Nahost, Mahmud Abbas

Während Israels Armee eine Bodenoffensive gegen die Hamas im Gazastreifen vorbereitet, suchen Hunderttausende Zivilisten Schutz im Süden.

16.10.2023 - 08:03:03

Israels Militär setzt Bombardement im Gazastreifen fort. Ihre Lage ist katastrophal. Die Entwicklungen im Überblick.

  • Rauchschwaden steigen nach israelischen Luftangriffen über dem Gazastreifen auf. - Foto: Abed Rahim Khatib/dpa

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  • Eine Granate der israelischen Artillerie explodiert über einem Haus in einem libanesischen Grenzdorf. - Foto: Hussein Malla/AP/dpa

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  • Raketen werden aus dem Gazastreifen auf Israel abgefeuert. - Foto: Leo Correa/AP/dpa

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Rauchschwaden steigen nach israelischen Luftangriffen über dem Gazastreifen auf. - Foto: Abed Rahim Khatib/dpaEine Granate der israelischen Artillerie explodiert über einem Haus in einem libanesischen Grenzdorf. - Foto: Hussein Malla/AP/dpaRaketen werden aus dem Gazastreifen auf Israel abgefeuert. - Foto: Leo Correa/AP/dpa

Während Hunderttausende Palästinenser im Süden des Gazastreifens Schutz vor der erwarteten israelischen Bodenoffensive suchen, bombardiert Israels Luftwaffe nach eigenen Angaben weiter Hamas-Ziele. In den vergangenen 24 Stunden seien die Angriffe im Gazastreifen fortgesetzt worden, gab das israelische Militär am frühen Morgen bekannt.

Wie die Nachrichtenseite Ynet unter Berufung auf Palästinenser berichtete, handelte es sich um die bislang schwersten Angriffe. Israels Luftwaffe fliegt seit den Hamas-Terrorangriffen vor zehn Tagen Gegenangriffe im Gazastreifen. Die Zahl der getöteten Palästinenser im Gazastreifen stiegt auf 2750. Weitere 9700 Menschen seien verletzt worden, teilte das Gesundheitsministerium in Gaza, das auch der Hamas untersteht, mit.

Die Armee forderte erneut die Bevölkerung im Norden des Gazastreifens und der Stadt Gaza zur Flucht in den Süden des Küstengebietes auf. Die Armee werde zwischen 8.00 und 12.00 Uhr (7.00 und 11.00 Uhr MESZ) einen entsprechenden Fluchtkorridor nicht angreifen, teilte ein Armeesprecher in arabischer Sprache auf der Plattform X (vormals Twitter) mit. Dazu veröffentlichte er eine Karte mit einer eingezeichneten Route.

Das Bombardement hat schwere Verwüstungen in dem schmalen Küstenstreifen angerichtet. Die Zahl der Toten stieg inzwischen auf 2670. Dies teilte das Gesundheitsministerium in Gaza, das auch der Hamas untersteht, am Sonntagabend mit. Rund 9600 weitere Menschen seien verletzt worden. Derweil bereitet das israelische Militär eine mögliche Bodenoffensive gegen die Hamas im Gazastreifen vor. Hunderttausende Reservisten sind an der Grenze zu Gaza mobilisiert.

Hamas: Rakete auf Tel Aviv gefeuert

Mitglieder des bewaffneten Hamas-Arms feuerten nach eigenen Angaben eine weitere Rakete auf die israelische Küstenstadt Tel Aviv. Im Stadtzentrum war eine dumpfe Explosion zu hören, es gab aber keinen Raketenalarm. Die Al-Kassam-Brigaden schrieben bei Telegram, es handele es sich um eine Reaktion auf «Massaker» an Zivilisten durch Israel.

Auf der israelischen Seite sind seit dem Hamas-Terroranschlag vor gut einer Woche sind nach Angaben des Gesundheitsministeriums mindestens 1400 Menschen getötet worden, rund 4000 wurden verletzt.

Humanitäre Lage in Gaza verschlimmert sich weiter

Etwa eine Million Menschen ist nach Angaben von UN-Nothilfekoordinator Martin Griffiths vor der erwarteten israelischen Bodenoffensive vom nördlichen Gazastreifen in den Süden geflohen. Die Versorgung der dicht gedrängten Menschenmassen ist jedoch dramatisch. Wenigstens Wasser sollen sie wieder bekommen. Das kündigte Israels Energieminister Israel Katz auf der Plattform X (vormals Twitter) an.

Dies werde dazu beitragen, dass die Zivilbevölkerung - wie von Israels Armee gewünscht - den Norden der schmalen Küstenenklave räume und sich in den Süden bewege, sagte Katz. Israels Militär könne so die Zerstörung der Infrastruktur der Hamas im Norden intensivieren. Beobachter gehen davon aus, dass das israelische Militär die mehr als eine Million Palästinenser im Norden des Küstenstreifens zur Evakuierung in den Süden aufgefordert hat, weil eine Bodenoffensive bevorsteht.

Die Krankenhäuser des palästinensischen Küstenstreifens verfügten nur noch über Treibstoffreserven für 24 Stunden, um Notfallgeneratoren zu betreiben, berichtete das Nothilfebüro der Vereinten Nationen (OCHA). Ein Stillstand der Generatoren würde Tausende Patienten in «unmittelbare Gefahr» bringen, heißt es im jüngsten Lagebericht der Organisation.

Hilfsgüter stehen bereit

Rund 2000 Tonnen Hilfsgüter stehen nahe dem einzigen Grenzübergang aus dem Gazastreifen zum Nachbarland Ägypten bereit. Das sagte der Leiter des Ägyptischen Roten Halbmonds im Nord-Sinai, Chaled Sajid, der Deutschen Presse-Agentur. Verschiedene Nichtregierungsorganisationen aus Ägypten und anderen Ländern hätten Hilfsgüter zur Verfügung gestellt und nach Al-Arisch, etwa 50 Kilometer entfernt vom Grenzübergang Rafah, geschickt. Darunter seien 40.000 Decken, rund 300.000 Kisten mit Medikamenten und auch Kleidung.

