Entsetzen, Vorfälle

Beleidigungen, ein Angriff und ein Feuer: Erneut kommt es zu wohl antisemitischen Vorkommnissen in Deutschland.

12.11.2023 - 14:59:19

Entsetzen über antisemitische Vorfälle. Politiker zeigen sich entsetzt.

Politiker haben mit Entsetzen auf neuerliche antisemitische Vorkommnisse in Deutschland reagiert. So wurden vor der Neuen Synagoge in Erfurt ausgelegte Papiere angezündet. In Frankfurt am Main wurden drei Männer wegen antisemitischer Beleidigungen festgenommen. Nach Einschätzung von Bundestagspräsidentin Bärbel Bas ist Antisemitismus in Deutschland zu lange unterschätzt worden.

Brennende Zettel vor Synagoge

In Erfurt wurden in der Nacht zum Sonntag vor der Neuen Synagoge Zettel angezündet. Nach Angaben von Thüringens Staatskanzlei hatten Menschen auf den Schreiben ihre Solidarität mit Israel bekundet. Die Polizei nahm demnach zwei verdächtige betrunkene Männer aus Libyen vorübergehend fest, sie kamen aber wieder frei. Laut Polizei waren sie 22 und 25 Jahre alt. Es sei niemand verletzt worden, an den Treppenstufen der Synagoge seien leichte Verrußungen entstanden.

Nach Angaben von Thüringens Innenminister Georg Maier (SPD) handelt es sich bei den beiden dringend Tatverdächtigen um Asylbewerber aus Libyen. Das lege den Verdacht nahe, dass es sich um eine politisch motivierte Straftat handle. Der Staatsschutz sei aktiv geworden. «Man muss davon ausgehen, dass die Synagoge gezielt angesteuert wurde.»

Sollte sich der Verdacht bestätigen, sprach sich Maier für eine Ausweisung der beiden Männer aus. «Der Rechtsstaat muss nun beweisen, dass er funktioniert.» Thüringens Ministerpräsident Bodo Ramelow (Linke) sagte laut Mitteilung: «Das ist keine Ordnungswidrigkeit, das ist auch kein Dummejungenstreich, hier wurden ganz klar rote Linien überschritten.» Wer Hand an Synagogen oder Kirchen lege, könne für sich selbst keinen Schutz geltend machen, denn er verstoße gegen die Schutzregeln zur Religionsfreiheit in der Verfassung.

Antisemitische Beleidigungen

In Frankfurt löste die Beleidigung von zwei Männern jüdischen Glaubens Empörung aus. Laut Polizei hielten sich der Rabbiner der Jüdischen Gemeinde Frankfurt und das Mitglied der Jüdischen Gemeinde Dortmund am Samstagabend vor dem Eingang eines Hotels auf, als die drei Tatverdächtigen sie aufgrund ihrer religiösen Zugehörigkeit beleidigten. Die beiden Männer waren laut Polizei im Rahmen der Ratsversammlung des Zentralrats der Juden in Deutschland Gäste in dem Hotel. Einer von beiden habe zum Tatzeitpunkt eine Kippa getragen.

Die Polizei nahm die drei teils stark alkoholisierten Tatverdächtigen fest. Bei ihnen handele es sich um aus Baden-Württemberg angereiste American Football-Fans. Die Jüdische Gemeinde Frankfurt teilte mit, es sei Strafanzeige gestellt worden, man hoffe, dass strafrechtlich Konsequenzen gezogen würden. «Aus der geschichtlichen Erfahrung wissen wir nämlich, dass viel zu oft aus Worten leichtfertig Taten werden.» Frankfurts Oberbürgermeister Mike Josef (SPD) teilte mit: «Wir sind bestürzt über den antisemitischen Vorfall und verurteilen Angriffe auf Jüdische Bürgerinnen und Bürger in unserer Stadt klar und deutlich.»

Attacke gegen Israeli

In Berlin wurde ein 37 Jahre alter Israeli, der Davidstern-Sticker verteilt hat, am Samstag vor einem Restaurant angegriffen und bedroht. Laut Zeugen wollte er zusammen mit einem Begleiter Solidarität mit Israel zeigen, wie die Polizei mitteilte. Demnach filmten beide die Aktion mit einer Kamera. Das Auslegen der Aufkleber in dem Lokal missfiel jedoch dem Besitzer. Er verwies sie auf die Straße und rief laut einer Polizeisprecherin «Hier nicht!». Vor dem Geschäft habe sich ein Streit entwickelt. Der Beschäftigte sei auf den 37-jährigen Israeli losgegangen. Er soll auf die eingeschaltete Kamera geschlagen und laut der Sprecherin gerufen haben: «Ich schneide dich auf!»

Laut «Bild»-Zeitung handelt es sich bei dem Angegriffenen um den israelischen Filmemacher Gilad Sade. Das Blatt zitiert ihn mit den Worten: «Der Mann stürmte mit einem Döner-Messer auf mich zu.» Er sei gerade in Deutschland, um einen Film zu drehen. «So angegriffen wurde ich noch nie. Angst habe ich nicht um meine Person, sondern um alle jüdischen Menschen. Und unsere ganze Gesellschaft.»

Bundestagspräsidentin in Sorge

Seit dem Angriff der islamistischen Hamas auf Israel vor rund fünf Wochen kam es bundesweit zu etlichen antisemitischen Vorfällen: Israelflaggen wurden heruntergerissen oder Haustüren mit einem Davidstern beschmiert.

Bundestagspräsidentin Bärbel Bas sagte der «Bild am Sonntag»: «Wir als Gesellschaft haben den Antisemitismus nicht gesehen oder wollten ihn nicht sehen - ob in der Kulturszene, im Internet oder im Alltag.» Jetzt breche sich der Antisemitismus hemmungslos Bahn. «Und zwar von Rechten, von Linken, von Zugewanderten. Was gerade auf unseren Straßen und im Netz los ist, macht mir richtig Sorge.» Es brauche einen Schulterschluss aller gesellschaftlichen Gruppen gegen Judenfeindlichkeit.

Die Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), Annette Kurschus, forderte von Christinnen und Christen mehr Anstrengungen im Kampf gegen Antisemitismus. Jüdische Menschen dürften «nicht den Hauch eines Zweifels haben, dass sie auf die Kirchen zählen können», sagte die Theologin in Ulm. Dort tagt bis Mittwoch das Kirchenparlament, die so genannte Synode.

Faeser: Rechtsstaat muss hart durchgreifen

Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) hat sich vor dem Hintergrund antisemitischer Vorfälle bei propalästinensischen Demonstrationen grundsätzlich offen für eine Änderung des Strafrechts gezeigt. Sie plädiert allerdings dafür, zunächst die geltenden Regeln auszuschöpfen. Sie sehe da noch Luft nach oben, sagte die SPD-Politikerin in der ZDF-Sendung «Berlin direkt».

Schnelle Strafen und tatsächliche Verurteilungen seien wichtig. «Wenn man dafür das Strafrecht ändern muss, dann bin ich dafür, aber ich wäre jetzt erst einmal dafür, dass das geltende Strafrecht auch wirklich angewendet wird.» Es brauche ein hartes Durchgreifen des Rechtsstaates. «Die Menschen müssen das sehen, und die Täter müssen es vor allen Dingen spüren.»

@ dpa.de