Strategie gemacht. Bei jeder Investition müssen Sie sich vorher fragen: Was tun Sie, wenn diese Investition nicht aufgeht! Wo steigen Sie aus? Wie viel Geld sind Sie bereit zu riskieren bzw. zu verlieren?

Ich weiß, es scheint zunächst wenig hilfreich, noch mehr in der blutenden Wunde zu stochern. Aber genau das ist wichtig, um in Zukunft solche Fehler zu vermeiden!

Und diese Zukunft ist eben auch schon die VW-Aktie, die Sie noch in Ihrem Depot haben! Denn ab gestern sollten Sie vernünftiger mit Ihren Investitionen umgehen. Ich weiß aus vielen Gesprächen, welche Antwort dann folgt:

„Ja, bei der nächsten Investition werde ich darauf achten, das wird mir nie wieder passieren. Aber was mache ich jetzt mit VW?“

Nichts. Der Verlust ist da. Er ist real. Sie besitzen - Stichtag gestern – nur noch die Hälfte Ihres Vermögens. Daran ist NICHTS mehr zu ändern. Sie müssen umdenken und den Fakten ins Gesicht schauen. Vergessen Sie was vorher war.

Ab jetzt haben Sie nur noch ihr aktuelles Vermögen – das ist die Zahl, die in ihrem Depot derzeit steht.

Also eigentlich fragen Sie mich: Was soll ich mit meinem aktuellen Vermögen machen? Soll ich das komplett in VW investieren?

Sie bemerken vielleicht schon, dass diese Frage einen ganz anderen Charakter hat. Es ist nicht mehr die Frage: hoffen oder bangen? Es ist nicht mehr die Passivität, es ist nicht mehr das „mit dem Rücken an der Wand stehen“ - nein, es ist Aktion, es ist Tun. Würden Sie, wenn Sie nun über die Summe X verfügen (die in Ihrem Depot steht), dieses Geld komplett in VW investieren?

Ein Tipp für andere Leser: Wenn Sie mal in eine ähnliche Situation geraten, empfiehlt es sich, die ganze Position erst einmal zu verkaufen. Dann ist der psychische Druck weg und man kommt so auch ohne Hilfe anderer zu deutlich besseren Ergebnissen in seinen Überlegungen. Man kann dann immer noch wieder einsteigen, aber man braucht erst einmal einen klaren Verstand und über diesen verfügt man nicht, wenn man „in Panik“ investiert bleibt – leider.

Zurück zum Thema: Sie haben also nur noch das Geld, welches aktuell in der VW-Aktie investiert ist. Stellen Sie sich einfach vor, Sie überlegen völlig unabhängig von der aktuellen Situation, einen bestimmten Betrag an der Börse anzulegen. Würden Sie ihr ganzes Geld in eine Aktie mit so vielen Problemen investieren? Sicher kann man das tun, schließlich ist die Aktie weit zurückgekommen, vieles ist eingepreist. Es kann funktionieren. Die Frage ist aber: Würden Sie (!) das in der aktuellen Situation tun? Beziehungsweise, wie viel Geld wären Sie (!) bereit, jetzt in diese Aktie zu investieren?

Der Stopp

Gehen wir mal davon aus, dass Sie auch mit diesem Abstand eine VW-Aktie als lohnende Investition ansehen würden. Anschließend müssen Sie überlegen, was die größte Summe wäre, die Sie als Verlust akzeptieren könnten und genau dort Ihren Stopp platzieren. Konsequenz: Es müssen ein oder mehrere gestaffelte Stopps her! Sprich, eine Exit-Strategie.

Diversifikation

Wenn Sie aus Ihren bisherigen Fehlern (s.o.) gelernt haben, würden sie aber nicht ihr ganzes Geld investieren, sondern zuvor überlegen, welchen Teil ihres gesamten Anlage-Vermögens Sie bereit sind, jetzt ausschließlich in VW zu investieren. Und damit kann ich Ihre zweite Frage, die Sie nur indirekt gestellt haben, beantworten: Sollen Sie jetzt ihr ganzes Vermögen VW investieren? Und darauf kann ich antworten: Nein! Sie müssen breiter diversifizieren.

Und das führt direkt zur nächsten Konsequenz für die aktuelle Situation: Sie sollten zumindest Teilverkäufe vornehmen! Auch das nimmt schon Druck von Ihnen und Ihrem Depot. Sie werden sehen, dass allein Teilverkäufe ihre Anspannung sinken lässt. Und dann können Sie mit etwas zeitlichem Abstand überlegen, wie Sie das wieder zur Verfügung stehende Geld mit guten Stopps und einer sinnvollen Anlagestrategie breiter anlegen wollen.

Der Mensch und seine Fehler

Nun will aber der Mensch gerne mit genau der Aktie, mit der er das Geld verloren hat, das Geld wieder zurückgewinnen. Das hat den Hintergrund, dass man damit diesen "Fehler" sozusagen wieder ungeschehen machen würde. Wie schön wäre es doch, wenn das immer so klappen würde.

