ROUNDUP, Putin

MOSKAU - Der Kreml hat sich zufrieden über das von US-Talkmaster Tucker Carlson geführte Interview mit Russlands Präsident Wladimir Putin und seinen Auswirkungen in der Presse geäußert.

09.02.2024 - 13:04:09

Putin gibt sich in Interview selbstbewusst und verhandlungsbereit

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MOSKAU (dpa-AFX) - Der Kreml hat sich zufrieden über das von US-Talkmaster Tucker Carlson geführte Interview mit Russlands Präsident Wladimir Putin und seinen Auswirkungen in der Presse geäußert. "Für uns ist vor allem die Reaktion unserer Leute wichtig", sagte Kremlsprecher Dmitri Peskow am Freitag. Es sei von großem Wert, dass sich viele Menschen, speziell in Russland, mit dem Interview vertraut machen können. "Putin spricht über seine Weltanschauungen und seine Sicht der Gründe für die jetzige Lage und die Perspektiven des Geschehens", so Peskow. Es war das erste Mal seit Beginn des Angriffskriegs gegen die Ukraine, dass sich der Kremlchef ausführlich von einem US-Interviewer befragen ließ.

Im Gespräch mit Carlson sagte der Kremlchef unter anderem, ein Einmarsch Russlands in die Nato-Staaten Polen und Lettland sei "absolut ausgeschlossen" - mit einer Ausnahme. Auf die Frage, ob er sich ein Szenario vorstellen könne, in dem er russische Truppen nach Polen schicken würde, entgegnete Putin: "Nur in einem Fall: wenn Polen Russland angreift." Russland selbst habe keine territorialen Interessen in Polen und Lettland, versicherte er. Ein solcher Angriff widerspreche dem gesunden Menschenverstand, weil er einen Weltkrieg und damit das Ende der Menschheit heraufbeschwören könne.

Wenige Tage vor dem Einmarsch in die Ukraine hatte der Kreml einen Angriff auf das Nachbarland freilich ebenfalls kategorisch ausgeschlossen. Niemand in Russland plane einen Krieg, selbst die Möglichkeit eines solchen Kriegs sei unannehmbar, erklärte Kremlsprecher Peskow damals. Tatsächlich nennt Russland seinen Angriffskrieg gegen die Ukraine seither offiziell auch nur "militärische Spezialoperation".

Putin räumte in dem 127 Minuten langen Gespräch ein, dass Moskau auch fast zwei Jahre nach Kriegsbeginn noch nicht alle seine Ziele erreicht habe. Während er bei früheren Anlässen auch Gebietsansprüche unter anderem auf die ukrainische Hafenstadt Odessa am Schwarzen Meer geltend gemacht hatte, sprach er bei Carlson nur noch von der angeblich notwendigen "Entnazifizierung" der Ukraine. Das Argument dient aus den Erfahrungen des Zweiten Weltkriegs heraus vor allem innenpolitisch der Rechtfertigung der weiter anhaltenden Kämpfe.

Zugleich gab sich der Kremlchef aus einer Position der Stärke heraus verhandlungsbereit. Russland sei zum Dialog bereit - die Zeit für Gespräche sei gekommen, weil der Westen erkennen müsse, dass der Konflikt für ihn militärisch nicht zu gewinnen sei. "Früher oder später wird das in einer Einigung enden", sagte Putin. "Wenn diese Erkenntnis eingesetzt hat, müssen sie (der Westen) darüber nachdenken, was als nächstes zu tun ist." Dies ist allerdings eine bekannte Moskauer Position: Russland will nicht mit der Ukraine, sondern mit dem Westen, vor allem den USA, über die Ukraine sprechen. Die westliche Haltung ist bislang, dass nur die Ukraine entscheidet, wann sie zu Verhandlungen bereit ist.

Der für die Verbreitung von Falschmeldungen und Verschwörungstheorien bei seinem früheren Arbeitgeber Fox News bekannte Fernsehmann Carlson stellte Putins langatmige Ausführungen nicht infrage. Er ließ auch unwidersprochen zu, dass Putin einmal mehr die Schuld für seinen Angriffskrieg der Nato zuschob, die Sprengung der Nord Stream Pipeline ohne Beweise den USA anlastete und der Bundesregierung unterstellte, die deutschen Interessen zugunsten von Bündnispflichten zu vernachlässigen.

Bequem war das Gespräch für den Kremlchef auch, weil er weder wegen der vielen Opfer in der Ukraine zur Rede gestellt wurde noch zu Repressionen gegen die Opposition im eigenen Land Stellung beziehen musste. Lediglich auf den in russischer Untersuchungshaft sitzenden US-Journalisten Evan Gershkovich sprach Carlson ihn an und fragte, ob es Chancen auf dessen Freilassung gebe.

Putin gab sich gesprächsbereit und deutete die Möglichkeit eines Gefangenenaustauschs an. "Es macht keinen Sinn, ihn in Russland im Gefängnis zu halten", so der Kremlchef. Die USA sollten vielmehr darüber nachdenken, wie sie zu einer Lösung beitragen könnten. Putins Äußerungen unmittelbar danach ließen sich so interpretieren, dass eine Freipressung des im Dezember 2021 verurteilten Tiergarten-Mörders Wadim K. gemeint sein könnte, der in Deutschland zu lebenslanger Haft verurteilt worden war. K soll den Mord im Auftrag staatlicher russischer Stellen verübt haben. Beide Fälle haben nichts miteinander zu tun.

Politische Beobachter hatten erwartet, dass der Kreml das Interview für Propagandazwecke nutzen wird. "Dem Timing nach zu urteilen, besteht die Hauptaufgabe des Interviews darin, den Skandal mit der Ablehnung der Registrierung Nadeschdins zu überdecken", schrieb etwa der Politologe Abbas Galljamow. Boris Nadeschdin wurde als Kriegsgegner mit unerwartet großem Zulauf von Unterstützern wenige Stunden vor Veröffentlichung des Interviews von den im März anstehenden Präsidentenwahlen in Russland ausgeschlossen.

Galljamow bemängelte anschließend auch die kritiklose Übernahme der Thesen Putins durch Carlson. Dessen langatmige historischen Ausführungen darüber, dass nie eine Ukraine existiert habe und Russlands angebliche Ansprüche auf das Territorium hätten auch die Briten während des amerikanischen Unabhängigkeitskriegs Ende des 18. Jahrhunderts anführen können, spottete Galljamow.

Putin zumindest ist es gelungen, sich kurz vor der Präsidentenwahl noch einmal als international gefragter Staatsmann zu präsentieren. Nicht ohne Stolz vermerkte Peskow, dass es nach Bekanntwerden des Interviews mit Carlson Dutzende Anfragen westlicher Medien "aus den USA, Frankreich, Italien, Österreich, Australien" gegeben habe.

Russische staatliche und kremlnahe Medien feierten das Interview ebenfalls als Erfolg. Viele gingen auf die Reichweite und mögliche Auswirkungen des Videoclips ein. Dieser sei bereits mehr als 60 Millionen Mal aufgerufen worden, berichtete etwa das Staatsfernsehen auf seiner Webseite. Die kremlnahe Zeitung "Iswestija" wiederum zählte mehr als 475 000 Likes und zitierte einen ranghohen Beamten in den von Russland besetzten Gebieten der Ukraine, der sagte, der vom Westen zugezogene "Info-Vorhang" sei gescheitert.

@ dpa.de