Nationalteam, Frauen

Martina Voss-Tecklenburg spricht über Tipps von Hansi Flick und den Umgang mit Star Alexandra Popp.

06.07.2023 - 07:16:13

Voss-Tecklenburg: Hohe Ziele sind absolut richtig. Und sie sagt, was mit dem Boom im Frauenfußball passiert, wenn ihr Team bei der WM früh rausfliegt.

Auch wenn es vor und bei Turnieren stressig wird, behält Martina Voss-Tecklenburg ihr Ritual bei: Sie geht in den Pool, bevor der Tag richtig anbricht.

«So früh, wie ich schwimme, ist noch keiner auf.» Meistens steht die Bundestrainerin der deutschen Fußballerinen um 6.15 Uhr auf und ist dann um 6.30 Uhr im Wasser. Die Tage im Trainingslager in Herzogenaurach sind sonnig und lang. Vor dem Abflug der deutschen Fußballerinnen zur Weltmeisterschaft nach Australien und Neuseeland (20. Juli bis 20. August) spricht die 55-Jährige im Interview der Deutschen Presse-Agentur über die WM-Aussichten, ihre Spielerinnen und die Krise bei den deutschen Männern.     

Frage: Sie haben die Schlagzeilen sicher gelesen: Nach den Debakeln der deutschen Männer bei der WM und der U21 bei der EM müssen jetzt die Frauen die Ehre der Fußball-Nation retten. Können sie das?

Martina Voss-Tecklenburg: Erst mal habe ich das nicht gelesen. Zweitens sehen wir uns auch nicht in dieser Rolle, sondern wir haben einen eigenen Anspruch. Wir wollen eine tolle WM spielen und möchten diesen Vergleich mit den Männern nicht. Wir schauen und konzentrieren uns nur auf uns. Natürlich wäre es auch für mich als DFB-Mitarbeiterin viel, viel schöner, wenn wir gemeinschaftlich auf vielen Ebenen Erfolg haben. Sie wissen auch: Ich bin keine Schwarz-Weiß-Denkerin. Die U17-Jungs sind Europameister geworden, das wird mir im Verhältnis viel zu wenig diskutiert. Ich bin immer zuversichtlich. Wir wollen unsere Leistung bringen – unabhängig davon, was im direkten Umfeld passiert.

Welche Tipps haben Sie von Hansi Flick bekommen? Oder haben Sie gleich dankend abgelehnt?

Wir sind immer im fachlichen Austausch, das wird sich auch nicht ändern. Im Gegenteil: Wir versuchen, voneinander und miteinander zu lernen und zu wachsen. Das ist unabhängig von bestimmten Ergebnissen. Gerade wenn es mal nicht läuft, ist es hilfreich, nachzufragen, wie man mit bestimmten Dingen umgehen kann. Aber das geschieht gegenseitig.

Zuletzt gegen Vietnam, aber auch davor zum Beispiel gegen Brasilien knirschte es noch mächtig. Trotzdem ist der WM-Titel das Ziel – was macht Sie so optimistisch?

Ich würde es etwas anders formulieren. Dass wir uns hohe Ziele setzen, ist absolut richtig und nur das macht für uns Sinn. Wenn wir nicht davon überzeugt wären, dass wir das Potenzial und die Qualität haben, um diesen Titel mitzuspielen, dann würden wir das Ziel auch nicht ausrufen. Ich finde es toll, dass die Spielerinnen diesen Glauben in sich tragen. Es hat auch mal geknirscht und gehakt. Wir können das jedoch ganz gut einordnen und es hat alles gute Gründe. Die muss ich auch nicht wiederholen. Wir wissen aber auch, was wir können, was wir wollen, wo unser Weg hingehen kann. Uns ist klar, dass am Ende viele Dinge zusammenkommen müssen.

Was passiert mit dem Boom im deutschen Frauenfußball, wenn ihr Team im Achtelfinale gegen Brasilien oder Frankreich aus dem Turnier fliegt? 

Wenn wir – egal in welchem Spiel – am Ende vom Platz gehen und sagen können: Wir haben alles aus uns herausgeholt, dann muss man das Gesamte bewerten. Von daher würde ich diese ganze Entwicklung nicht von einem bestimmten Moment abhängig machen. Wir haben ja das Finale bei der EM auch nicht gewonnen. Trotzdem sind uns die Herzen zugeflogen und man hat den Gesamtkontext dieser Leistung gesehen. Deshalb bin ich da erst mal entspannt. 

