Dietmar Woidke, Deutschland

Die Union will es, die Koalitionspartei FDP auch, und nun spricht sich selbst ein SPD-Ministerpräsident dafür aus, die finanziellen Anreize für Migranten zu verringern.

10.10.2023 - 16:21:55

Woidke will Sachleistungen für Flüchtlinge

Brandenburgs Ministerpräsident Dietmar Woidke (SPD) dringt auf eine stärkere Begrenzung der Zuwanderung und schlägt dazu unter anderem vor, Geldzahlungen an Asylbewerber auf Sachleistungen umzustellen. «Um die Anreize zur Migration nach Deutschland zumindest etwas zu verringern, halte ich die Umstellung von Barzahlungen auf Sachleistungen für einen ersten geeigneten Schritt», sagte der Sozialdemokrat der Deutschen Presse-Agentur.

Nordrhein-Westfalens Ministerpräsident Hendrik Wüst (CDU) sagte auch mit Blick auf die jüngsten Landtagswahlergebnisse, ungelöste Migrationsprobleme hätten eine gesellschaftliche Sprengkraft. Er habe Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) schon vor einem Jahr gedrängt, das Thema anzupacken, bevor sich Konflikte daran entzündeten, sagte Wüst in Düsseldorf. «Es ist wenig passiert, leider zu wenig.» Das treibe Wähler in die Arme der AfD.

Bisher kam die Forderung nach der Umstellung auf Sachleistungen vor allem von den Unionsparteien und der Regierungspartei FDP. Der Koalitionspartner Grüne ist bislang dagegen und verweist auf einen zu großen Aufwand. Die Kommunalverbände sträubten sich aus Angst vor zu viel Bürokratie ebenfalls dagegen.

Mehrere Länderchefs wollen den Vorschlag einer Bezahlkarte nach Woidkes Worten bei der Ministerpräsidentenkonferenz in dieser Woche in Hessen machen. «Das ist jetzt nicht nur der Vorschlag aus Brandenburg, sondern es ist ein Vorschlag, den wir auf der Ministerpräsidentenkonferenz am kommenden Donnerstag und Freitag mit den Kolleginnen und Kollegen diskutieren werden», sagte er in Potsdam weiter. «Deutschland muss ingesamt hier ein Signal setzen.»

Was sich Politiker der Grünen wünschen

Der Grünen-Innenpolitiker Julian Pahlke sagte: «Ich gehe davon aus, dass die Diskussion aus dem Wahlkampf um wirkungslose Maßnahmen jetzt beendet ist und an Lösungen gearbeitet wird.» Zuerst sollten alle Arbeitsverbote für Geflüchtete abgeschafft werden. Die Kommunen bräuchten zudem eine deutlich höhere, zuverlässige Finanzierung über den Sechs-Monats-Rhythmus der Ministerpräsidentenkonferenzen hinaus. Die von Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) ausgesetzte Aufnahme von Asylsuchenden aus Italien über den freiwilligen EU-Solidaritätsmechanismus müsse wieder aufgenommen werden.

Brandenburgs Regierungschef Woidke steht unter Druck, weil irreguläre Einreisen über die deutsch-polnische Grenze deutlich zunehmen, der Unmut der Bevölkerung wächst und er im kommenden Jahr eine Landtagswahl bestehen will. In den Umfragen in dem Bundesland liegt die AfD vorn. Bei den Landtagswahlen am vergangenen Sonntag in Bayern und Hessen hatte die SPD verheerende Niederlagen eingefahren.

Was Woidke will

«Es braucht jetzt eine deutliche Senkung der Migrationszahlen für Deutschland einerseits und eine stärkere Bekämpfung der Schleuserkriminalität anderseits», sagte der SPD-Politiker der Deutschen Presse-Agentur. Das sei zuerst die Aufgabe der Bundesregierung. «Deshalb müssen Bund und Länder schnell zusammenkommen, denn wir brauchen eine gemeinsame Kraftanstrengung, um in der Migrationsfrage endlich Lösungen zu finden.» An diesem Freitag dürfte die Entwicklung Thema auch bei der Ministerpräsidentenkonferenz sein.

