Krankenversicherung, US-System

Krankenversicherung: Wie sich das deutsche und das US-System unterscheiden

04.03.2022 - 15:17:23

Als Deutscher hört man über die US-Krankenversicherung viel, oft nur wenig Gutes. Doch stimmt dies überhaupt und worin unterscheiden sich beide Systeme denn?

 Deutschland ist aus geschichtlichen Gründen eines der wichtigsten Vorreiterländer in Sachen staatlicher Absicherung. Hier wurden bereits Systeme etabliert, als in den allermeisten anderen Nationen noch jeder Mensch auf sich allein und die Unterstützung seines Umfelds angewiesen war. Die USA, so der Glaube, handeln auch heute noch so: Wer krank ist, der hat ein großes Problem, steht mangels eines staatlichen Absicherungssystems schnell vor einem riesigen Schuldenberg.

Insofern ist es verständlich, wenn viele Deutsche den Kopf schütteln, weil es nach wie vor Amerikaner gibt, die sich gegen jegliche Einführung eines staatlichen Gesundheitssystems nach europäischem Muster sträuben. Doch wie sieht das US-System aus? Und warum möchten einige Amerikaner daran festhalten? Die Antworten werden klarer, wenn man beide Systeme vergleicht.

Das deutsche System in der Übersicht

Das deutsche Krankenversicherungswesen lässt sich auf einen simplen Grundsatz herunterbrechen:

Jeder, der in Deutschland seinen Wohnsitz hat,
muss umfassend krankenversichert sein

Das gilt so seit 2007. Ausnahmen existieren zwar, allerdings sind diese so marginal, dass es 2019 gerade einmal rund 61.000 Unversicherte gab, die auch keinen sonstigen Anspruch auf vergleichbare Leistungen hatten.

Damit dies funktioniert, setzt Deutschland auf ein zweigliedriges System:

  • Ein grundsätzlicher Schutz für die meisten Personengruppen durch die gesetzliche Krankenversicherung (GKV). Bei Arbeitnehmern zahlen diese eine Hälfte der Beiträge ein, der Arbeitgeber die andere. Freiwillig gesetzlich Versicherte zahlen allein.
  • Die private Versicherungsalternative in Form der PKV. Sie ist für einige Gruppen wie beispielsweise Beamte unumgänglich, steht aber darüber hinaus jedem offen, der a) über die Versicherungspflichtgrenze verdient oder b) keinen gesetzlichen Schutz hat. In dem Fall müssen private Versicherer ihn im Basistarif aufnehmen.

Beide Versicherungsformen bieten einen großen Schutz mit zeitgenössischen Leistungen ohne Limitierungen, wenngleich die PKV durch ihr anders gelagertes Beitragsprinzip grundsätzlich bessere, umfassendere Leistungen offeriert.

Dennoch gilt: Jeder ist in Deutschland ungeachtet seines beruflichen Standings sehr umfassend krankenversichert. Durch die gesetzliche Unfall- und Rentenversicherung wird dieser Schutz zudem noch erweitert.

Das US-System in der Übersicht

Deutschland und viele andere Nationen sind Sozialstaaten. Das heißt, in diesen Ländern übernimmt der Staat einen großen Schutz seiner Bürger gegen verschiedene Eventualitäten, so eben auch im Krankheitsfall.

Um die Unterschiede des US-amerikanischen Krankenversicherungssystems zu verstehen, ist es zunächst notwendig, auf die unterschiedliche Mentalität in diesem Land einzugehen. Dort hegen bis heute sowohl viele Regierende als auch eine Majorität der Bürger die Ansicht, der Staat hätte sich aus intimen Privatangelegenheiten seiner Bürger herauszuhalten. Dahinter steht das US-Selbstverständnis als Nation freier Menschen, wobei diesbezüglich Freiheit unter anderem als Abwesenheit von staatlicher Einmischung verstanden wird.

Aus diesem Grund hatten die USA bis weit ins 20. Jahrhundert hinein gar keine Form von staatlicher Absicherung. Tatsächlich gab es nicht einmal Krankenversicherungen – auch keine privaten. Die Gesundheit, so damals die weitverbreitete Ansicht, ist einzig und allein eine Angelegenheit zwischen Mediziner und Patient zu sein.

Mit dem Börsencrash 1929 begann jedoch für das Land eine Phase enormer wirtschaftlicher Schwierigkeiten. Im Zuge dieser Great Depression geschahen mehrere Dinge:

  • Viele Menschen konnten sich keine medizinischen Behandlungen leisten, weil sie durch die wirtschaftliche Lage in Armut abglitten.
  • Dadurch sank nicht nur die Volksgesundheit, sondern standen viele Arztpraxen und Krankenhäuser vor dem Ruin.
  • In dieser Folge wurden erste private Krankenversicherungen gegründet, um diese beiden Probleme abfedern zu können.
  • Gleichzeitig führte die US-Regierung 1935 den Social Security Act ein. Weniger ein Krankenversicherungssystem, sondern eher ein umfassendes Sozialpaket, das eine finanzielle Absicherung für besonders Bedürftige und Senioren garantierte.

