Putin, Tod

Nach dem Tod des Kremlgegners Alexej Nawalny wirft seine Witwe Julia Nawalnaja Präsident Putin Mord vor.

19.02.2024 - 21:33:02

EU macht Putin für Tod Nawalnys verantwortlich. Und sie kündigt an, den Kampf ihres Mannes für ein freies Russland fortsetzen zu wollen.

Deutschland und die anderen 26 EU-Staaten werfen dem russischen Präsidenten Wladimir Putin gemeinschaftlich vor, die Schuld am Tod seines politischen Gegners Alexej Nawalny zu tragen. «Die Europäische Union ist schockiert über den Tod des russischen Oppositionspolitikers Alexej Nawalny, für den letztlich Präsident Putin und die russischen Behörden die Verantwortung tragen», heißt es in einer durch den EU-Außenbeauftragten Josep Borrell veröffentlichten Erklärung. Die EU werde keine Anstrengungen scheuen, um Russlands politische Führung und die russischen Behörden zur Rechenschaft zu ziehen - auch durch Sanktionen.

Die EU fordert die russischen Behörden zudem auf, eine unabhängige und transparente internationale Untersuchung der Umstände des plötzlichen Todes von Nawalny zu ermöglichen und bei Trauerkundgebungen festgenommene Menschen freizulassen. Man habe Russland wiederholt aufgefordert, die Sicherheit und Gesundheit Nawalnys zu gewährleisten.

Zu Nawalny selbst heißt es in der Erklärung, während seines gesamten Lebens habe er mit der Korruptionsbekämpfung unglaublichen Mut sowie Engagement für sein Land und seine Mitbürger gezeigt. Deshalb hätten Putin und sein Regime Angst vor ihm gehabt, auch im Zusammenhang mit Russlands anhaltendem illegalem Angriffskrieg gegen die Ukraine und den russischen Präsidentschaftswahlen im März. Der schockierende Tod Nawalnys sei ein weiteres Zeichen für die sich beschleunigende und systematische Unterdrückung in Russland.

Noch deutlicher hatte sich zuvor unter anderem EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen geäußert. Sie geht von einer gezielten Ermordung Nawalnys aus.

Das EU-Sanktionsinstrument zur Bestrafung von schweren Menschenrechtsverstößen soll zudem nach Nawalny benannt werden. Die Außenminister der EU-Staaten hätten seinem Vorschlag dazu zugestimmt, so Borrell. Die Umbenennung werde ein Weg sein, das Andenken an Nawalny aufrechtzuerhalten. Das Sanktionsregime solle künftig weltweite Nawalny-Sanktionsregelung im Bereich der Menschenrechte heißen.

Das Instrument wurde erstmals 2021 verwendet, um russische Staatsfunktionäre für die Inhaftierung Nawalnys zu bestrafen - mittlerweile wurde es auch gegen Menschen aus mehreren anderen Ländern eingesetzt. Von Personen, die betroffen sind, müssen in der EU vorhandene Konten und andere Vermögenswerte eingefroren werden. Zudem dürfen die Personen nicht mehr in die EU einreisen und keine Geschäfte mehr mit EU-Bürgern machen.

Biden erwägt weitere Sanktionen gegen Russland

Die US-Regierung schließt nach dem Tod des russischen Oppositionspolitikers Alexej Nawalny weitere Sanktionen gegen Moskau nicht aus. «Wir haben bereits Sanktionen verhängt, aber wir erwägen zusätzliche Sanktionen», sagte Biden auf die Frage eines Reporters in Washington. Er hatte wenige Tage zuvor Kremlchef Wladimir Putin für den Tod des Oppositionellen verantwortlich gemacht.

Mit Blick auf eine Verabschiedung der milliardenschweren Ukraine Hilfen im US-Kongress sagte der Demokrat, dass er nicht sicher sei, ob der Tod Nawalnys einen Unterschied mache und die Republikaner ihre Blockadehaltung aufgäben. Das Verhalten der republikanischen Abgeordneten im Repräsentantenhaus sei «schockierend». Sie würden vor der Bedrohung durch Russland und ihren Verpflichtungen davonlaufen. Biden sagte weiter, er sei offen dafür, den republikanischen Vorsitzenden der Kammer, Mike Johnson, zu treffen.

Nawalnys Witwe kündigt Kampf gegen Putin an

In einer emotionalen Kampfansage an Kremlchef Wladimir Putin hat die Witwe Alexej Nawalnys eine Fortsetzung der Oppositionsarbeit ihres Mannes angekündigt. «Ich werde die Sache von Alexej Nawalny fortsetzen, kämpfen um unser Land. Ich rufe Euch auf, an meiner Seite zu stehen», sagte Julia Nawalnaja in einer veröffentlichten aufwühlenden Videobotschaft bei YouTube.

Unklar bleibt, ob die 47 Jahre alte Ökonomin für die Oppositionsarbeit nach Russland zurückkehren will. Sie würde dort ebenfalls Straflager riskieren, weil die Nawalny-Bewegung als extremistisch eingestuft ist. Sie hielt sich zu einem Besuch in Brüssel auf.

