Rollenwechsel, Entwicklungskit

Rollenwechsel für das Entwicklungskit

Von Mark Cundle, Technical Marketing Manager RS Components

Vor ca. zehn Jahren war die Embedded-Welt wesentlich einfacher (oder sie schien es zumindest zu sein), und das Entwicklungskit stellte einen hervorragenden Ausgangspunkt für Embedded-Projekte dar. Wie ein Kind an seinem Geburtstag, das aufgeregt seine Geschenke auspackt, fanden Entwickler wahrscheinlich eine hübsche Sammlung von Entwicklungsressourcen vor, einschließlich einer Evaluierungsplatine mit einem Prozessor oder Mikrocontroller und/oder einem FPGA, Speicher und Peripheriegeräten, eine Menge Soft wareentwicklungstools, möglicherweise sogar einer vollständigen IDE (Integrated Development Environment) oder einer Art von Betriebssystem-Soft ware. Das Paket enthält heutzutage noch mehr Geburtstagsgeschenke, aber ist es immer noch der beste Ausgangspunkt für ein Entwicklungsprojekt? Die Antwort auf diese Frage ist nicht mehr so eindeutig.

Ein Projekt starten

Für viele Elektronikdesigns waren Entwicklungskits ideal zum Erstellen eines ersten Prototyps. Zusammen mit der Entwicklung der Embedded-Software und dem Konfi gurieren einer kleinen Konstellation von Komponenten und Kabeln, konnten Entwickler über die Kits zumindest eine Annäherung an das gewünschte Endprodukt schaffen. Natürlich sind die enthusiastischsten Befürworter von Entwicklungskits oft softwareoriente Entwickler, die sich mit dem Layout von Leiterplatten lieber nicht befassen. Das Beheben von Leiterplatten-Designproblemen kann schwierig und teuer sein. Der Gebrauch eines Kits bedeutet für Softwareentwickler, dass die Hardware aus der

Embedded-Konstruktion herausgenommen wird, so dass sie sich auf ihre Kernkompetenz – das Schreiben des Codes - konzentrieren können.

Hardware-Prototypen

Für viele Firmen, die Elektronikhardware entwickeln, muss das Layout jedoch typischerweise vor der Softwareentwicklung ausgearbeitet werden. Dies kann beträchtliche Risiken und Kosten mit sich bringen, da Hardwaredesigner einen Prototyp mit hoher Funktionalität entwickeln müssen, bevor das

Debugging erfolgen kann. Bedeutend niedrigere Kosten für Prototypplatinen im Laufe der letzten Jahre haben diese jedoch konkurrenzfähig gemacht und Entwickler sehen sie heute zunehmend als eine ernsthafte Alternative zum Entwicklungskit an. Das bedeutet, dass Entwickler ein erstes Hardwaredesign liefern können, einschließlich Prozessor, Speicher, Peripheriegeräte und

Strommanagement, auf dessen Grundlage ein lokaler Leiterplattenbetrieb dann zu geringen Kosten und in kleinen Stückzahlen Prototypen fertigt. Die Prototypplatine stellt also die erste Iteration des Designs dar – und sie übernimmt damit die Rolle des Entwicklungskits. Der Prototyp wird dem Endprodukt wesentlich näher sein, als es beim Gebrauch eines standardmäßigen Kits möglich ist, und er sollte zu weiter verbesserten Designs führen, die in erster Linie Fehlerkorrekturen für die erste Iteration sind.

Open Source-Tools

Zusätzlich zu den sinkenden Kosten für speziell gefertigte Leiterplatten war eine deutliche Zunahme in der Verfügbarkeit von funktionsreichen Leiterplatten-Designtools wie DesignSpark PCB,

von Testsoftware und von Open Source Software (Betriebssysteme, Designvorlagen und Codebibliotheken) zu verzeichnen. Darüber hinaus sind vielfältige Open Source und urheberrechtsgeschützte Hardware-Designs verfügbar, wie z. B. wenn eine potenziell

problematische Hochgeschwindigkeitsschnittstelle auf einer Leiterplatte wiederverwendet werden kann, zusammen mit schnell herunterladbaren Software-Stacks und Treibern.

