Tötung, Hamas-Anführer

Was soll nach dem Krieg aus dem Gazastreifen werden? Darüber wird in Israels Regierung diskutiert.

05.01.2024 - 15:44:15

Nach Tötung von Hamas-Anführer: Vergeltung erneut angekündigt. Für die Zivilisten ist ein Ende des Leids noch nicht in Sicht - im Gegenteil. Der Überblick.

Während Israels Armee den Krieg im Gazastreifen fortsetzt und Hilfsorganisationen über die unzureichende Versorgung der Zivilisten klagen, diskutiert die Regierung über die Zukunft des zerbombten Küstengebiets. Verteidigungsminister Joav Galant sieht die Palästinenser nach Kriegsende in der Verantwortung für das Gebiet.

Auch für die Lage an Israels Grenze zum Libanon, wo es immer wieder gewalttätige Konfrontationen mit der Hisbollah-Miliz gibt, drängt Ministerpräsident Benjamin Netanjahu auf eine Lösung. Derweil wird US-Außenminister Antony Blinken heute zu einem erneuten Vermittlungsbesuch im Nahen Osten erwartet. Es soll um mehr humanitäre Hilfe für Gaza, die Befreiung der restlichen Hamas-Geiseln sowie um einen besseren Schutz von Zivilisten in dem Konflikt gehen.

Verteidigungsminister: Palästinenser sollen Kontrolle übernehmen

«Es wird keine Präsenz israelischer Zivilisten im Gazastreifen geben, nachdem die Kriegsziele erreicht wurden», sagte Galant. Einige rechtsextreme Minister hatten sich zuvor für eine Wiederbesiedlung durch Israel nach Kriegsende ausgesprochen.

Deutschland, Frankreich und die USA kritisierten die Aussagen scharf. Lokale palästinensische Akteure, die Israel nicht feindlich gesinnt seien, sollen laut Galant die Kontrolle des Palästinensergebiets übernehmen. Welche Akteure dies konkret sein könnten, ließ er offen.

Netanjahu pocht auf Lösung an Grenze zum Libanon

Regierungschef Netanjahu pochte derweil bei einem Treffen mit dem US-Gesandten und Vermittler Amos Hochstein auf eine Lösung an der Grenze zum Libanon, damit die von dort evakuierten Anwohner zurückkehren können.

Israel bevorzuge, dass dies auf diplomatischem Weg geschehe, sagte Netanjahu nach Angaben seines Büros am Donnerstag. Es brauche dafür eine «grundlegende Änderung» an der Grenze. Wie diese konkret aussehen soll, teilte er nicht mit. Israelischen Medien zufolge will das Land, dass die libanesische Hisbollah-Miliz ihre Kämpfer vollständig aus dem Grenzgebiet abzieht.

Seit Beginn des Gaza-Kriegs am 7. Oktober nach dem Massaker der Hamas in Israel hat sich die Lage auch dort zugespitzt. Es ist die schwerste Eskalation seit dem zweiten Libanon-Krieg 2006. Bei dem regelmäßigen Beschuss zwischen der israelischen Armee und der proiranischen Hisbollah-Miliz gab es auf beiden Seiten bereits Tote, darunter auch Zivilisten. Die Hisbollah hat Verbindungen zur Hamas, gilt aber als schlagkräftiger.

Hisbollah-Chef: Al-Aruris Tötung nicht ohne Reaktion

Hisbollah-Chef Hassan Nasrallah kündigt indes zum wiederholten Mal Vergeltung für die Tötung des Hamas-Anführers Saleh al-Aruri angekündigt. «Die Ermordung Al-Aruris (...) wird sicherlich nicht ohne Reaktion und Strafe bleiben», sagte der Generalsekretär der proiranischen Schiitenorganisation in einer Ansprache. Der Libanon würde bloßgestellt, wenn die Tötung ohne Reaktion bliebe. Die Antwort werde zwangsläufig kommen.

Al-Aruri wurde am Dienstag in der libanesischen Hauptstadt Beirut mutmaßlich von Israel getötet. Seine Tötung hatte Befürchtungen neuen Auftrieb gegeben, dass der Gaza-Krieg auch den Libanon erfassen könnte. Seit Beginn der israelischen Offensive in dem Küstenstreifen nach dem Massaker von Hamas-Terroristen und anderen Extremisten in Israel am 7. Oktober kommt es in der Grenzregion fast täglich zu Konfrontationen zwischen Israels Armee und der Hisbollah.