«Spielerinnen weiter gewachsen»

Gleich acht Spielerinnen aus der Startelf vom 1:2 im WM-Viertelfinale 2019 gegen Schweden könnten Sie in Australien wieder von Anfang an einsetzen. Ihr WM-Gerüst ist zudem fast deckungsgleich mit dem der EM in England im vergangenen Jahr. Kommt da zu wenig nach? 

Nein, gar nicht. Das heißt nur, dass wir eine gute Achse haben, eine gewisse Kontinuität und dass Spielerinnen weiter gewachsen sind in ihrer Persönlichkeit. Nehmen wir mal eine Lena Oberdorf, eine Klara Bühl, eine Giulia Gwinn, die heute ein anderes Standing haben. Wir sehen Entwicklungspotenziale, wir haben uns für bestimmte Spielerinnen entschieden, um genau das voranzutreiben. Ich glaube nicht, dass wir in Deutschland sagen müssen, wir haben Nachwuchsprobleme, weil wir in den letzten Jahren viele junge Spielerinnen etabliert haben. Jule Brand kann ich da noch nennen, Nicole Anyomi. Ich würde es auch gar nicht abhängig machen vom Alter. Man sieht, wie sich eine Merle Frohms entwickelt hat. Ich freue mich, wenn sich auch 28-, 29- oder 30-Jährige weiterentwickeln. Das ist bei uns permanent so. Auch ältere Spielerinnen wie Marina Hegering und Svenja Huth lernen immer noch dazu. Das ist das Coole an dieser Mannschaft, dass niemand sagt: Ich weiß es schon, ich kann es schon, ich habe schon alles gesehen.     

Was muss die Nationalspielerin der Zukunft mitbringen in diesem Sport, der sich rasant weiterentwickelt?

Das ist eine spannende Frage, die ich jetzt noch gar nicht beantworten kann. Ich bin schon so lange dabei, aber selbst ich war ein Stück weit überrascht von dieser Entwicklung – im positiven Sinne. Man ist ja bei einer WM immer überrascht, was bei anderen Teams möglich ist. Das ist ein tolles Zeichen. Es ist vor allem das Zukunftsthema mentale Gesundheit, weil über die größere Sichtbarkeit mehr im Umfeld passiert. Du hast mehr Druck, mehr Mediendruck, aber du darfst nicht in die Situation kommen, dass du dich da überfordert fühlst. Zum Beispiel wird das Thema Soziale Medien immer größer. Viele Nationalspielerinnen haben das bisher selbst gemacht. Jetzt brauchen sie da Unterstützung von ihren Beratern, weil es sonst ein Overload ist.   

Alexandra Popp ist seit ihren EM-Auftritten der große Star im Team. Wie gehen die anderen Spielerinnen damit um?  

Das wird bei uns gar nicht thematisiert. Wir empfinden das gar nicht so, weil viele andere sich auch weiterentwickelt haben. Es gibt keinen Neid, sondern jedem ist klar, dass Stürmerinnen oft etwa mehr im Fokus stehen. Defensivspielerinnen werden auch selten Weltfußballerinnen. Wir freuen uns einfach über die gesamte Entwicklung, die wir gerade anschieben. Darüber Vorbilder zu sein für viele Mädchen und Jungs, die den Weg zum Fußball finden.   

Zur Person: Martina Voss-Tecklenburg ist in Duisburg geboren und lebt mit ihrem Ehemann, dem Unternehmer Hermann Tecklenburg, in Straelen. Aus einer früheren Beziehung hat sie die erwachsene Tochter Dina, die im vergangenen Jahr Töchterchen Lima zur Welt brachte und die Fußball-Bundestrainerin damit zur Oma machte. Für die DFB-Frauen bestritt Voss-Tecklenburg 125 Länderspiele und war viermal Europameisterin und einmal Vize-Weltmeisterin. Sie spielte einst für den TSV Siegen und den FCR 2001 Duisburg. Seit 2018 ist sie Trainerin des deutschen Nationalteams, betreute zuvor die Auswahl der Schweiz. Ihr Vertrag beim DFB läuft bis 2025. 

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