Terrorverdächtige, Moskauer

Nach dem blutigen Anschlag auf eine Konzerthalle präsentieren die russischen Ermittler schnell vier Tatverdächtige.

25.03.2024 - 05:17:11

Terrorverdächtige in Moskauer Gericht vorgeführt. Mit übel zugerichteten Gesichtern müssen sie in Glaskäfigen Platz nehmen.

Gezeichnet von üblen Gesichtsverletzungen sind die vier mutmaßlichen Attentäter des jüngsten Terroranschlags nahe Moskau dem Haftrichter vorgeführt worden. Die Angeklagten wurden von vermummten Sicherheitskräften ins Basmanny-Gericht in der russischen Hauptstadt gebracht und mit deutlich sichtbaren Blutergüssen, Schwellungen, Schürf- und Platzwunden in Glaskäfigen platziert.

Einer von ihnen war offensichtlich nicht mehr in der Lage zu laufen und lag mit geschlossenen Augen festgeschnallt in einem Krankenstuhl. Ein anderer hatte einen wenig fachmännisch wirkenden Verband am rechten Ohr.

Vor dem Gerichtstermin waren Videoaufnahmen im Netz verbreitet worden, die zeigen sollen, dass die festgenommenen Männer gefoltert wurden und einem von ihnen gar ein Ohr abgeschnitten wurde. Ob die Aufnahmen authentisch sind, ließ sich zunächst nicht unabhängig überprüfen.

Die eigentliche Anhörung fand hinter geschlossenen Türen statt, wie die russische Staatsagentur Tass berichtete. Der Terrorverdächtige auf dem Krankenstuhl, der den Anschlag gefilmt haben soll, hatte demnach «Schwierigkeiten zu sprechen». Das Ermittlungskomitee wirft ihm und seinen drei mutmaßlichen Komplizen einen gemeinschaftlich verübten tödlichen Terroranschlag vor.

Haftbefehle gegen mutmaßliche Terroristen erlassen

Nach der Tat in einem Veranstaltungszentrum nahe Moskau, bei der 137 Menschen getötet und nach neuen Angaben der Gesundheitsbehörden 182 weitere verletzt wurden, gab es insgesamt elf Festnahmen. Vier der Verdächtigen gelten als die eigentlichen Todesschützen - sie sind diejenigen, die nun dem Haftrichter vorgeführt wurden. Die Haftbefehle wurden laut Tass am Sonntagabend erlassen. Die vier Männer waren am Wochenende im russischen Grenzgebiet Brjansk festgenommen und nach Moskau gebracht worden.

Menschenrechtler berichten immer wieder von Demütigungen, Misshandlungen und brutalen Foltermethoden im russischen Strafvollzug. Öffentlich inszenierte Schauprozesse dienen demnach der staatlichen Machtdemonstration und Abschreckung.

Die Terrormiliz Islamischer Staat reklamierte den Anschlag in mehreren Botschaften für sich. Dennoch will Russlands Staatsführung eine Verwicklung der Ukraine sehen, gegen die Russland seit mehr als zwei Jahren einen Angriffskrieg führt. Nach Angaben des russischen Präsidenten Wladimir Putin wollten die Täter in die Ukraine flüchten, Beweise dafür legte er aber nicht vor. Kiew weist jede Beteiligung an der Tat zurück.

Band Piknik gedenkt der Opfer des Terroranschlags

Unterdessen beging Russland einen nationalen Trauertag. Die Mitglieder der populären Rockband Piknik, die am Freitag in der Crocus City Hall hätte auftreten sollen, legten am Abend vor der Konzerthalle Blumen für die Opfer nieder. Nach einer Gedenkminute sprachen sie den Hinterbliebenen ihr Mitgefühl aus. «Diese Gräueltat ist eine sinnlose, unvorstellbare Grausamkeit», wurde Bandleader Edmund Schkljarski von Tass zitiert. Unter den Todesopfern ist laut der Band auch eine ihrer Assistentinnen.

