Gjundus Mamedow, Ukraine

Ukrainische Strafverfolger dokumentieren mögliche Beweise für russische Kriegsverbrechen.

25.09.2023 - 05:36:24

Sonderermittler: Kriegsverbrechen im Ausland verfolgen. Die juristische Aufarbeitung des Krieges kommt erst noch. Kiew ruft auch nach internationaler Unterstützung.

Der ukrainische Sonderermittler für die Dokumentation von Kriegsverbrechen, Gjundus Mamedow, hat internationale Unterstützung bei der Strafverfolgung gefordert. So könne die Justiz in anderen Staaten Verfahren eröffnen, wenn sich dafür Ansatzpunkte ergeben, sagte Mamedow der Deutschen Presse-Agentur in Kiew. Dies könne der Fall sein, wenn sich Opfer des russischen Angriffskriegs in Ländern wie Deutschland befinden. «Wir haben seit September vergangenen Jahres etwa 500 Fälle von Verstößen gegen das humanitäre Völkerrecht dokumentiert. An der Ermittlung der Beteiligten müssen andere Institutionen mitwirken», forderte Mamedow.

Beispielhaft sei, dass die deutsche Justiz Gerichtsverfahren wegen Straftaten durchgeführt habe, die im Syrien-Krieg verübt wurden. Er setze nun Hoffnungen auch darauf, dass sich die Bundesregierung «für die Schaffung einer internationalen Institution einsetzt, die sich komplett der Aufklärung der Verbrechen gegen die Ukraine widmet».

Mamedow sagte weiter: «Das allererste Verbrechen, das behandelt werden soll, ist natürlich der Akt der unrechtmäßigen Aggression gegen einen unabhängigen Staat. Die Menschen, die sich an diesem Verbrechen beteiligt haben, das ist die militärisch-politische Elite in Russland.»

«Wahrscheinlich, dass nicht alle Verbrechen aufgeklärt werden»

Mamedow war von 2016 an ukrainischer Staatsanwalt für die von Russland im Jahr 2014 völkerrechtswidrig annektierte Krim, von 2019 bis 2021 stellvertretender Generalstaatsanwalt der Ukraine. Jetzt leitet er eine Arbeitsgruppe, die Beweise für Verstöße gegen das humanitäre Völkerrecht - Prinzipien und Regeln für die Beteiligten bewaffneter Konflikte - sammelt. Auf die Frage, ob nicht auch von ukrainischer Seite Verstöße gegen das humanitäre Völkerrecht verübt worden seien und ebenso verfolgt werden müssten, sagt er: «Ich bestreite das auch nicht.»

Für seine Arbeit fährt Mamedow auch in die sogenannte graue Zone des Konflikts, ein Niemandsland, in dem der zivile Staat wegen laufender Kämpfe oder einer unmittelbaren Nähe zur Front ganz oder zeitweise kaum Einfluss hat. Es kann um Vertreibung, Misshandlungen oder Vergewaltigung gehen, um Angriffe auf Krankenfahrzeuge oder um die Zerstörung von Kulturgut.

«Wenn man die Bedingungen betrachtet, unter denen man jetzt arbeitet, ist es wahrscheinlich, dass nicht alle Verbrechen aufgeklärt werden», sagte er. «Es fehlt an einigem: Da ist die Unvollkommenheit der Gesetzgebung. Es fehlt an Spezialisten, die speziell auf diese Art von Verbrechen geschult sind. Es fehlt auch an technischen Geräten für Untersuchungen, damit keine Zweifel an der Beweisführung bestehen.»

Behörden können «Größenordnung nicht bewältigen»

Letztlich gehe es auch um die Größenordnungen. Von 2014 bis 2022 seien 30.000 Verbrechen registriert worden. Und seit 2022 wurden über 100.000 Fälle registriert. «Es ist anzunehmen, dass die nationalen Strafverfolgungsbehörden diese Größenordnung nicht bewältigen können. Die schaffen diese Zahl einfach nicht», sagte er.

Er selbst sei nicht mit der Strafverfolgung befasst, sondern leite die Beweise an die Strafverfolger weiter. «Es gibt die ganze Palette von Kriegsverbrechen. Da sind Anzeichen für Verbrechen gegen die Menschlichkeit, Anzeichen für einen Beginn des Völkermordes, das Führen eines Angriffskrieges. Alle Verbrechen, die von der russischen Armee begangen werden, unterliegen einem oder mehreren dieser Merkmale.»

Mamedow ist auch Gründer eines Bündnisses von Menschenrechtsorganisationen, der Ukraine-5-am-Coalition, die Beweise zu Kriegsverbrechen und Verstößen gegen das Völkerrecht sammelt.

@ dpa.de