Libyen, Unwetter

In den Katastrophengebieten in Libyen herrschen vielerorts Chaos und Verwirrung.

16.09.2023 - 11:36:47

Opferzahlen in Libyen noch unklar: Sorgen vor Cholera. Es wächst die Sorge vor dem Ausbruch von Krankheiten. Derweil nennt die Regierung im Osten erste konkrete Todeszahlen.

Auch eine Woche nach Beginn der verheerenden Überschwemmungskatastrophe in Libyen ist die Lage in den besonders betroffenen Gebieten im Osten des Bürgerkriegslandes unübersichtlich. Internationale Helfer beklagen einen Mangel an Koordination bei der Verteilung der verschiedenen Hilfslieferungen. Noch immer werden unter den Trümmern der teils zerstörten Hafenstadt Darna Leichen vermutet.

Die dort im Osten herrschende Regierung des faktisch zweigeteilten Landes bezifferte die Zahl der offiziell registrierten Todesfälle mit Stand Freitagabend auf 3166. Unterdessen geht in Darna die Furcht vor einem möglichen Ausbruch der Magen-Darm-Krankheit Cholera um.

«Es ist dringend eine Koordination der Hilfe nötig», berichtete die Organisation Ärzte ohne Grenzen am Freitagabend. Die Überlebenden benötigten jetzt vorrangig Unterkünfte, Nahrung und medizinische Grundversorgung wegen der Sorge vor Cholera und Mangel an sauberem Wasser, erklärte UN-Nothilfekoordinator Martin Griffiths in Genf.

Cholera: Hochansteckend und sehr gefährlich

Cholera folgt oft auf Naturkatastrophen wie Erdbeben, Taifune oder Überschwemmungen. Die hochansteckende Durchfallerkrankung wird durch das Bakterium Vibrio cholerae ausgelöst, das im Darm ein Gift bildet. Ursachen sind vor allem Trinkwasser, das mit Fäkalien oder Erbrochenem von Erkrankten verschmutzt ist, und verunreinigte Lebensmittel.

Viele Infektionen verlaufen symptomlos. Doch in schweren Fällen können der starke Flüssigkeits- und Salzverlust binnen Stunden zu Kreislaufkollaps, Muskelkrämpfen bis hin zu Schock und Tod führen. Wichtigste Gegenmaßnahme ist es, die Erkrankten schnell mit viel Flüssigkeit und Elektrolyten zu versorgen.

Im 19. Jahrhundert hatte sich die Cholera vom Ganges-Delta in Indien weltweit verbreitet. Sechs Pandemien in Folge töteten Millionen von Menschen. Die siebte Pandemie brach 1961 aus. Die Weltgesundheitsorganisation WHO geht von jährlich 1,3 bis 4 Millionen Erkrankungen und zwischen 21.000 bis 143.000 Todesfällen aus, vor allem in Afrika, Südamerika, Südostasien und im Westpazifik.

«Wir bitten die Menschen dringend, sich den Brunnen in Darna nicht zu nähern», wurde Gesundheitsminister Ibrahim Al-Arabi zitiert. In Darna seien bereits Dutzende Kinder durch verschmutztes Wasser erkrankt, sagte der Leiter des Nationalen Zentrums für Krankheitsbekämpfung.

29 Tonnen medizinische Hilfsgüter eingetroffen

In Bengasi sind heute 29 Tonnen medizinische Hilfsgüter für die Überlebenden im Überschwemmungsgebiet eingetroffen. Damit können fast 250.000 Menschen zunächst medizinisch versorgt werden, wie die WHO in Genf mitteilt. Darunter seien lebenswichtige Medikamente für chronische und übertragbare Krankheiten sowie Material zur Wundversorgung und für Notoperationen ebenso wie Leichensäcke. Das Material geht an Kliniken und Praxen in der Region.

Von Bengasi in die teils zerstörte Stadt Darna sind es je nach Route zwischen 300 und 400 Kilometer. Nach den schweren Überschwemmungen gibt es nach Angaben der Rotkreuz- und Rothalbmondförderation (IFRC) nur eine befahrbare Zugangsstraße. Die neuen Hilfsgüter wurden von einem WHO-Lager in Dubai in den Arabischen Emiraten nach Bengasi geflogen. Eine erste Lieferung in ähnlichem Umfang war bereits aus WHO-Lagern in Libyen in das Katastrophengebiet gebracht worden.

Todeszahlen schwanken

In den vergangenen Tagen hatte es widersprüchliche Angaben zur Zahl der Todesopfer gegeben, die zwischen rund 5000 und 11.000 schwankten. Angesichts dieses Wirrwarrs erhob der Gesundheitsminister der rivalisierenden Regierung im Osten des Landes, Othman Abdel Jalil, den Anspruch, dass fortan nur Zahlen seines Hauses Gültigkeit hätten. «Das Gesundheitsministerium ist für die Daten verantwortlich, und alle Zahlen müssen von diesem Ministerium übernommen werden», sagte Abdul Jalil auf einer Pressekonferenz am Freitag. Die Zahl von 3166 Toten mit Stand vom Freitagnachmittag werde wahrscheinlich steigen.

Nach Angaben der WHO vom Samstag unter Berufung auf das libysche Gesundheitsministerium wurden bisher 3958 Todesopfer identifiziert und registriert. Im Katastrophengebiet werden noch mehr als 9000 Menschen vermisst. Mindestens 35.000 hätten ihre Unterkünfte verloren.

Die Rivalität zwischen den Regierungen im Osten und der im Westen des Landes erschwert laut Experten die Koordinierung der Hilfsmaßnahmen. Internationale Helfer sprechen von einer «katastrophalen humanitären Lage» und chaotischen Zuständen in Darna. Der Bürgermeister der verwüsteten Stadt, Abdel-Moneim al-Gheithy, hatte dem arabischen Sender Al-Arabija gesagt, dass es ausgehend von den zerstörten Bezirken allein in seiner Stadt «18.000 bis 20.000 Tote» geben könne.

Der Sprecher des Internationalen Komitees vom Roten Kreuz (IKRK) in Libyen, Baschir Omar, sagte der Deutschen Presse-Agentur, dass es angesichts der weiterhin unübersichtlichen Lage noch zu früh sei, verlässliche Angaben zur Gesamtzahl der Toten zu machen. «Die Katastrophe spielt sich immer noch ab.

Die Rettungseinsätze laufen. Deshalb können wir die endgültige Zahl der Todesopfer oder Verletzten nicht vorhersagen», sagte der Sprecher. Das Internationale Rote Kreuz hat unterdessen 5000 Leichensäcke nach Benghazi einfliegen lassen.

@ dpa.de