Sichtlich erschütterte Bewohner der Hauptstadtregion strömten auch am Sonntag in dichten Scharen zur Crocus City Hall. Am Zaun vor dem zerstörten Gebäude legten sie Blumen und Spielsachen zum Gedenken an die Opfer nieder - die Gegend glich einem Blumenmeer. Auf Leuchttafeln in der russischen Hauptstadt flackerte anstelle von Werbung die Aufnahme einer Kerze und darunter die Aufschrift: «Wir trauern. 22.03.2024.» Über dem Kreml wehte die Fahne auf halbmast.

Noch fast 100 Verletzte im Krankenhaus

Drei Tage nach dem Terroranschlag werden immer noch 97 Verletzte in Krankenhäusern behandelt. Das teilte die Leiterin der Gesundheitsverwaltung im Gebiet Moskau, Ljudmila Bolatajewa, mit. Die Patientinnen und Patienten seien über Kliniken der Hauptstadt und des Moskauer Gebiets verteilt. Die erlittenen Verletzungen seien unterschiedlich schwer, sagte sie russischen Nachrichtenagenturen zufolge.

Putin spricht von Spur in die Ukraine

Präsident Putin sprach in einer vom Staatsfernsehen übertragenen Rede am Samstagnachmittag von einer angeblichen Spur in die Ukraine. Mit Blick auf die festgenommenen Verdächtigen sagte er: «Sie haben versucht, sich zu verstecken und haben sich in Richtung Ukraine bewegt, wo für sie ein Fenster für einen Grenzübertritt vorbereitet worden war.» Der ukrainische Militärgeheimdienst konterte dies mit dem Hinweis, dass die Grenze seit Langem vermint sei. Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj wies jede Verwicklung seines Landes in den Anschlag zurück.

Angesichts der Anschuldigungen aus Moskau nannte der ukrainische Außenminister Dmytro Kuleba den Kremlchef einen «pathologischen Lügner». Putin versuche verzweifelt, die Ukraine mit dem Anschlag in Verbindung zu bringen, auch wenn es keine Beweise gebe, schrieb Kuleba auf der Plattform X (ehemals Twitter). «Lasst euch nicht von Putin und seinen Handlangern in die Irre führen», appellierte er. Ihr einziges Ziel sei, weitere Russen zu motivieren, um in dem sinnlosen und kriminellen Krieg gegen die Ukraine zu sterben. Zudem solle dadurch weiterer Hass gegen andere Länder, vor allem den gesamten Westen, geschürt werden.

IS reklamiert Anschlag für sich

Der IS-Propagandakanal Amak veröffentlichte als angeblichen Beweis, für den Angriff verantwortlich zu sein, ein Video, das die Attentäter am Anschlagsort zeigen soll. Zudem wurde ein Bild der angeblichen Attentäter mit unkenntlich gemachten Gesichtern gezeigt. Die mit Sturmgewehren, Pistolen und Sprengsätzen bewaffneten Kämpfer hätten Russland einen «schweren Schlag» versetzt, hieß es in dem Bekennerschreiben. Der Angriff habe «Tausenden Christen in einer Musikhalle» gegolten. Terrorismusexperten stuften das Schreiben als glaubwürdig ein.

Der IS bekämpft Anhänger des Christentums und betrachtet sie als Ungläubige. Seit einigen Jahren haben die Islamisten auch Moskaus Politik auf dem Radar. In früheren Ansprachen warf die Terrorgruppe Russland etwa vor, muslimisches Blut vergossen zu haben. Insbesondere in Afghanistan wiegt das Erbe der sowjetischen Intervention vor 45 Jahren immer noch schwer.

Bundesinnenministerin Nancy Faeser nannte es glaubhaft, dass die als IS-Ableger bekannte Gruppe Islamischer Staat Provinz Khorasan (ISPK) den Anschlag zu verantworten habe. Von dieser gehe derzeit auch für Deutschland die größte Gefahr aus, sagte Faeser der «Süddeutschen Zeitung». Die ISPK-Terrorgruppe hat ihren Ursprung in Afghanistan. Khorasan steht für eine historische Region in Zentralasien, die Teile von Afghanistan, Usbekistan, Turkmenistan und Tadschikistan sowie vom Iran umfasste.

@ dpa.de