Deutschland, Schleswig-Holstein

Kein schwarz und weiß: IfW-Chef Moritz Schularick rückt Reaktionen auf politische Entscheidungen besonders in den Blickpunkt.

31.07.2023 - 05:46:33

IfW-Chef: Auch gute Konzepte nicht brachial durchsetzen. Subventionen und die Rolle des Staates sieht er differenziert.

Der Ökonom Moritz Schularick warnt davor, bei notwendigen Veränderungen den gesellschaftlichen Zusammenhalt zu vernachlässigen. Im Gespräch mit der Deutschen Presse-Agentur setzte sich der Präsident des Kiel Instituts für Weltwirtschaft (IfW) dafür ein, bei staatlichen Entscheidungen stets die politischen und sozialen Wirkungen im Blick zu haben.

Klimatransformation

«Die CO2-Bepreisung ist der beste Weg, aber ist das auch politisch durchhaltbar?», sagte Schularick (48). «Im Kern geht es darum, ob man mit einem Verteuern brauner dreckiger Energieträger über Besteuerung und Emissionshandel nicht so viele politische Widerstände hervorruft, dass wir am Ende nicht schnell genug vorankommen.»

Der andere Weg sei, über Subventionen grüne Energien so billig zu machen, dass sie mit den braunen konkurrieren können - was aber der ineffizientere Weg sei. «Es gilt abzuwägen, wo am Ende mehr Sand im Getriebe ist.» Befürchtungen, die CO2-Bepreisung werde sozial Schwache überproportional treffen, weil ihr Energieanteil an den Gesamtausgaben besonders hoch ist, müsse glaubhaft entgegengetreten werden. «Das sehe ich zurzeit noch nicht.»

Subventionen

«Da setzt man zum Teil zu schnell Interessen der Industrie mit denen Deutschlands gleich», sagte Schularick auch angesichts der Pläne von Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne), mit einem günstigen Industriestrompreis energieintensive Unternehmen zu stützen.

«Eine ganze Palette an risikoscheuen Bewahrungsstrategien passt in den Kontext eines vielleicht überalterten Landes, das sich schwertut mit Innovationen und Anpassungen - und Wert auf Freizeit und Urlaub legt.» Gehe man mit der Subventionsgießkanne durchs Land, sei die Gefahr groß, dass Unkraut begossen wird und wächst.

Unter bestimmten Umständen sprächen aber ökonomische Argumente dafür, junge innovative Unternehmen in Schlüsselbranchen zu unterstützen, sagte Schularick auch vor dem Hintergrund enormer Subventionen in den USA. Im Fall Northvolt - der schwedische Konzern will in Dithmarschen mit staatlicher Hilfe eine Batteriezellenwerk für E-Autos bauen - wäre es im Blick auf Technologie und Standort gut, zu den Vorreitern in Deutschland zu gehören.

Globalisierung

«Globalisierung verstehen und gestalten» steht an der IfW-Fassade auf einem großen Plakat. «Wir befinden uns in einer global vernetzten, hochintegrierten Weltwirtschaft, und jetzt gibt es viele Tendenzen und den politischen Willen, Dinge, die politisch, strategisch oder militärisch sinnvoll sind und zur Grundversorgung gehören, wieder stärker im nationalen oder europäischen Kontext umzusetzen», sagte Schularick. «Das wird Kosten haben, denn wir streuen Sand ins Getriebe der Weltwirtschaft und dann knirscht es auch.»

Zudem seien nach 20, 30 Jahren Globalisierung westliche Demokratien in keinem besonders guten Zustand. «Daran ist nicht allein und wohl nicht einmal in erster Linie die Globalisierung schuld, aber dies ist gekoppelt an Entwicklungen, mit denen viel Unzufriedenheit und Verunsicherung verbunden sind.» Klima, Energie, Globalisierung, Außen- und Sicherheitspolitik, Digitalisierung, demografischer Wandel - hier seien synchron gewaltige Transformationsprozesse zu bewältigen. «Und die Frage ist, ob wir das nötige Rüstzeug haben, das zu schaffen.»

China

Europa und Deutschland müssten ihre außen- und sicherheitspolitischen Prioritäten selbstbewusst definieren, sagte Schularick. «Es darf nicht der Eindruck zu großer Abhängigkeit entstehen.» Diese werde zum Teil stark übertrieben - mit dem Ziel, Geschäftsinteressen zu wahren. Die deutsche Autoindustrie etwa habe ein Riesenproblem. Aber das heiße nicht China, sondern Verschlafen von Innovationen. «China ist für einzelne Konzerne ein Klumpenrisiko, aber kein systemisches Risiko für die deutsche Volkswirtschaft.»

Rolle des Staates

Es gebe zu viel glaubensbasierte Politikberatung, sagte der IfW-Chef: «Die Einen glauben an den Markt, die Anderen an den Staat. Wir sind aber nicht in der Kirche.» An vielen Punkten gebe es konstruktive Möglichkeiten für ein Zusammenspiel von Staat und Markt. «Es ist die Kombination aus beidem - das weiß auch jeder - bis auf Glaubenskrieger, die auf beiden Seiten unterwegs sind.»

Bei der Klimatransformation müsse es wahrscheinlich für die Planung von Netzen in vielen Bereichen eine lenkende Rolle des Staates geben. Dieser sei aber leider nicht mehr so kompetent wie in den 1970er und 1980er Jahren, um solche Prozesse zu steuern. «Wir haben viel an Staatskapazität und damit einen Wettbewerbsvorteil verloren.»

Das IfW

«Wir wollen national und international noch stärker präsent sein», sagte der Präsident. Das IfW wolle auch einen «signifikanten Fußabdruck» in Berlin aufbauen. Die Bundesregierung sei für forschungsbasierte Politikberatung aufgeschlossen, sagte Schularick.

«Nach der großen Gasdebatte hat sie noch stärker erkannt, dass sie die Wissenschaft braucht, auch um Fehler nicht zu wiederholen.» Die Kontakte seien eng, sowohl auf institutioneller als auch auf persönlicher Ebene.

@ dpa.de