Hubert Aiwanger, Freie Wähler

In der Flugblatt-Affäre versucht es Bayerns Vize-Regierungschef Aiwanger mit einer Entschuldigung - und einem Gegenangriff.

01.09.2023 - 13:15:11

Aiwanger: «Auch ich habe in meiner Jugend Scheiß' gemacht». Den Fragenkatalog will er bis zum Abend beantworten. Doch die Kritik hält an.

In der Flugblatt-Affäre hat sich Bayerns stellvertretender Ministerpräsident Hubert Aiwanger (Freie Wähler) bei einem Bierzeltauftritt in Niederbayern einmal mehr verteidigt. «Jawohl, auch ich habe in meiner Jugend Scheiß' gemacht. Jawohl, ich habe auch Mist gemacht», sagte er beim Karpfhamer Fest in Bad Griesbach (Landkreis Passau). Und weiter: «Das Flugblatt war scheußlich, das ist nicht wegzudiskutieren.»

Er finde es aber nicht in Ordnung, jemanden später in seinem Leben mit Dingen, die 35 bis 40 Jahre zurückliegen, zu konfrontieren «bis zu seiner beruflichen Existenzvernichtung». Es gebe viele Dinge, die man im Nachhinein nicht mehr machen würde. Aber man müsse einem Menschen auch zubilligen, im Leben gescheiter zu werden. Er sprach erneut von einer von langer Hand geplanten Schmutzkampagne gegen ihn, «vielleicht, um die Grünen in die Landesregierung zu bringen».

Aiwanger will Fragen bis zum Abend beantworten

Aiwanger will die 25 Fragen von Ministerpräsident Markus Söder (CSU) zu den im Raum stehenden Vorwürfen möglichst bis zum Abend schriftlich beantworten. «Wenn die Forderung lautet, bis heute Abend, dann werden wir versuchen, bis heute Abend zu liefern», sagte der Freie-Wähler-Chef der Deutschen Presse-Agentur in München. Er fügte hinzu: «Ich will mir hier keinen Vorwurf machen lassen.»

Söder hatte am Morgen den zeitlichen Druck auf Aiwanger erhöht, den Fragenkatalog vom Dienstag nun rasch zu beantworten. «Für mich ist wichtig, dass die 25 Fragen jetzt umfassend und glaubwürdig beantwortet werden, und zwar zeitnah. Und zeitnah heißt am besten noch heute, im Laufe des Tages», sagte der Ministerpräsident am Rande eines Termins im mittelfränkischen Bechhofen. Eine förmliche Frist setzte er seinem Stellvertreter damit allerdings weiterhin nicht.

Was ist bisher passiert?

Aiwanger hatte bereits am Samstag schriftlich zurückgewiesen, zu Schulzeiten ein antisemitisches Flugblatt geschrieben zu haben, über das die «Süddeutsche Zeitung» in ihrer Wochenendausgabe berichtet hatte. Gleichzeitig räumte er aber ein, es seien «ein oder wenige Exemplare» in seiner Schultasche gefunden worden. Kurz darauf gestand Aiwangers älterer Bruder ein, das Pamphlet geschrieben zu haben.

Am Donnerstag entschuldigte sich Aiwanger dann erstmals öffentlich. In Bezug auf die Vorwürfe blieb er bei bisherigen Darstellungen - insbesondere, dass er das Flugblatt nicht verfasst habe und dass er sich nicht erinnern könne, als Schüler den Hitlergruß gezeigt zu haben. Gleichzeitig ging der Freie-Wähler-Chef zum Gegenangriff über, beklagte eine politische Kampagne gegen ihn und seine Partei.

«Ich bereue zutiefst, wenn ich durch mein Verhalten in Bezug auf das in Rede stehende Pamphlet oder weitere Vorwürfe gegen mich aus der Jugendzeit Gefühle verletzt habe», sagte Aiwanger. «Meine aufrichtige Entschuldigung gilt zuvorderst allen Opfern des NS-Regimes, deren Hinterbliebenen und allen Beteiligten und der wertvollen Erinnerungsarbeit.» Von einem möglichen Rücktritt war keine Rede.