Bis 1965 blieb das US-Krankenversicherungssystem deshalb ein rein privates, bei dem sich jeder Bürger selbst um die Absicherung kümmern musste. Erst in diesem Jahr wurde der Social Security Act um zwei zusätzliche Programme erweitert:

  • Medicare: Eine Krankenversicherung, die jeden Bürger ab 65 und jeden jüngeren Bürger mit anerkannten Behinderungen oder akutem Nierenversagen schützt.
  • Medicaid: Eine ähnliche, aber geringer dimensionierte Versicherung für Bedürftige ungeachtet ihres Alters.

Ferner gab es bereits ein drittes System für Mitglieder der US-Streitkräfte und deren Angehörige, das heute Tricare genannt wird. Zudem gibt es für Veteranen einen Basisschutz über das Departement of Veterans Affairs.

Das heißt, prinzipiell ist jeder in den USA staatlicherseits (minimal) abgesichert, der entweder keinem Beruf nachgeht (und bedürftig ist) oder in den Streitkräften dient, gedient hat oder ein Angehöriger solcher Personen ist. Allerdings sei deutlich unterstrichen, dass Medicare und Medicaid nur einen sehr gering dimensionierten Schutz abgedeckter Leistungen bieten, der zudem an umfassende Vorbedingungen geknüpft ist.

US-Schutz für Arbeitgeber

Bleibt ein großer Teil von US-Arbeitnehmern. Diese können sich privat versichern. Typischerweise läuft dies jedoch im Rahmen eines Arbeitsverhältnisses. In diesem Fall hat der Arbeitgeber einen Vertrag mit einem privaten Versicherer, bei dem der Arbeitnehmer nur wenige Zuzahlungen leisten muss; teilweise sogar erst dann, wenn er Leistungen tatsächlich in Anspruch nimmt. Jedoch:

  • Solche Benefits sind absolut freiwillig,
  • sie unterscheiden sich von Arbeitgeber zu Arbeitgeber,
  • der Schutz besteht nur so lange, wie der Arbeitsvertrag läuft.

Das Problem an diesem System war und ist, dass mehrere Millionen US-Amerikaner keinen Versicherungsschutz genießen. Zudem konnten private Versicherer Personen ablehnen oder aufgrund von Vorerkrankungen sehr hohe Beiträge fordern. In der Folge sind bis heute selbst viele krankenversicherte Amerikaner nach deutscher Sicht eklatant unterversichert und/oder mit viel zu hohen Beiträgen konfrontiert.

Das System Obamacare

US-Präsident Obama wollte an dieser Situation grundlegend etwas ändern. Das umgangssprachlich genannte System Obamacare trat 2013 in Kraft und sollte (stark vereinfacht ausgedrückt) folgendes tun:

  • Jeder Amerikaner muss eine Krankenversicherung abschließen, egal in welcher Form. Wer das nicht tut, muss eine Strafzahlung in Höhe von zwei Prozent seines Haushaltseinkommens oder 325 Dollar zahlen.
  • Arbeitgeber mit mehr als 50 Vollzeitbeschäftigten müssen ihren Angestellten eine solche Versicherung anbieten oder ebenfalls Strafen zahlen.
  • Geringverdiener bekommen Zuschüsse. Außerdem wird durch den Affordable Care Act eine Reihe von Leistungen wie Vorsorgeuntersuchungen und Impfungen kostenlos.
  • Versicherungen wird es untersagt, Menschen aufgrund Vorerkrankungen abzulehnen oder Leistungen aufgrund von Formfehlern zu versagen – zuvor ein großes Problem.

Die große Kritik an dem System entstand nicht nur, weil viele Amerikaner es als ungebührliche staatliche Einmischung ansahen, sondern, weil die Strafzahlungen in der Praxis oft günstiger als die Tarife sind. Außerdem schwanken die Tarife zwischen den Bundesstaaten um bis zu einem Viertel.

Tatsächlich ist es deshalb bis zum heutigen Tag teilweise günstiger, Leistungen selbst zu begleichen, statt sie bei der Krankenkasse einzureichen.  

Zwar hat Obamacare das Krankenversicherungssystem der USA stark verbessert. Dennoch ist es weit davon entfernt, mit Deutschland vergleichbar zu sein. Aufgrund der US-Mentalität ist es allerdings fraglich, ob sich entsprechende Mehrheiten finden, um eine solche Verbesserung zu erzielen. Zwar bestätigte der Supreme Court 2021 die Verfassungsmäßigkeit von Obamacare, dennoch bleiben die USA ein Land mit einem für ihren Lebensstandard eher schlechten Krankenversicherungssystem.

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