Die israelische Armee griff heute nach eigenen Angaben wieder Stellungen der Schiitenmiliz Hisbollah im Südlibanon an. Kampfjets hätten Einrichtungen der mit dem Iran verbündeten Miliz bei den Orten Majdalsun und Aita al Schaab bombardiert, teilte die Armee am Freitag mit. Es habe sich um militärische Posten der Hisbollah und Orte gehandelt, von denen aus Terroristen ihre Angriffe vorbereitet hätten.

Die USA wollen, dass die im Westjordanland regierende und von der Palästinenserorganisation Fatah dominierte Palästinensische Autonomiebehörde (PA) wieder die Kontrolle im Gazastreifen übernimmt. Netanjahu ist dagegen. Einige Vertreter der Fatah-Partei hatten Verständnis für das Hamas-Massaker am 7. Oktober in Israel geäußert. Die Hamas hatte die PA 2007 gewaltsam aus dem Küstenstreifen vertrieben. Die Fatah und die Hamas sind die zwei größten Palästinenserorganisationen - und seitdem erbitterte Rivalen. Seit einigen Jahren gab es aber Versöhnungsgespräche zwischen beiden.

Israel beginnt neue Phase im Gazakrieg

Galant sagte weiter, nach der Phase schwerer Bombardierungen werde die Armee im Norden Gazas nun zu einem neuen Kampfansatz übergehen. Dieser umfasse gezielte Razzien, die Zerstörung von Tunneln, Bodeneinsätze sowie Luftangriffe, um «verbleibende Terrorherde in der Gegend» zu bekämpfen. Der Krieg werde so lange fortgesetzt, bis alle Geiseln freigelassen würden und die militärische und politische Führung der Hamas zerschlagen sei. Die Armee geht nach neuen Informationen von derzeit noch 136 Geiseln im Gazastreifen aus.

Bei den anhaltenden schweren Kämpfen der israelischen Armee gegen die islamistische Hamas im Gazastreifen sind binnen 24 Stunden weitere 161 Menschen getötet und 296 verletzt worden. Wie die von der Hamas kontrollierte Gesundheitsbehörde mitteilte, stieg die Zahl der seit dem blutigen Überfall der Hamas auf Israel am 7. Oktober in dem Küstenstreifen durch Gegenangriffe Israels getöteten Menschen auf 22.600 und die der Verletzten auf 57.910.

UN beklagen humanitäre Lage im Gazastreifen

Hilfsorganisationen können nach Angaben des UN-Nothilfebüros OCHA seit Tagen keine dringend benötigte lebensrettende Hilfe in den Norden des Gazastreifens liefern. Wie OCHA in der Nacht mitteilte, seien UN- und ihre Partnerorganisationen vier Tage lang nicht in der Lage gewesen, humanitäre Hilfe nördlich des Flusses Wadi Gaza zu liefern, da der Zugang zu den Gebieten verzögert oder verweigert worden sei und in dem Gebiet weiter gekämpft werde. Dazu gehörten Medikamente, um mehr als 100.000 Menschen einen Monat zu versorgen.

Israel mit erneuter Razzia im Westjordanland

Unterdessen hat Israels Militär eigenen Angaben zufolge eine Razzia im Flüchtlingslager Nur Schams in Tulkarm im Nordwesten des Westjordanlands nach mehr als 40 Stunden beendet. Elf Menschen wurden bei dem Anti-Terror-Einsatz festgenommen, wie die Armee am Donnerstag mitteilte. Was ihnen genau vorgeworfen wird, wurde nicht mitgeteilt.

Hamas-Anführer: Israel gräbt sich eigenes Grab

Nach Einschätzung des ehemaligen Vorsitzenden der islamistischen Hamas, Chaled Maschaal, gräbt sich Israel mit seinem Krieg im Gazastreifen «sein eigenes Grab». Die terroristische Organisation verbreitete am Donnerstagabend die Ansprache Maschaals. Anlass war die Tötung des Vize-Leiters des Politbüros der Hamas am Dienstagabend in der libanesischen Hauptstadt Beirut. Maschaal warf Israel vor, seine «Aggressionen» ins Ausland auszuweiten, «weil sie denken, dass dies den Widerstand bricht».

«Der Feind glaubt auch, dass durch die Ermordung von Anführern der Widerstand gebrochen und die Führung geschwächt wird», sagte der Hamas-Anführer. «Das ist eine große Illusion.» Immer wenn ein Anführer ausscheide, werde ein neuer aufsteigen.

@ dpa.de