Frankfurt-News, Fundamentale

Portfoliomanager Schlienkamp sieht, dass aktuell in vielen Bereichen noch eine gewisse operative Skepsis für 2024 gegeben ist, die Bewertung vieler Unternehmen jedoch auch auf dem aktuellen Kursniveau im historischen Vergleich eher niedrig ist.Im bisherigen Verlauf des Jahres haben wir über 400 Gespräche mit börsennotierten Gesellschaften geführt.

15.12.2023 - 11:34:16

Börse Frankfurt-News: Fundamentale Vorsicht trifft auf niedrige Bewertung

Portfoliomanager Schlienkamp sieht, dass aktuell in vielen Bereichen noch eine gewisse operative Skepsis für 2024 gegeben ist, die Bewertung vieler Unternehmen jedoch auch auf dem aktuellen Kursniveau im historischen Vergleich eher niedrig ist.

Im bisherigen Verlauf des Jahres haben wir über 400 Gespräche mit börsennotierten Gesellschaften geführt. Durch diese intensiven Dialoge erhalten wir als aktive Stockpicker einen persönlichen Eindruck von den aktuellen Entwicklungen und relevante Informationen aus erster Hand. Sie geben auch einen tiefen Einblick in die Art der Unternehmensführung und offenbaren, mit welchen Herausforderungen diese Unternehmen konfrontiert sind - auch im Hinblick auf das Jahr 2024.

Die Lage ist (noch) gut

Tatsächlich ist die Lage der Unternehmen oft besser als die allgemeine Stimmung in der Bevölkerung, jedoch wohl nicht ganz so gut, wie es das neueste Allzeithoch im DAX implizieren könnte. Eine gewisse Vorsicht ist spürbar, da es an klaren Wirtschaftsimpulsen fehlt. Diese wären wiederum notwendig, um einem potenziellen Rückgang der Auftragslage effektiv entgegenzuwirken. Das Gros der Unternehmenslenker weist regelmäßig darauf hin, dass ihre Zukunftsprognosen unter der Prämisse einer stabilen wirtschaftlichen Gesamtsituation stehen und bei einer Verschlechterung der Lage entsprechend angepasst werden müssten.

Auf die Politik ist kein Verlass

Ein gemeinsamer Nenner aus den zahlreichen Managementgesprächen der letzten Wochen ist, dass sich gerade die mittelständischen Unternehmen von der Politik allein gelassen und von der überbordenden Regulierung in zahlreichen unterschiedlichen Bereichen überfordert fühlen. Trotz dieser Herausforderungen bewältigen viele dieser Unternehmen ihre Lage bemerkenswert gut und zeigen eine beachtliche Resilienz.

Noch zehren viele Unternehmen von den gut gefüllten Auftragsbüchern und erzielen dank Preismacht hohe Margen und Gewinne. Es bedarf einer baldigen Aufhellung der Lage, um dem sich anbahnenden Auftragsschwund zu begegnen. Teilweise hat man diese in den letzten Wochen aber schon erkannt.

Steigende Zinskosten voraus

Das gestiegene Zinsniveau macht den Unternehmen durchaus zu schaffen. Manch cleverer Finanzvorstand hat sich zwar in der Niedrigzinsphase langfristig günstig refinanziert und kann die Liquidität nun übergangsweise teilweise höher verzinslich anlegen. Doch für die meisten und gerade für viele hoch verschuldete Unternehmen stellen die gestiegenen Zinskosten eine beträchtliche Belastung des Nettoergebnisses dar, die man im Vergleich zu anderen Kostenpositionen nur indirekt an die Kunden weiterreichen kann. Einige Konzerne, wie z.B. im Immobilien-Sektor, versuchen noch, diese neuen Zinsniveaus zu vermeiden, indem sie Teilbereiche/Assets veräußern oder vorübergehend kurzlaufende Anschlussfinanzierungen abschließen - in der Hoffnung auf bald wieder bessere Konditionen.

Repatriierung der Produktion

Das Thema Deglobalisierung ist gerade für deutsche Unternehmen als langjährige Globalisierungsprofiteure relevant. Die unmittelbaren Folgen der Umkehr dieses Trends zeigen sich primär in weniger Wachstum der exportstarken Industrien. Auf der anderen Seite bietet dies die Chance des Aufbaus einer zusätzlichen, repatriierten Produktion. Hier zeigt sich jedoch eine abwartende Haltung vieler Unternehmen, die entweder auf entsprechende privatwirtschaftliche Aufträge oder auf Anreize und Impulse der hiesigen Regierungen warten. In beiden Fällen sind langfristige Planbarkeit und Verlässlichkeit zentral.

Public Equity im Visier

Auch wenn ein Vorstand nicht die eigene Aktienkursentwicklung in Investorenmeetings kommentieren soll. Es bleibt gerade bei Mid- und Small Caps das Unverständnis über die niedrigen Bewertungen und die folglich schwachen Kurse. Technische Faktoren wie geringere Liquidität bei Nebenwerten, der Trend zum passiven Investieren in größer kapitalisierte Unternehmen und ausbleibende Zuflüsse in die Kategorie sind nur einige Erklärungsversuche unter vielen. Was jedoch hoffnungsvoll stimmt, ist die steigende Anzahl an Übernahmen in diesem Segment. Private Equity findet immer öfter in Public Equity attraktiv bewertete Ziele. Die Taschen sind gut gefüllt, das Jahresende naht, die Bewertungen bei vielen bedeutenden Spielern in eigenen Nischen niedrig.

Stockpicking ist key

Zusammengefasst lässt sich sagen, 2024 wird erneut ein spannendes Aktienjahr werden. Wer wird sich durchsetzen? Gewinnen die Bären mit ihrer fundamental begründeten Skepsis oder die Bullen mit ihrer Multiplikatorenausweitung dank fallender Zinsen? Wie so oft: Aktives Stockpicking wird im nächsten Jahr gefragter sein denn je.

von Christoph Schlienkamp, 15. Dezember 2023, © GS&P

Christoph Schlienkamp ist Portfoliomanager bei der GS&P Kapitalanlagegesellschaft S.A. und geschäftsführender Vorstand der DVFA (Deutschen Vereinigung für Finanzanalyse und Asset Management e.V.) und dort auch Vorsitzender der Kommission Unternehmensanalyse.

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