Israel, Kampfwillen

Israel wähnt die Islamisten am Ende, ihre Führung von der Kommunikation abgeschnitten.

19.02.2024 - 05:31:24

Israel sieht Kampfwillen der Hamas gebrochen. Das Leid der Zivilisten ist enorm. Verletzte können angeblich nicht mehr behandelt werden.

Bei zwei israelischen Luftangriffen nahe dem Küstenort Ghazieh südlich von Sidon sind libanesischen Sicherheitskreisen zufolge mindestens acht Menschen verletzt worden. Getroffen wurde demnach ein Industriegebiet etwa 60 Kilometer von der israelisch-libanesischen Grenze entfernt. Das israelische Militär bestätigte den Angriff. Ziel sei demnach ein Waffendepot der libanesischen Hisbollah-Miliz gewesen.

Der Angriff war demnach eine Reaktion auf eine Drohnenattacke nahe der israelischen Stadt Tiberias. Ersten Erkenntnissen zufolge soll die Drohne von der Hisbollah gestartet worden sein, hieß es von der Armee. Ob es sich bei den Verletzten im Libanon um Hisbollah-Kämpfer oder Zivilisten handelte, ist noch unklar.

Es ist das erste Mal seit Ausbruch des Gaza-Krieges, dass ein Ort nahe Sidon, der viertgrößten Stadt im Libanon, getroffen wurde. Bisher hatte die israelische Armee hauptsächlich Ziele nahe der Grenze angegriffen.

Israelische Armee nimmt Krankenhaus in Chan Junis ein

Über das Wochenende hat das israelische Militär seine Einsätze gegen die islamistische Hamas-Miliz in der Stadt Chan Junis im Süden des Gazastreifens fortgesetzt. Dabei brachte die Armee das Nasser-Krankenhaus, eine der größeren Kliniken des Küstengebiets, unter seine Kontrolle. Nach Darstellung von Mitarbeitern ist das Krankenhaus nicht mehr funktionsfähig. Die Armee teilte am Sonntagabend mit, hunderte Terroristen und Terrorverdächtige, die sich in der Klinik versteckt hätten, seien gefangen genommen worden. Einige von ihnen sollen sie sich als medizinisches Personal ausgegeben haben.

Verteidigungsminister Joav Galant sieht derweil den Kampfgeist der Islamisten nach mehr als vier Monaten Krieg gebrochen. «200 Terroristen ergaben sich im Nasser-Spital, Dutzende weitere im Amal-Spital», sagte Galant bei einer Besprechung mit Armeekommandeuren. «Das zeigt, dass die Hamas ihren Kampfgeist verloren hat.» Die Angaben ließen sich zunächst nicht unabhängig überprüfen.

Umstrittenes Vorrücken nach Rafah

In Rafah bereitet sich die israelische Armee auf ein Einrücken vor, um die verbliebenen Hamas-Bataillone zu zerschlagen und dort vermutete Geiseln zu befreien. Die israelische Regierung hat aber diesbezüglich noch keinen Einsatzbefehl erteilt. Ein militärisches Vorgehen in der südlichsten Stadt des Gazastreifens ist höchst umstritten, weil sich dort auf engstem Raum 1,3 Millionen Palästinenser drängen, von denen die meisten vor den Kämpfen in anderen Teilen des Küstengebiets geflohen sind.

Derweil hält der Weltsicherheitsrat trotz des Widerstandes der US-Regierung bislang an einem Abstimmungstermin zu einer Resolution zum Gaza-Krieg fest. Die von Algerien eingebrachte Beschlussvorlage sieht unter anderem eine Forderung nach einer Waffenruhe im Gaza-Krieg vor und soll für 17.30 MEZ zur Abstimmung gebracht werden. Inmitten der Sorgen um eine Großoffensive in der Stadt Rafah im Süden des Küstengebiets durch die israelische Armee erhöht das den Druck auf den Israel-Verbündeten USA. US-Botschafterin Linda Thomas-Greenfield hatte erklärt, dass die Vereinigten Staaten im Sicherheitsrat erneut von ihrem Vetorecht Gebrauch machen würden, sollte es zu einer Abstimmung kommen.

Die USA brachten einen Gegenentwurf ein, in dem von einer «vorübergehenden Waffenruhe in Gaza sobald wie möglich» und bei Freilassung aller Geiseln die Rede ist. Für beide Resolutionsentwürfe - sollte tatsächlich über sie abgestimmt werden - werden Vetos im 15-köpfigen Weltsicherheitsrat erwartet. Die fünf ständigen Mitglieder des mächtigsten UN-Gremiums - die USA, Russland, China, Frankreich und Großbritannien - haben die Möglichkeit, alle inhaltlichen Aktionen des Rates zu blockieren.

Washington hatte in den vergangenen Tagen versucht, eine Abstimmung des algerischen Texts zu verhindern - eigenen Angaben zufolge, um wichtige Verhandlungen zwischen Israel und der islamistischen Terrororganisation Hamas nicht zu gefährden. Beobachtern zufolge geht es Washington aber auch darum, bei der zunehmend kritisierten Kriegsführung Israels nicht als Wegbereiter gesehen zu werden.

