Kinder, Krankenschwester

Die Anklage fordert die Höchststrafe für die Ex-Krankenschwester, die in einer beispiellosen Mordserie sieben Babys tötete.

21.08.2023 - 13:47:57

Babymordserie erschüttert Großbritannien. Warum die junge Frau zur Serienmörderin wurde, kann auch der Staatsanwalt nur spekulieren.

Während das Strafmaß wegen der schwersten Babymordserie in der jüngeren britischen Geschichte verkündet wird, bleibt die Anklagebank leer. Die frühere Krankenschwester Lucy Letby, die sieben Babys getötet und es bei mindestens sechs weiteren versucht hat, verweigert am letzten Prozesstag in Manchester ihre Teilnahme. Als «letzten Akt der Bosheit eines Feiglings» kritisiert die Mutter von zwei Opfern das Verhalten der 33-Jährigen, ähnlich äußert sich Premierminister Rishi Sunak. Er will Straftätern gesetzlich vorschreiben, ihrer Verurteilung persönlich beizuwohnen.

Am Freitag hatte eine Jury Letby schuldig gesprochen, noch am Montag wollte Richter James Goss das Strafmaß bekannt geben. Staatsanwalt Nicholas Johnson forderte die Höchststrafe: Letby solle nie mehr freikommen. Es handele sich um mehrere, vorsätzliche Taten mit Elementen «sadistischen Verhaltens». Folgt Goss dem Antrag, wäre Letby die vierte Frau in Großbritannien, die zu «whole life order» verurteilt wird. Wie die Zeitung «Guardian» berichtete, könnte Letby zudem in Dutzenden weiteren Fällen versucht haben, Babys zu töten.

Ein Alphabet des Grauens

Vor allem aber gehört der Tag den Angehörigen. In Aussagen, oft unter Tränen, berichten sie, wie der Tod ihrer Babys ihr Leben verändert hat. Anders als bei der Angeklagten dürfen ihre Namen nicht berichtet werden, die Opfer haben deshalb Buchstaben bekommen: von Kind A bis Kind Q - es ist ein Alphabet des Grauens.

Da ist zum Beispiel Kind D. Vorzeitig geboren, starb das Mädchen plötzlich. Die Beisetzung fand noch vor dem errechneten Geburtstermin statt. «Meine Arme, mein Herz, mein Leben fühlten sich so schmerzhaft leer an», sagt die Mutter, von Emotionen übermannt, vor Gericht. Sie frage sich jeden Tag, ob sie ihre Tochter im Stich gelassen habe.

«Letztendlich wollte sie Gott spielen»

In vielen Fällen war es Letby, die sich nach dem Tod um die kleinen Körper kümmerte. Bei Kind C etwa, einem Jungen, half sie, eine Box mit Erinnerungen zusammenzustellen, mit einem Fußabdruck. Den Leichnam von Kind E, ebenfalls ein Junge, wusch sie, bevor sie ihn in ein wollenes Gewand kleidete, das sie mit ihren Kolleginnen extra ausgesucht hatte. Wie die Mutter des Kinds erzählt, hatte Letby den ganzen Weg der Familienplanung miterlebt, schließlich klappte es mit Zwillingen. Der Bruder von E, Kind F, überlebte den Mordversuch. «Lucy wusste von unserer Reise und hat unseren Jungs absichtlich erheblichen Schaden und Grausamkeit zugefügt», sagt die Mutter.

Zwar betonen die Angehörigen, dank des Urteils könnten sie anfangen, mit dem Tod ihrer Kinder abzuschließen. «Wir wollten Gerechtigkeit für (Kind D), und dieser Tag ist nun gekommen», sagt dessen Mutter. Eine andere nennt Letby einen «Niemand». Doch die Frage nach dem Warum ist noch offen. Weil die frühere Krankenschwester bis zuletzt ihre Schuld bestreitet, bleibt ihr Motiv verborgen.

Ankläger Johnson brachte im Verfahren mehrere Theorien auf. «Letztendlich wollte sie Gott spielen», sagte er über einen Fall, in dem Letby mit einem Kollegen über den bevorstehenden Tod eines Babys sprach. «Sie genoss, was passierte, und sagte fröhlich etwas voraus, von dem sie wusste, dass es geschehen würde», sagte Johnson. Letby hatte Kind P mit Milch überfüttert - 13 Minuten, nachdem sie dessen Drillingsbruder getötet hatte.

Warum wurde Letby nicht früher gestoppt?

Als eine Möglichkeit gilt auch, dass die junge Frau sich bei einem Arzt, in den sie sich angeblich verliebt hatte, interessant machen wollte. Bei der Aussage des Mannes habe sie das einzige Mal im gesamten Prozess emotional reagiert, berichteten britische Medien.

Notizen könnten der einzige Hinweis auf ein Geständnis bleiben. «Ich bin böse, ich habe das getan», stand auf einem Klebezettel, den Ermittler in Letbys Wohnung fanden. Ebenso schrieb sie: «Ich verdiene nicht zu leben. Ich habe sie absichtlich getötet, weil ich nicht gut genug bin, mich um sie zu kümmern. Ich werde nie heiraten oder Kinder haben. Ich werde nie wissen, wie es ist, eine Familie zu haben.» Letby sagte im Prozess, die Notizen seien lediglich Ausdruck ihrer seelischen Qualen, nachdem die Kinder in ihrer Obhut gestorben waren. Das nahm ihr die Jury nicht ab.

Offen ist auch, warum Letby nicht früher gestoppt wurde. Das Klinik-Management hatte Hinweise von Kollegen oder Vorgesetzten ignoriert oder gar schroff zurückgewiesen. Die Regierung hat eine Untersuchung angeordnet. «Nichts kann ändern, was uns geschehen ist», sagt die Mutter der Kinder E und F. «Wegen Lucys Verbrechen sitzen wir eine lebenslange Haftstrafe ab.»

@ dpa.de