Japan, Erdbeben

Es war die verheerendste Erdbebenkatastrophe in der Geschichte Japans: 100 Jahre nach dem Großen Kanto-Beben erinnerten die Menschen im Raum Tokio der Toten und Verwüstungen.

01.09.2023 - 05:10:07

Japan gedenkt des Großen Kanto-Bebens vor 100 Jahren

Japan hat mit Gebeten und Katastrophenübungen der über Hunderttausend Todesopfer des Großen Kanto-Erdbebens gedacht, bei dem vor 100 Jahren weite Teile des Großraums Tokio verwüstet wurden. Im Yokoamicho-Park der Hauptstadt fand am Freitag, dem 100. Jahrestag, in einer Gedenkhalle eine Zeremonie statt, bei der Angehörige im Beisein von Kronprinz Akishino und seiner Gemahlin Kiko für das Seelenheil der Opfer beteten. An diesem Ort befand sich damals das Gelände einer ehemaligen Militärkleiderfabrik. Dort hatten sich über 38.000 Menschen an jenem 1. September 1923 hin geflüchtet, bevor sie von einem Feuersturm eingeschlossen wurden und lebendig verbrannten.

Zur Mittagszeit des 1. September 1923 suchte ein Erdbeben der Stärke 7,9 die Kanto-Ebene heim. Die folgenden Feuerbrünste legten die damals mit traditionellen Holzhäusern dicht bebaute Hauptstadt Tokio und weite Teile des benachbarten Yokohamas in Schutt und Asche – rund 145.000 Menschen kamen ums Leben. «Wir versprechen, dass wir künftigen Generationen ein sicheres und friedliches Tokio hinterlassen werden», erklärte Tokios Gouverneurin Yuriko Koike in einer von ihrem Stellvertreter verlesenen Botschaft.

Tokio heute besser vorbereitet

Mit einer Wahrscheinlichkeit von 70 Prozent wird Tokio innerhalb der nächsten 30 Jahre erneut von einem Erdbeben der Stärke 7 heimgesucht, warnen Experten. Inzwischen sei die Millionen-Hauptstadt jedoch besser vorbereitet als vor 100 Jahren. Damals fielen nicht nur die vielen Holzhäuser den Flammen zum Opfer. Auch viele Backsteinhäuser im westlichen Stil hielten den Erschütterungen nicht stand. Lediglich moderne Bauten aus Stahlbeton blieben damals weitgehend unversehrt, weshalb Stahlbeton zum dominierenden Baumaterial in Japan wurde.

In den Tagen nach dem Beben 1923 hatten sich ungerechtfertige Gerüchte über Plünderungen und Brandstiftungen durch Koreaner verbreitet. Japan übte damals eine brutale Kolonialherrschaft über die koreanische Halbinsel aus. In Folge dieser Gerüchte verübten die Polizei, das Militär und hysterische Bürgerwehren Massaker vorwiegend an Koreanern sowie Chinesen und Japanern, die wegen ihres Dialekts dafür gehalten wurden. Der zum 100. Jahrestag entstandene Spielfilm «September 1923 (Japanisch 'Fukudamura Jiken', auf Deutsch: Vorfall im Dorf Fukuda)» des japanischen Dokumentarfilmers Tatsuya Mori will die damals von Japanern begangenen Lynchmorde in Erinnerung rufen.

Gedenken an die Opfer

Japanische Politiker und rechte Kreise haben die Massaker immer wieder geleugnet oder heruntergespielt. Am Freitag fanden in und um Tokio Gedenkfeiern für die Opfer statt. Während frühere Gouverneure jedoch jedes Jahr der koreanischen Opfer gedachten, verzichtete die amtierende Gouverneurin von Tokio, Yuriko Koike, meist darauf mit der Begründung, dass sie in ihrer Kondolenzbotschaft aller Opfer gedenke.

Das Kanto-Beben veranlasste die Regierung, den 1. September zum Tag des Katastrophenschutzes zu erklären. Jedes Jahr finden an dem Tag im ganzen Land Erdbebenübungen statt, um die Öffentlichkeit zu sensibilisieren und Wissen über Katastrophenvorsorge zu verbreiten. Unter Leitung von Ministerpräsident Fumio Kishida übte am Freitag auch die Regierung mit einem Notfallstab den Ernstfall unter der Annahme, dass ein Beben der Stärke 7,3 Tokio früh morgens heimsucht.

Lebten damals etwa vier Millionen Menschen in der Stadt, sind es heute etwa 14 Millionen. Der gesamte Großraum zählt heute zwischen 30 und 40 Millionen Einwohner, womit Tokio die größte Metropolregion der Welt ist. In den vergangenen Jahrzehnten wurden enorme Anstrengungen unternommen, Gebäude widerstandsfähiger gegen Erdbeben und Brände zu machen. Dennoch gibt es laut Experten immer noch Regionen mit vielen Holzbauten. Auch die in jüngster Zeit rasant steigende Zahl an modernen Hochhäusern könne im Ernstfall neue Probleme aufwerfen.

@ dpa.de