Entwickler sind also zunehmend weniger an Standardplatinen gebunden, die vom Kitanbieter mit Blick auf ein breites Verwendungsspektrum mit standardmäßigen Komponenten ausgestattet wurden. Und sie müssen sich auch nicht mehr mit dem Mangel an geeigneten Peripheriegeräten in Entwicklungskits abfi nden, welche diese für spezialisierte Anwendungen ungeeignet machen.

Anpassung an die Umgebung

Die obigen Entwicklungen haben zu einer graduellen Verschiebung im Verwendungszweck von Entwicklungskits geführt. Wie andere Produkte auch muss es sich anpassen, um auf einem veränderlichen Markt überleben zu können. Eine sehr wichtige Konsequenz war, dass der Preis von Kits drastisch sank, von Tausenden von Dollar oder Euro bis auf weniger als 100.

Entwicklungskits enthalten heute darüber hinaus wesentlich mehr Ressourcen, wie z. B. spezifi sche Softwaretools, die mit frei verfügbaren IDEs integriert werden können, und grundlegende Designbibliotheken, die den Entwicklungsprozess beschleunigen. Hersteller von MCUs, Prozessoren und FPGAs bieten in zunehmendem Maß Kits mit Hardware-Referenzdesigns und spezifi schen Software-Stacks an, die auf anwendungsspezifi sche Anforderungen zugeschnitten sind und für Elektroniker daher sehr kostengünstige und schnelle Entwicklungsoptionen darstellen können. Ein Beispiel für ein anwendungsorientiertes Kit stammt von Texas Instruments und es handelt sich dabei um eine Entwicklungsplattform, die auf dem DaVinci-DSP für den Einsatz in Digitalvideo-Anwendungen basiert. TI bietet darüber hinaus auch Kits für andere anwendungsspezifi- sche Märkte, wie drahtlose Netze, Gesundheitswesen, Automobilbau, Sicherheit und Consumer-Produkte

Prozessorauswahl

Dass ein Entwicklungskit ein äußerst nützliches Hilfsmittel bei der Auswahl eines geeigneten Systemprozessors oder Mikrocontrollers für ein Projekt ist, steht fast völlig außer Frage. Kits basieren normalerweise auf den beliebtesten und am weitesten verfügbaren MCUs, da Versorgungssicherheit immer berücksichtigt werden muss und da eine MCU, die auf das Ende der Produkt-Lebensdauer zugeht, einen bedeutenden Risikofaktor darstellen kann. Eine wichtige Funktion ist, dass Entwickler mit einem Kit schnell einen Konzeptnachweis erbringen können: sie können sicherstellen, dass die MCU die erforderliche Leistung bereitstellt, bestätigen, dass die Kommunikationskanäle korrekt funktionieren, während das Ausführungsprogramm läuft, oder sie können prüfen, ob eine Idee auf einem kostengünstigen FPGA realisiert werden kann.

Eine Community aufbauen

Darüber hinaus konzentrieren die großen Halbleiterhersteller sich zunehmend darauf, ihre jeweiligen Entwickler-Communities auszuweiten, um Markentreue zu fördern und engere Kontakte mit Entwicklern zu pfl egen. In diesen Communities werden Entwicklerinformationen zusammengetragen und kostenlose Online- Softwaretools sowie andere Software- und urheberrechtsgeschützte Ressourcen angeboten. Außerdem stehen Onlinesupport und Diskussionsforen zur Verfügung, welche den Entwicklungsprozess beschleunigen können.

Eine neue Rolle?

Trotz zunehmender Differenzierung und wachsender Funktionalität im Rahmen eines deutlich erweiterten Support-Ökosystems verbleibt dennoch die Frage, ob wir uns einem Punkt nähern, an dem Kits keine führende Rolle im Entwicklungszyklus mehr spielen.

@ ad-hoc-news.de | 11.08.13 18:40 Uhr