Doch genau dieser Wunsch führt an den Börsen in vielen Fällen lediglich dazu, dass Menschen noch mehr und mehr Geld verlieren und oft sogar eine komplette Pleite hinlegen.

Wie gesagt, vergessen Sie, was vorher war. Der Verlust IST real. Das Geld IST weg. Der Fehler IST gemacht. Wenn Sie weiter investieren wollen, müssen Sie ab sofort intelligenter investieren.

Kurz: Diversifizieren Sie und sichern Sie Ihre Positionen mit einem Stopp ab!

Fazit: Nehmen Sie einen Teilverkauf der Position vor und investieren Sie dieses Geld mit etwas zeitlichem Abstand in andere Anlagen (z.B. einen ETF auf eine Index), wenn sich gute Einstiegssignale ergeben. Sichern Sie diese neuen Positionen und die alte Restpositionen von VW mit Stopps ab. Überlegen Sie dazu, wie viel Geld Sie noch bereit sind zu verlieren, wenn die Märkte gegen Sie laufen. Und das bei jeder Position und am besten auch noch bei allen zusammen.

Die Fragen, die sich anschließen

Da ich das alles schon häufiger Anlegern erzählt habe, weiß ich, wie die nächsten Fragen lauten:

Was geschieht, wenn ich den Teilverkauf vornehme und die VW-Aktie steigt anschließend wie verrückt? Dann gewinne ich ja nur einen Teil zurück.

Was geschieht, wenn ich einen Stopp unter die Restposition lege, dieser wird ausgelöst und ich bin draußen und daraufhin steigt die VW-Aktie wieder auf ein neues Allzeithoch?

Ja, das alles kann geschehen! Und es wird Fälle geben, in denen genau das geschieht! Und das wird für die Betroffenen höchst ärgerlich bis schmerzhaft mitzuerleben sein. Doch auch das sind nicht die richtigen Fragen.

Viel wichtiger ist: Was geschieht, wenn man investiert bleibt und die VW-Aktie fällt immer weiter und weiter, auf 70 Euro, auf 50 Euro oder sogar auf 30 Euro.

Bei welchem Kurs tun Sie was? Wann handeln Sie? Oder sehen Sie einfach weiter zu und hoffen?

Diese letzten Fragen verdeutlichen, um was es bei den oberen beiden Fragen geht: Man drückt sich vor der Verantwortung durch Passivität. Sie müssen an den Börsen aber immer aktiv bleiben – Sie müssen handeln und sich nicht (schlecht) behandeln lassen.

Zurück auf Los

Noch einmal zur Erinnerung: Weder ich, noch sonst wer weiß, wie sich die VW-Aktie in den kommenden Monaten entwickeln wird. Vielleicht tauchen noch andere Probleme auf oder ein Absatzmarkt bricht ein, oder es geschieht etwas, womit keiner rechnet - man weiß es nicht. Genauso gut kann die Nachrichtenlage abflauen und das Thema so langsam aus dem Fokus der Anleger geraten, was zu steigenden Kursen führen könnte.

Gehen Sie davon aus, dass Sie nicht wissen, was geschehen wird. Wenn Sie nicht wissen, was geschieht, sollten Sie sich mit allen Szenarien auseinandersetzen und für jedes eine Strategie entwickeln, um sich dann auch daran zu halten.

Doch egal, wie Sie sich nun entscheiden werden:

Wenn Sie investiert bleiben, wünsche ich Ihnen viel Glück. Wenn Sie denken, dass ein Teilverkauf schon mal eine gute Sache wäre, wünsche ich Ihnen trotz des Teilverkaufs, dass sich die VW-Aktie danach wieder erholt und Sie zumindest einen Teil der Verluste wieder ausgleichen können. Wenn Sie dann noch einen Stopp unter die Restposition legen, wünsche ich Ihnen, dass dieser Stopp nicht ausgelöst wird und insbesondere, dass die VW-Aktie danach nicht wieder steigt.

Es tut mir leid, dass dies sicherlich nicht das ist, was Sie hören wollten, aber es ist, so hoffe ich, doch eine der ehrlichsten und klarsten Antworten auf Ihre eigentlichen Fragen.

Viele Grüße,

Ihr

Jochen Steffens

 (Quelle: www.stockstreet.de)

PS: Eigentlich wollte ich heute noch über die US-Indizes schreiben. Das muss ich aber auf morgen verschieben. es ist dort aber auch nicht viel geschehen. Interessant wird die heutige EZB-Sitzung. Der Markt hofft darauf, dass die EZB Andeutungen macht, ihre Geldpolitik noch weiter zu lockern. Das könnte, sofern es geschieht, die europäischen Märkte zumindest kurzfristig etwas beflügeln.

@ ad-hoc-news.de | 22.10.15 09:39 Uhr