Asylbewerber, Chancen-Aufenthaltsrecht

Mit dem sogenannten Chancen-Aufenthaltsrecht können Menschen, die nur eine Duldung haben, ihren Aufenthalt durch Arbeit und Sprachkenntnisse langfristig absichern.

06.07.2023 - 07:48:50

Zehntausende haben Chancen-Aufenthaltsrecht schon beantragt. Viele machen davon Gebrauch.

Das Chancen-Aufenthaltsrecht stößt bei Ausländern, die von der neuen Regelung profitieren könnten, schon jetzt auf große Resonanz. Das zeigen die Ergebnisse einer aktuellen Umfrage des Mediendienstes Integration in den Bundesländern, die der Deutschen Presse-Agentur vorliegen. Danach haben bereits in den ersten sechs Monaten seit Inkrafttreten der Gesetzesänderung mindestens 49.000 Ausländer einen entsprechenden Antrag gestellt.

Davon wurden den Angaben zufolge rund 17.000 Anträge bereits bewilligt und etwa 2100 Anträge abgelehnt. Demnach waren Tausende Anträge zum Zeitpunkt der Umfrage noch in Bearbeitung. Die kommunalen Spitzenverbände klagen seit Monaten über ein sehr hohes Arbeitsaufkommen in den Ausländerbehörden, auch bedingt durch eine gestiegene Zahl von Flüchtlingen und Asylbewerbern sowie als Folge von Gesetzesänderung.

In der Begründung des Gesetzes war die Bundesregierung von schätzungsweise 98.000 Anträgen auf Erteilung eines Chancen-Aufenthaltsrechts ausgegangen. Zudem wurde vermutet, dass über diese Regelung nach einem Jahr rund 33.000 Menschen die Voraussetzungen für den Übergang in einen gesicherten Aufenthaltstitel erfüllen und diesen dann beantragen würden.

Am Ende gibt es ein dauerhaftes Bleiberecht

Das Gesetz zum Chancen-Aufenthaltsrecht trat am 31. Dezember 2022 in Kraft. Es gibt Menschen, die sich zum Stichtag 1. Oktober 2022 mindestens fünf Jahre geduldet, gestattet oder mit einer Aufenthaltserlaubnis in Deutschland aufgehalten haben, die Möglichkeit, gemeinsam mit ihren Angehörigen für 18 Monate eine Art Aufenthaltserlaubnis auf Probe zu erhalten. Ausgenommen sind Straftäter und Menschen, die zu ihrer Identität «wiederholt vorsätzlich falsche Angaben gemacht» und dadurch ihre Abschiebung verhindert haben. In den Anwendungshinweisen, die das Bundesinnenministerium zum Chancen-Aufenthaltsrecht mitgeliefert hat, heißt es, unter «wiederholt» seien mindestens zwei Falschangaben beziehungsweise Täuschungshandlungen zu verstehen. «Insbesondere liegt ein wiederholtes Handeln vor, wenn der Betreffende gegenüber verschiedenen Behörden Falschangaben gemacht oder getäuscht hat.»

Am Ende der 18 Monate soll ein dauerhaftes Bleiberecht bekommen, wer überwiegend selbst für seinen Lebensunterhalt aufkommt, ausreichende Deutschkenntnisse und eine geklärte Identität vorweisen kann. In den Anwendungshinweisen des Bundesinnenministeriums heißt es: «Sofern während dieser Gültigkeitsdauer die Identität geklärt wird und sich dabei ergibt, dass der Ausländer zuvor getäuscht hat, führt diese Erkenntnis nicht zu einem Erlöschen des Chancen-Aufenthaltstitels.» Denn Ziel des neuen Gesetzes sei es, dass sich die «Ehrlichmachung» nicht nachteilig auswirken solle.

Laut Ausländerzentralregister (AZR) waren Ende 2022 insgesamt 304.308 Menschen in Deutschland ausreisepflichtig, davon 248.145 mit einer Duldung und 56.163 ohne Duldung. Neben abgelehnten Asylbewerbern können auch Touristen, Arbeitnehmer und ausländische Studenten ausreisepflichtig werden, wenn ihr Visum beziehungsweise ihre Aufenthaltserlaubnis abgelaufen ist.

Geduldete sind Menschen, die zwar ausreisepflichtig sind, aber aus bestimmten Gründen nicht abgeschoben werden können. Das kann beispielsweise daran liegen, dass sie keine Ausweisdokumente haben, krank sind oder ein minderjähriges Kind haben, das eine Aufenthaltserlaubnis besitzt. Die Duldung ist befristet.

Regionale Unterschiede bei der Beantragung

Laut Ausländerzentralregister gibt es rund 137.000 Geduldete, die zum Stichtag bereits länger als fünf Jahre in Deutschland lebten. Das bedeutet, dass bereits mehr als jeder Dritte von ihnen schon einen Antrag gestellt hat.

Der Anteil derjenigen, die das Chancen-Aufenthaltsrecht inzwischen beantragt haben, ist regional verschieden, wie die Umfrage ergab. Während sich in Berlin schon rund 59 Prozent und in Bayern 58 Prozent der Berechtigten darum bemüht haben, liegt der Anteil in Nordrhein-Westfalen noch niedriger. Hier hat etwa jeder Dritte einen Antrag gestellt. Fachanwälte für Migrationsrecht äußerten gegenüber dem Mediendienst Integration die Vermutung, dass die Art und Weise, wie die Behörden vor Ort über das Chancen-Aufenthaltsrecht informieren, hier eine Rolle spielen könnte.

Laut Mediendienst wurden in NRW vier Prozent der Anträge abgelehnt. In Bayern und Niedersachsen wurden jeweils rund sechs Prozent der Anträge abschlägig beschieden.

Dass schon relativ viele Anträge gestellt wurden, wertet die Grünen-Innenpolitikerin Filiz Polat als großen Erfolg. Angesichts der regionalen Unterschiede empfiehlt die Bundestagsabgeordnete Ländern, in denen erst wenige Anträge gestellt wurden, zu prüfen, «ob eine aktive Ansprache zur Wahrnehmung des Chancen-Aufenthaltsrechts erfolgt und ob Interessierte eine ausreichende Unterstützung und Beratung erhalten». Ziel müsse es sein, Menschen aus dem «System der entwürdigenden Kettenduldungen» herauszuholen. Das stärke die Integration und entlaste mittelfristig die Kommunen von Bürokratie.

Aus Sicht der Union ist die hohe Nachfrage nach dem Chancen-Aufenthaltsrecht dagegen keine gute Nachricht. Das Gesetz «belohnt diejenigen, die sich jahrelang ihrer Pflicht zur Ausreise widersetzt haben», kritisiert die stellvertretende Fraktionsvorsitzende, Andrea Lindholz. Die CSU-Politikerin sagt: «Selbst eine Täuschung der deutschen Behörden über die Identität und leichte Straftaten werden akzeptiert.» Das sei der völlig falsche Weg.

@ dpa.de