Scholz, Ausgrenzung

Schande, Empörung, Scham: Kanzler Scholz wendet sich 85 Jahre nach der Pogromnacht der Nazis mit klaren Worten gegen Ausgrenzung von Jüdinnen und Juden und Deutschland.

09.11.2023 - 12:33:19

Scholz nennt Ausgrenzung von Juden eine «Schande»

  • Zentralratspräsident Josef Schuster: «Wir wollen frei leben in Deutschland, in unserem Land». - Foto: John Macdougall/AFP POOL/dpa

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  • Bundeskanzler Olaf Scholz bei der Gedenkveranstaltung zum 85. Jahrestag der Pogromnacht in der Synagoge Beth Zion - Foto: John Macdougall/AFP POOL/dpa

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Zentralratspräsident Josef Schuster: «Wir wollen frei leben in Deutschland, in unserem Land». - Foto: John Macdougall/AFP POOL/dpaBundeskanzler Olaf Scholz bei der Gedenkveranstaltung zum 85. Jahrestag der Pogromnacht in der Synagoge Beth Zion - Foto: John Macdougall/AFP POOL/dpa

Am 85. Jahrestag der Pogromnacht der Nationalsozialisten hat Bundeskanzler Olaf Scholz die Menschen in Deutschland dazu aufgerufen, sich aktiv gegen die Ausgrenzung von Juden zu stellen. Ausgrenzung treffe Jüdinnen und Juden seit Jahrhunderten besonders und trotz des Zivilisationsbruchs des Holocausts auch heute noch, sagte Scholz bei einer Gedenkfeier des Zentralrats der Juden in der Berliner Synagoge Beth Zion. «Das ist eine Schande. Mich empört und beschämt das zutiefst.»

Der Präsident des Zentralrats der Juden, Josef Schuster, würdigte zwar, dass heute anders als vor 85 Jahren jüdisches Leben in Deutschland geschützt werde. Er betonte aber auch, dass man nicht hinter «Schutzschildern» leben wolle. «Wir wollen frei leben in Deutschland, in unserem Land, frei leben in dieser offenen Gesellschaft».

Versuchter Brandanschlag auf Synagoge nach Hamas-Terrorattacke

1938 hatten die Nationalsozialisten in der Nacht vom 9. auf den 10. November landesweit eine Gewaltwelle gegen Juden begonnen, die schließlich im Holocaust mündete, der systematischen Ermordung von sechs Millionen Juden in ganz Europa.

Der 85. Jahrestag stand im Zeichen einer neuen Welle antisemitischer Vorfälle in Deutschland nach dem Terrorangriff der Hamas in Israel. Auf die Synagoge Beth Zion im Zentrum Berlins wurde wenige Tage danach ein Brandanschlag versucht. Zwei Unbekannte warfen Mitte Oktober Brandsätze in Richtung des Gebäudes.

Die Gedenkfeier in der Synagoge fand daher auch unter massiven Sicherheitsvorkehrungen statt. Straßen wurden abgesperrt, die Polizei war mit Scharfschützen und gepanzerten Wagen an der Synagoge. Zu den Teilnehmern gehörten Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier, Bundestagspräsidentin Bärbel Bas, mehrere Ministerinnen und Minister sowie Israels Botschafter Ron Prosor, außerdem Angehörige von Geiseln der Hamas im Gazastreifen.

Scholz droht Migranten mit Ausweisung bei Antisemitismus

Sowohl Schuster als auch Scholz sagten mit Blick auf die jüngsten Anfeindungen gegen Juden, dass «etwas aus den Fugen geraten» sei. Der Kanzler betonte, es komme nicht darauf an, ob Antisemitismus politisch oder religiös motiviert sei, ob er von links oder rechts komme, ob er hier gewachsen sei oder von außen ins Land getragen werde. «Jede Form von Antisemitismus vergiftet unsere Gesellschaft. So wie jetzt islamistische Demonstrationen und Kundgebungen. Wir dulden Antisemitismus nicht. Nirgendwo.»

Migranten, die sich antisemitisch verhalten, drohte Scholz mit Ausweisung. Es komme darauf an, an dieser Stelle konsequent zu sein, sagte er. «Und deshalb muss auch jeder wissen: Antisemitismus, wer das macht, riskiert auch aufenthaltsrechtlichen Status.»

Scholz nennt Notwendigkeit von «Schutzschildern» unerträglich

Der Kanzler trug bei seiner Rede eine Kippa, die bei Synagogenbesuchen übliche Kopfbedeckung. Er betonte wie zuvor schon Bundespräsident Steinmeier, dass der Schutz von jüdischen Einrichtungen Staatsaufgabe und Bürgerpflicht zugleich sei. Das allein reiche aber nicht aus. «Wenn Jüdinnen und Juden in Deutschland hinter immer größeren Schutzschildern leben müssen, dann ist das unerträglich», sagte er und nahm damit auf Schusters Rede Bezug. Scholz versprach erneut, dass Polizei und Justiz konsequent gegen jede Form des Antisemitismus vorgehen würden.

Er versicherte Israel erneut die Solidarität Deutschlands im Kampf gegen den Terror der islamistischen Hamas. «Deutschlands Platz ist an der Seite Israels. Israel hat das Recht sich gegen den barbarischen Terror der Hamas zur Wehr zu setzen.» Der Kanzler dankte allen, die bei Kundgebungen, Mahnwachen oder in sozialen Netzwerken Solidarität mit den Opfern des Hamas-Terrors gezeigt haben. «Das gibt Zuversicht und stärkt unser Gemeinwesen.»

Schuster entsetzt über antiisraelische Demonstrationen

Schuster äußerte sich entsetzt über antijüdische Anfeindungen und antiisraelische Demonstrationen in Deutschland seit dem Terrorangriff der Hamas: «Wer verstehen will, warum der Terroranschlag auf Israel in der jüdischen Gemeinschaft auch in Deutschland tiefe Traumata, Ängste und Verunsicherungen hervorruft, der muss sich bewusst sein, was auch 85 Jahre nach der Reichspogromnacht in den jüdischen Seelen vorgeht, wenn wieder Davidsterne an Häuser von Juden gemalt werden, wenn wieder jüdische Geschäfte attackiert werden.»

Er verwies auf «eine Parallele in der Geisteshaltung» bei radikalen Islamisten und Rechtsextremen und geißelte auch die Verachtung für Lehren aus der Geschichte, die er bei linksextremen und linken Kreisen spüre. Hinter vorgehaltener Hand sei Antisemitismus bis in die Mitte der Gesellschaft vorgedrungen.

Was aus den Fugen geraten sei, könne noch repariert werden, sagte Schuster. «Doch dafür muss man sich auch eingestehen, was in den letzten Jahren schiefgelaufen ist, was man nicht hat sehen können oder wollen.»

@ dpa.de