Unter Tränen warf die zweifache Mutter Putin in dem Video vor, nicht nur ihren Mann getötet zu haben. Putin habe so auch versucht, Russland die Hoffnung auf Freiheit und Gerechtigkeit zu nehmen. Deshalb wolle sie den Kampf ihres Mannes nun fortsetzen. In dem Video mit vielen privaten Bildern und Aufnahmen von Nawalnys öffentlichen Auftritten beschuldigte sie Putin des Mordes an ihrem Ehemann. «Vor drei Tagen hat Wladimir Putin meinen Mann Alexej Nawalny getötet», sagte sie.

Ihr Mann sei im Straflager zu Tode gequält und gefoltert worden, indem er auch immer wieder in Einzelhaft in einem kleinen Betonkasten eingesperrt worden sei. Der Name desjenigen, der den Mord im Auftrag Putins ausgeführt habe, werde in Kürze veröffentlicht, kündigte sie an.

«Ich habe keine Angst»

In dem Video zeigte Nawalnaja auch ein Bild der Mutter, die in der Polarregion nach ihrem toten Sohn sucht. Putin habe ihr den liebsten und wertvollsten Menschen genommen, die Hälfte ihrer Seele und ihres Herzens, sagte Nawalnaja. «Aber ich habe eine zweite Hälfte - und die sagt mir, dass ich kein Recht zum Aufgeben habe.» Sie werde deshalb wie ihr Mann gegen Ungerechtigkeit und Korruption und für ein freies Russland kämpfen.

«Ich habe keine Angst», sagte sie mit Blick auch auf eine Aussage Nawalnys, der die Menschen in Russland immer wieder zum Widerstand gegen Putin aufgerufen hatte. Diejenigen, die versuchen, Russlands Zukunft auszulöschen, müssten mit Wut und Hass verfolgt werden.

Kreml: Untersuchung der Todesursache läuft

Die Untersuchung der Umstände von Nawalnys Tod laufen nach Kremlangaben noch. Nawalnys Team wirft dem Kreml wie bei dem Anschlag mit dem Nervengift Nowitschok 2020 Lügen und Hinhaltetaktik vor, um die Hintergründe des Schicksals des Putin-Gegners zu verschleiern.

Die Leiche Nawalnys wollen die russischen Behörden nach Angaben seines Teams noch mindestens 14 Tage weiter unter Verschluss halten. «Die Ermittler haben den Anwälten und der Mutter von Alexej gesagt, dass sie die Leiche nicht herausgeben», schrieb Nawalnys Sprecherin Kira Jarmysch auf X (vormals Twitter). Als Grund seien «chemische Untersuchungen» genannt worden, die am Toten vorgenommen werden sollen.

Nach dem Giftanschlag auf Nawalny 2020 hatte Putin nach eigenen Angaben persönlich die Genehmigung erteilt, dass der russische Oppositionsführer nach Berlin zur Behandlung in der Charité ausgeflogen wird. Er war damit einer Bitte der Ehefrau nachgekommen.

Peskow äußerte sich laut Interfax nicht zur Frage, wie Putin auf den Tod seines wichtigsten Gegners reagiert habe. Der Kremlchef, der von Nawalnys Team, aber auch von westlichen Regierungen verantwortlich gemacht wird für den Tod, hat sich bisher nicht öffentlich geäußert zu dem Fall. Laut Medienberichten gab es am Wochenende in Moskau ein Konzert, bei dem Putins Anhänger den Tod Nawalnys feierten. Ein Video der grölenden Menge rief breites Entsetzen hervor in Russland.

Peskow wies die Schuldzuweisungen aus dem Westen in Richtung Putin zurück. Es handle sich um «offen dreiste Äußerungen», die absolut unpassend seien für staatliche Vertreter. Auch russische Menschenrechtler hatten Putin Mord vorgeworfen.

Mehr als 400 Festnahmen seit Freitag

Die Partei Bürgerinitiative hat nach eigenen Angaben bei der Moskauer Stadtverwaltung einen Gedenkmarsch für die toten Oppositionspolitiker Alexej Nawalny und Boris Nemzow beantragt. Den Scan des Antrags veröffentlichte der Parteichef und ehemalige russische Wirtschaftsminister (1992/93) Andrej Netschajew auf seinem Telegram-Kanal. Der Marsch ist demnach für den 2. März im Zentrum Moskaus mit bis zu 50.000 Teilnehmern geplant. Eine Genehmigung durch die russischen Behörden ist unwahrscheinlich.

Russische Gerichte verhängten derweil in Eilverfahren bisher mehr als 200 Strafen gegen die an spontanem Gedenken teilnehmenden Trauernden. Allein in St. Petersburg ordneten die Gerichte der Millionenmetropole gegen 199 Menschen Arrest oder Geldstrafen an, auch in der russischen Hauptstadt Moskau gab es mehrere solcher administrativen Strafen. In St. Petersburg kamen mehr als 154 Menschen in eine Arrestzelle, die meisten für mehrere Tage. Seit Freitag gab es nach Angaben von Bürgerrechtlern mehr als 400 Festnahmen in mehr als 30 Städten landesweit.

Die Strafen vor den Gerichten in St. Petersburg ergingen laut den Protokollen wegen Störung der öffentlichen Ordnung nach unerlaubten Versammlungen auf einem öffentlichen Platz. Dafür drohen laut Gesetz in Russland Geldstrafen bis zu 20.000 Rubel (rund 200 Euro), gemeinnützige Arbeiten oder bis zu 15 Tage Arrest.

@ dpa.de