Grüne, Asyl

Die Zustimmung auch ihres eigenen Spitzenpersonals zur geplanten Verschärfung des EU-Asylrechts hat viele Grüne tief empört.

17.06.2023 - 17:48:08

Grüne formulieren Ansprüche an weitere Asyl-Verhandlungen. Beim kleinen Parteitag ist der Ton dann überraschend versöhnlich.

Die Grünen haben bei einem kleinen Parteitag Wünsche für die weiteren europäischen Verhandlungen zum EU-Asylrecht formuliert. Mit deutlicher Mehrheit stellten sich die Delegierten im hessischen Bad Vilbel hinter einen Antrag des Bundesvorstandes, in den zuvor allerdings zahlreiche Änderungen von Kritikern der Entscheidung aus Luxemburg integriert worden waren. Beispielsweise sollen Familien mit Kindern grundsätzlich nicht in Asyl-Schnellverfahren an den EU-Außengrenzen kommen, und EU-Staaten sollen nicht zur Durchführung solcher Grenzverfahren verpflichtet werden.

«Wir wollen ein effektives Menschenrechtsmonitoring an den Außengrenzen und eine verbindliche Verteilung in den Mitgliedsstaaten», heißt es im nun angenommenen Antrag. «Dafür werden wir in enger Abstimmung zwischen Europafraktion, Bundestagsfraktion, Bundespartei und Regierungsmitgliedern kämpfen. Auch das Ergebnis werden wir gemeinsam bewerten.» Die Positionierung am Ende werde davon abhängen, «ob unter dem Strich Verbesserungen in der Europäischen Asylpolitik und auch für Europa stehen.»

Ein weitergehender Antrag der Grünen Jugend, der eine finale deutsche Zustimmung von «substanziellen Verbesserungen» für Betroffene abhängig gemacht hätte, fand keine Mehrheit. Die Nachwuchsorganisation hatte darin unter anderem erklärt, es dürfe keine Verpflichtung zu Außengrenzverfahren geben. Ein weiterer Antrag, der nur relativ vage Verbesserungen beim Schutz von Familien mit Kindern forderte, fand ebenfalls keine Mehrheit.

Ringen um Asylkompromiss

Zuvor hatten die Grünen die Zustimmung der Bundesregierung zu den Plänen für eine Verschärfung des europäischen Asylrechts intensiv, aber ohne persönliche Angriffe diskutiert. Außenministerin Annalena Baerbock verteidigte ihre Zustimmung und versuchte, ihre Abwägungen zu erklären. «Auch mich hat es zerrissen», sagte sie.

Immerhin habe man nun eine Einigung gefunden, die eine bessere Verteilung von Schutzsuchenden in Europa bedeuten würde. «Wir haben im Vergleich zum Status quo eine kleine Verbesserung», sagte Baerbock. Immerhin sollten nun mehr Geflüchtete von den europäischen Außengrenzen auf andere Länder in Europa verteilt werden.

Die schleswig-holsteinische Integrationsministerin Aminata Touré wandte sich in einer emotionalen und stark bejubelten Rede gegen die Entscheidung. «Sie schmerzt mich, sie enttäuscht mich», sagte sie. «Es sind Menschen wie meine Familie vor 30 Jahren», sagte sie um Fassung ringend. «Und deshalb ist es für mich persönlich.» Tourés Eltern waren nach einem Putsch im westafrikanischen Mali nach Deutschland geflohen. So klare Worte wie sie fanden wenige Kritiker.

Worum geht es bei den Reformplänen?

Die EU-Innenminister und -Innenministerinnen hatten am 8. Juni mit einer ausreichend großen Mehrheit für umfassende Reformpläne gestimmt. Asylanträge von Migranten, die aus Herkunftsländern mit einer Anerkennungsquote von weniger als 20 Prozent stammen, sollen bereits an den EU-Außengrenzen innerhalb von zwölf Wochen geprüft werden. In dieser Zeit will man die Schutzsuchenden verpflichten, in streng kontrollierten Aufnahmeeinrichtungen zu bleiben. Wer keine Chance auf Asyl hat, soll umgehend zurückgeschickt werden. Denkbar ist, dass das EU-Parlament noch Änderungen durchsetzt. Es hat bei der Reform ein Mitspracherecht.

Die Bundesregierung, vertreten durch Innenministerin Nancy Faeser (SPD), hatte sich in den Verhandlungen dafür eingesetzt, dass Familien mit Kindern von den sogenannten Grenzverfahren ausgenommen werden. Um die Einigung nicht zu gefährden, musste sie jedoch letztlich akzeptieren, dass dies doch möglich sein könnte. Viele Mitglieder der Grünen haben die Vereinbarung, die Faeser vorab mit Baerbock besprochen hatte, kritisiert. Nun verhandeln das Europaparlament und die EU-Staaten über die Pläne, am Ende muss sich Deutschland noch einmal positionieren.

Baerbock betonte, ihre Partei übernehme Verantwortung und drücke sich nicht vor schwierigen Entscheidungen. «Ich möchte dafür werben, dass wir eine Partei der Zumutung bleiben, egal wie sehr sie schreiben, wir sind zerrissen», sagte sie zu Schlagzeilen der vergangenen Tage zu den internen Konflikten in ihrer Partei.

Nouripour: «Heute steiten - dann für das Richtige kämpfen»

Auch Kritiker des Beschlusses bemühten sich, die Kritik in der Sache von den handelnden Personen zu trennen. Der Grünen-Europaabgeordnete Erik Marquardt, betonte: «Wir haben alle Vertrauen in unser Führungspersonal.» Die Grünen bestimmten derzeit nicht die Debatte. An den europäischen Außengrenzen würden Menschen systematisch entrechtet. Er rief seine Partei darauf auf, stolz zu sein auf ihre Diskussionen und Zweifel. «Wenn man Parteien will, die nicht mehr diskutieren, dann kann man auch gleich nach China gehen.»

Der Europaparlamentarier Rasmus Andresen sagte, es sei schmerzlich, dass Familien mit minderjährigen Kindern von den Grenzverfahren nicht ausgenommen werden sollten. «Aus meiner Sicht seid ihr da einen Schritt zu weit gegangen», sagte er an die Adresse der grünen Regierungsmitglieder. Die hessische Wissenschaftsministerin Angela Dorn verteidigte hingegen den Kompromiss. «Eine Einigung ohne Deutschland wäre viel schlechter ausgegangen», sagte sie. Deutschland mit seiner humanitären Perspektive sei bei den Verhandlungen in Luxemburg leider in einer Minderheitsposition gewesen.

Der Grünen-Vorsitzende Omid Nouripour sagte, aktuell sei die Lage in den Staaten an den EU-Außengrenzen ohne Humanität und ohne Ordnung, das müsse sich ändern. Auch Nouripour verwies auf seine eigene Vergangenheit als Flüchtling aus dem Iran. Er appellierte an die Delegierten: «Lasst uns heute streiten, und dann gehen wir zusammen raus, untergehakt und kämpfen für das Richtige!»

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