Lampedusa, Matteo Salvini

Nach der gefährlichen Fahrt über das Mittelmeer geht die Odyssee für Tausende Migranten in Italien weiter.

14.09.2023 - 19:27:10

Tausende Migranten auf Lampedusa: Anspannung und Erschöpfung. Die kleine Insel Lampedusa ruft wegen der Vielzahl der Schutzsuchenden den Notstand aus.

  • Eine Frau und ein Kind sowie weitere Menschen schlafen im Freien vor dem Erstaufnahmelager auf Lampedusa. - Foto: Valeria Ferraro/AP/dpa

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  • «Es ist keine spontane Episode, sie ist offensichtlich organisiert, finanziert und vorbereitet»: Italiens Vize-Regierungschef Matteo Salvini. - Foto: Domenico Stinellis/AP

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Eine Frau und ein Kind sowie weitere Menschen schlafen im Freien vor dem Erstaufnahmelager auf Lampedusa. - Foto: Valeria Ferraro/AP/dpa«Es ist keine spontane Episode, sie ist offensichtlich organisiert, finanziert und vorbereitet»: Italiens Vize-Regierungschef Matteo Salvini. - Foto: Domenico Stinellis/AP

Die Ankunft Tausender Bootsmigranten innerhalb weniger Tage bringt die italienische Mittelmeerinsel Lampedusa an ihre Grenzen. In dem völlig überfüllten Erstaufnahmelager im Zentrum der kleinen Insel kam es teils zu chaotischen Szenen. Auf Videos war zu sehen, wie die Menschen - viele erkennbar erschöpft - dicht gedrängt in der prallen Sonne ausharrten, ihnen gegenüber standen Sicherheitskräfte vor den Toren des Lagers. In dem Getümmel kam Unruhe auf. In italienischen Medien war von einer «explosiven» Stimmung zu lesen.

Seit Wochenbeginn haben weit mehr als 8000 Bootsmigranten die kleine Insel zwischen Sizilien und Nordafrika erreicht. Allein am Dienstag kamen rund 5000 Menschen an. Wegen der Nähe zur tunesischen Küstenstadt Sfax gehört Lampedusa seit Jahren zu den Brennpunkten der Migration nach Europa. Der Stadtrat der Insel rief angesichts der zugespitzten Lage am Mittwochabend den Notstand aus. Unklar ist, welche genauen Folgen dies hat. Bürgermeister Filippo Mannino forderte von der Regierung in Rom mehr finanzielle und logistische Unterstützung für die Insel, die unter «großem Stress» stehe.

Seit Januar über 123.000 Bootsflüchtlinge in Italien registriert

Das Lager war Medienberichten zufolge noch nie so überfüllt - entsprechend angespannt war die Lage bereits am Mittwochabend. Bei der Verteilung von Lebensmitteln und Getränken kam es Berichten zufolge zu chaotischen Szenen. Bereits zuvor versuchten Menschen, den Hafen zu verlassen und Absperrungen zu durchbrechen. Am Donnerstag war die Lage erneut angespannt. Migranten harrten vor den hohen Toren des Camps aus - zwischendurch wurden erschöpfte oder ohnmächtige Menschen herausgetragen, um von Sanitätern und Sanitäterinnen behandelt zu werden.

In diesem Jahr haben schon mehr Migranten Italien auf dem Seeweg erreicht als im gesamten Vorjahr. Die Menschen brechen meist in instabilen und seeuntauglichen Metallbooten in Richtung Europa auf - einige kommen damit aus eigener Kraft an, andere werden von der Küstenwache oder zivilen Seenotrettern an Land gebracht. Nach Zahlen des Innenministeriums in Rom wurden seit Januar bereits mehr als 123.800 Menschen registriert, die auf Booten Italien erreichten - im Vorjahreszeitraum waren es 65.500. Sollte der Trend anhalten, könnte bis Ende des Jahres die Rekordzahl von 2016 übertroffen werden. Damals kamen 181.000 Menschen.

An den Küsten Touristen, im Landesinneren die Migranten

Auf Lampedusa klaffen die Lebensrealitäten weit auseinander. Einerseits ist das Eiland, das näher an der afrikanischen als an der sizilianischen Küste liegt, ein beliebter Urlaubsort: Türkisblaues Wasser und malerische Buchten ziehen Touristen an. Vor der Küste schippern mitunter Ausflugsboote von Urlaubern umher, denen an der für Migranten-Ankünfte vorgesehenen Mole am Hafen die Boote mit den Schutzsuchenden entgegenkommen.

Entfernt von den Stränden befindet sich im Landesinnern - umgeben von einem hohen Zaun und bewacht von Soldaten und Polizisten - das Erstaufnahmelager der Insel. In dem sogenannten Hotspot halten sich derzeit rund 6800 Migranten auf. In der Kommune Lampedusa, zu der auch die Nachbarinsel Linosa gehört, gibt es gerade einmal knapp 6500 Einwohner (Stand Juli 2023). Mit rund 20 Quadratkilometern ist Lampedusa nur in etwa so groß wie die deutschen Nordseeinseln Amrum oder Langeoog. Die Bürgerinnen und Bürger sind laut Bürgermeister Mannino inzwischen verzweifelt. «Jeder hat in irgendeiner Weise den Migranten geholfen, die Hilfe brauchten. Aber jetzt ist es wirklich an der Zeit, nach einer strukturellen Lösung zu suchen.»

Um das Aufnahmelager zu entlasten, sollen Fähren und Polizeischiffe Menschen nach Sizilien oder auf das italienische Festland bringen. Das Rote Kreuz geht davon aus, dass sich dann auch wieder die Lage im Hotspot entspannen wird. Normalerweise versuchen die Behörden, schneller auf Ankünfte zu reagieren. Die hohe Zahl an Menschen überfordere allerdings die Kräfte, sagte Bürgermeister Mannino. Er forderte etwa zwei Schiffe, die ständig im Hafen stehen, um regelmäßig Menschen von der Insel zu bringen.

Salvini: «Akt des Krieges»

Italiens Vize-Regierungschef Matteo Salvini bezeichnete die Ankunft von Tausenden Bootsmigranten auf Lampedusa als «Akt des Krieges». «Es ist keine spontane Episode, sie ist offensichtlich organisiert, finanziert und vorbereitet», sagte der Politiker der rechtspopulistischen Lega am Mittwochabend bei einer Veranstaltung vor Journalisten. Es sei kein Zufall, dass so viele Menschen innerhalb von 24 Stunden ankämen, mutmaßte Salvini weiter. Er forderte die EU zur Unterstützung auf. Man werde nun innerhalb der Koalition darüber diskutieren. Italien wird seit Oktober 2022 von einer Rechtsallianz unter der Führung der ultrarechten Ministerpräsidentin Giorgia Meloni regiert.

Außenminister Antonio Tajani warnte, die Lage könne sich in den nächsten Monaten weiter verschärfen. «Nicht einmal Europa allein ist in der Lage, ein so großes Problem zu bewältigen, das nicht nur fast ganz Afrika betrifft, sondern auch den Zustrom über die Balkanroute», so der Politiker der konservativen Partei Forza Italia der Zeitung «Corriere della Sera» am Donnerstag. Die Opposition beschuldigte die Regierung, mit ihrer Einwanderungspolitik gescheitert zu sein.

@ dpa.de