Kritik reißt nicht ab

Die Kritik an Aiwanger riss auch nach dessen Entschuldigung bislang nicht ab. Der Präsident des Zentralrats der Juden, Josef Schuster, sagte der «Bild»: «Die Entschuldigung von Hubert Aiwanger bei den Opfern und Hinterbliebenen der Schoah war ein guter, wenn auch längst überfälliger Schritt.» Aber: «Bedauerlicherweise verbindet er dies mit einer Klage über eine politische Motivation der Vorwürfe und lässt weiterhin den Willen zu offener Aufklärung vermissen.»

Die Bundesregierung Sorge äußerte Sorge um das Ansehen des Freistaats. «Hier geht es inzwischen auch um das Bild, das der Freistaat Bayern in der Welt abgibt», sagte Vize-Regierungssprecher Wolfgang Büchner in Berlin. Die schwerwiegenden Vorwürfe gegen Aiwanger müssten aufgeklärt werden, bekräftigte Büchner im Namen von Scholz.

Journalistenverband weist Aiwangers Kampagnen-Vorwurf zurück

Der Deutsche Journalisten-Verband (DJV) wies Aiwangers Vorwurf zurück, Medien würden das antisemitische Flugblatt aus seiner Schulzeit für eine politische Kampagne gegen ihn nutzen. Der DJV-Bundesvorsitzende Frank Überall bezeichnete die Vorhaltungen des Freie-Wähler-Chefs als «kruden Unsinn, mit dem Hubert Aiwanger bei den Verschwörungsideologen andockt».

Es sei unbegreiflich, dass Aiwanger als Vize-Ministerpräsident eines großen Bundeslandes noch nicht einmal rudimentäre Kenntnisse über Journalismus und Medien besitze, sagte Überall. Es sei Aufgabe von Journalistinnen und Journalisten, kritisch über das politische Spitzenpersonal zu berichten, «auch wenn das den Damen und Herren Politikern nicht gefällt». Es gehe die Menschen eine Menge an, ob ein Politiker in seinem Leben vielleicht eine Nähe zum Antisemitismus gehabt habe, sagte Überall. Statt einen Kampagnenvorwurf zu stricken, solle Aiwanger aktiv zur Aufklärung der Vorwürfe beitragen.

Lebensgefährtin: Aiwanger über Vorwürfe «wirklich erschüttert»

Laut seiner Lebensgefährtin Tanja Schweiger ist Aiwanger über die Vorwürfe gegen ihn «wirklich erschüttert». Der Freie-Wähler-Chef sei jemand, «der integriert und nicht ausgrenzt», sagte die Landrätin des Landkreises Regensburg (ebenfalls Freie Wähler) dem TV-Sender Welt. Sie bekomme in dem Zusammenhang E-Mails mit Unterstützung von «wildfremden Leuten». «Die sagen: Der soll durchhalten, wir setzen auf ihn», sagte Schweiger. «Die Solidarität wird täglich größer.»

Schweiger kritisierte zudem Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD), der die Vorwürfe gegen Aiwanger als «sehr bedrückend» bezeichnet und Aufklärung gefordert hatte. «Wenn man einen Bundeskanzler hat, der sich an Vorgänge vor sechs Jahren nicht mehr erinnern kann, wo er eigene Akten dazu hat, wo er aktiv im Handeln war, dann sollte genau derjenige vorsichtig sein, Dinge einzufordern, die 35 Jahre her sind», sagte Schweiger mit Blick auf Scholz' Äußerungen zu seiner Rolle im Steuerskandal bei der Hamburger Warburg-Bank. «Mit dem Finger auf andere zu zeigen und selbst Lücken offen zu machen, zeigt natürlich auch, wo der Wind her weht.»

@ dpa.de