UN-Nothilfekoordinator Griffiths will am Dienstag nach Kairo reisen, um mit hochrangigen Vertretern Ägyptens über die Öffnung der südlichen Grenze zu Gaza für Hilfslieferungen zu verhandeln. Er berichtete auch über «stündliche» Verhandlungen mit Israel. «Meine wichtigste Botschaft: Die Zeit drängt», sagte er angesichts der immer schlechteren Versorgungslage im Gazastreifen.

Ägypten arbeite eng mit den Vereinten Nationen und dem Roten Kreuz zusammen, um Hilfe bereitzustellen und das Leid der palästinensischen Zivilbevölkerung in Gaza zu lindern, sagte der ägyptische Außenminister, Samih Schukri, am Montag. Bisher habe die israelische Regierung aber keine Position bezogen, die es ermögliche, den Grenzübergang nach Gaza zu öffnen.

Berichte über eine angeblich geplante Feuerpause dementierte Israel. Zuvor hatte es Berichte gegeben, eine mehrstündige Feuerpause solle die Ausreise ausländischer Staatsbürger nach Ägypten sowie die Einfuhr von Hilfsgütern über den Rafah-Grenzübergang ermöglichen.

Armee: Sechs ranghohe Hamas-Mitglieder getötet

Israels Armee tötete nach eigenen Angaben bei den Angriffen im Gazastreifen bereits sechs ranghohe Mitglieder der Hamas. Ein Armeesprecher teilte mit, darunter seien sowohl Mitglieder des militärischen als auch des politischen Flügels.

In der Mitteilung wurden zwei Kommandeure terroristischer Einheiten genannt, die an dem Massaker in Israel beteiligt gewesen waren. Außerdem wurde demnach ein Kommandeur getötet, der für die Sicherheit im Süden des Gazastreifens zuständig war. Zudem wurden der Hamas-Wirtschaftsminister Dschoad Abu Schmala sowie Sakaria Abu Maamar genannt, der im Hamas-Politbüro für internationale Beziehungen zuständig sei. Außerdem sei der Leiter der Luftüberwachung in der Stadt Gaza getötet worden.

Ein wichtiger Teil der Hamas-Führung hält sich allerdings nicht im Gazastreifen, sondern im Ausland auf. Der Auslandschef Ismail Hanija befindet sich etwa in Katar. Ein weiterer ranghoher Hamas-Führer, Saleh al-Aruri, lebt in Beirut.

Entführungen bestätigt

Israel informierte die Familien von 199 Geiseln darüber, dass ihre Angehörigen in den Gazastreifen verschleppt worden seien, wie Armeesprecher Daniel Hagari sagte.

Unter den Entführten sind auch Deutsche. Nach Informationen der Deutschen Presse-Agentur geht es bei den von Außenministerin Annalena Baerbock genannten Entführungsfällen um acht separate Einzelkomplexe, hinter denen teils mehr als eine Person steckt. Eine genaue Anzahl von deutschen Verschleppten nennt das Auswärtige Amt weiterhin nicht. In den vergangenen Tagen war die Rede von einer Zahl im einstelligen Bereich. Die Bundesregierung hat Baerbock zufolge weiter «keinen direkten Kontakt» zu den deutschen Geiseln.

Evakuierungen an der Grenze zum Libanon

Nach Feuergefechten im Grenzgebiet zu Israel herrscht im Südlibanon eine angespannte Ruhe. Dies berichteten libanesische Sicherheitskreise. Die Straßen waren menschenleer, auch weil es stark regnete. Aus UN-Kreisen hieß es, dass auf allen Stützpunkten der UN-Friedenstruppen höchste Alarmbereitschaft herrsche. Die libanesische Armee patrouillierte laut Augenzeugen in der Nähe von Alma Al-Schaab, wo am Freitag ein Reuters-Journalist getötet worden war.

Nach wiederholten Angriffen der proiranischen Hisbollah-Miliz aus dem Südlibanon auf Israel sollen israelische Orte in bis zu zwei Kilometer Entfernung zum Grenzgebiet evakuiert werden. Das Büro des israelischen Verteidigungsministers Joav Galant teilte mit, dies betreffe 28 Ortschaften an Israels Nordgrenze. Die Einwohner sollten auf Staatskosten in Sicherheit gebracht und in Gästehäusern untergebracht werden.

Israel verstärkt außerdem die Truppen an der Nordgrenze. Der israelische Armeesprecher Daniel Hagari sagte: «Die Hisbollah hat gestern mit mehreren Feuerangriffen versucht, unsere operativen Bemühungen vom Süden (Gazastreifen) abzulenken.» Dies erfolge auf Anweisung und mit Unterstützung des Irans, «unter Gefährdung des libanesischen Staates und seiner Bürger».

Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) bereitet sich wegen der wachsenden Spannungen an der libanesisch-israelischen Grenze derweil auf eine mögliche Gesundheitskrise im Libanon vor. «Wenn diese Zusammenstöße eskalieren, sind noch mehr Zivilisten gefährdet und benötigen sofortigen Zugang zu lebensrettender medizinischer Versorgung», heißt es in einem Statement.

Erste Lieferungen medizinischer Hilfsgüter sind demnach bereits in der Hauptstadt Beirut angekommen. Bis zu tausend Patienten könnten damit versorgt werden. Das libanesische Gesundheitsministerium erörtere, welche Krankenhäuser die Lieferungen erhielten.

@ dpa.de