Der Brandenburger Regierungschef forderte auch, Menschen ohne Bleiberecht «konsequenter in ihre Heimatländer zurückzubringen». «Hierfür müssen wir die Regeln, die schon da sind, konsequent umsetzen», sagte Woidke.

Am Donnerstag wird der Bundestag voraussichtlich über einen Antrag der Union mit dem Titel «Bezahlkarte einführen - Sachleistungsprinzip konsequent umsetzen» beraten. «Die Anreize für eine irreguläre Einreise nach Deutschland müssen dringend abgesenkt werden», sagte der sozialpolitische Sprecher der Fraktion, Stephan Stracke, der dpa. «Ein wesentlicher Grund dafür, dass so viele Asylantragsteller nach Deutschland wollen, sind unsere im EU-Vergleich hohen Sozialleistungen.» Argumente der Grünen, die bei einer Umstellung auf Sachleistungen einen hohen bürokratischen Aufwand befürchten, will der CSU-Politiker nicht gelten lassen. Er sagt: «Die Ausgabe einer Karte wäre sogar auf Dauer einfacher, als immer wieder Bargeld auszugeben.»

Was die Bürger wollen

Dass der Unmut über die aktuelle Migrationspolitik groß ist, zeigt auch eine Insa-Umfrage für die «Bild»-Zeitung. Den 1004 Befragten waren fünf Themenfelder genannt worden, bei denen sie sagen sollten, ob die Bundesregierung weitermachen sollte wie bisher oder einen neuen Kurs einschlagen sollte. Am stärksten wurde ein Kurswechsel in der Migrationspolitik verlangt: 59 Prozent votierten dafür (Weitermachen: 18,5 Prozent). Dahinter folgt der Wunsch nach einem Kurswechsel in der Wohnungspolitik, den 52 Prozent befürworteten (Weitermachen: 20 Prozent).

Was Experten für nötig halten

Auch der Vorsitzende des Sachverständigenrats für Integration und Migration (SVR), Hans Vorländer, sieht das so. «Ich glaube, dass die Ampel-Regierung auch in der Migrationspolitik für Veränderungen sorgen muss, damit die Parteien, aus denen sie besteht, im nächsten Jahr nicht völlig unter die Räder kommen», sagte der Vorsitzende des unabhängigen Expertengremiums der dpa.

Den großen Veränderungswunsch führt Vorländer darauf zurück, dass die Kommunen über ihre Belastung bei der Unterbringung und Versorgung von Geflüchteten klagen, sowie auf den politischen Diskurs: Bisweilen werde suggeriert, es gäbe einfache Lösungen, mit denen sich die Zahl der Schutzsuchenden stark reduzieren lasse, sagte er.

Eine wichtige Stellschraube, an denen die Regierung von SPD, Grünen und FDP drehen müsse, um mehr Kontrolle in das Zuwanderungsgeschehen zu bringen, sei die angestrebte Reform des Gemeinsamen Europäischen Asylsystems (GEAS). Diese sieht für einen Teil der Schutzsuchenden Asylprüfungen an den EU-Außengrenzen und auch Rückführungen von dort vor. Der SVR-Vorsitzende warnte: «Wenn die GEAS-Reform vor der Europawahl (im Juni 2024) nicht erreicht wird, dann ist ein weiteres Erstarken von Rechtsextremisten und Rechtspopulisten in Europa zu erwarten.»

SPD will keine Schlagbäume an den Grenzen

«Wenn wir das in den nächsten Wochen nicht hinbekommen mit einer gemeinsamen Flüchtlingspolitik in Europa, dann drohen uns Zeiten der abgeschotteten Grenzen», sagte der SPD-Vorsitzende Lars Klingbeil. Es bestehe aber die Chance, die «tiefe Spaltung» in der Migrationspolitik jetzt zu überwinden.

@ dpa.de