Hamas: Mehr als 29.000 Tote seit Kriegsbeginn

Seit Beginn des Gaza-Krieges vor mehr als vier Monaten sind nach Angaben der von der islamistischen Hamas kontrollierten Gesundheitsbehörde mehr als 29.000 Palästinenser im Gazastreifen getötet worden. Binnen 24 Stunden seien 107 Palästinenser getötet und 145 weitere verletzt worden, teilte die Behörde mit.

Damit sei die Gesamtzahl der Toten auf mindestens 29.092 gestiegen. Außerdem seien seit dem 7. Oktober mehr als 69.000 Menschen im Gazastreifen verletzt worden. Die Angaben ließen sich zunächst nicht unabhängig überprüfen. Es wird davon ausgegangen, dass viele Leichen noch verschüttet sind. Nach UN-Schätzungen handelt es sich bei einem Großteil der Getöteten um Frauen und Minderjährige. Der israelische Generalstabschef Herzi Halevi hatte zuletzt gesagt, die Armee habe im Gazastreifen «bisher mehr als 10.000 Terroristen ausgeschaltet, darunter viele Kommandeure».

Marshallplan für Wiederaufbau Gazas gefordert

Der palästinensische Ministerpräsident Mohammed Schtaje forderte die internationale Gemeinschaft zu einem Aufbauprogramm für das schwer zerstörte Küstengebiet auf. «Wir brauchen einen Marshallplan für den Gazastreifen», sagte Schtaje der Deutschen Presse-Agentur am Rande der Münchner Sicherheitskonferenz. Dieser Plan müsse aus drei Komponenten bestehen: Nothilfe, Rekonstruktion und einer Wiederbelebung der Wirtschaft. «Wir wissen aus Satellitenaufnahmen, dass 45 Prozent des Gazastreifens zerstört sind. Das bedeutet 281.000 Wohneinheiten, die vollständig oder teilweise zerstört sind.»

Eine Reparatur könne teils schon in Wochen oder Monaten möglich sein. «Das bedeutet, wir brauchen dafür viel Geld», führte Schtaje weiter aus. Mit den Vereinten Nationen laufe eine Untersuchung, wie man der größten Not begegnen könne. Der Regierungschef amtiert mit seiner Autonomiebehörde im Westjordanland und hat keine faktische Kontrolle über den bis zum Kriegsausbruch von der Hamas allein beherrschten Gazastreifen.

Bericht: Iran rät Verbündeten nunmehr zur Mäßigung

Die Hamas verdankt Geld, Waffen und Ausbildung ihrer Kämpfer zum großen Teil dem Iran. Seit dem 7. Oktober heizen auch andere, vom Iran unterstützte bewaffnete Gruppen die Spannungen in der weiteren Nahost-Region an. Die Schiiten-Miliz Hisbollah beschießt vom Südlibanon aus den Norden Israels, von wo 80.000 Bewohner ins Landesinnere in Sicherheit gebracht werden mussten. Schiitische Kampfverbände in Syrien und im Irak greifen vermehrt US-Stützpunkte an. Die Huthi im Jemen feuern Raketen auf Schiffe im Roten Meer ab. Die Formationen verstehen sich zusammen mit ihrem Förderer Iran als «Achse des Widerstands», die sich die Vernichtung Israels zum Ziel gesetzt hat.

Die USA und Großbritannien reagierten bislang mit Bombardierungen von Stützpunkten und Raketenstellungen der mit Teheran verbündeten Milizen, vermieden es aber, den Iran selbst anzugreifen. Eine weitere Eskalation an irgendeiner dieser Fronten, vor allem aber im Libanon, könnte - so die allgemein geteilte Befürchtung - einen Flächenbrand in Nahost auslösen.

Nach einem Bericht der «Washington Post» soll nun der Iran auf die Vermeidung eines solchen Szenarios dringen. Iranische Emissäre hätten zuletzt in diskreten Treffen mit Verbündeten in der Region diesen zur Mäßigung geraten, schrieb die Zeitung. «Der Iran unternimmt äußerste Anstrengungen, um eine Ausdehnung des Kriegs und eine unumkehrbare Eskalation zu verhindern», zitierte das Blatt einen nicht näher genannten irakischen Offiziellen mit Nähe zu einer proiranischen Miliz.

Auch im Libanon scheint Teheran seinem Verbündeten, dem Schiiten-Führer Hassan Nasrallah, davon abzuraten, die ultimative Konfrontation mit Israel zu suchen. Dort, so die «Washington Post», habe man sich auf das Narrativ verständigt, dem israelischen Ministerpräsidenten Benjamin Netanjahu nicht durch die Eröffnung einer neuen Kriegsfront aus seiner politischen Drucksituation zu helfen. Der Israeli sei derzeit «in die Ecke gedrängt», der Gaza-Krieg habe die sich abzeichnende Normalisierung des Verhältnisses zwischen Israel und Saudi-Arabien infrage gestellt, zitierte das Blatt ein Hisbollah-Mitglied. Ein Krieg im Libanon würde hingegen Netanjahu «zum Sieger machen».

Das iranische Zureden scheine Wirkung zu entfalten, so die US-Zeitung. Seit dem 4. Februar habe es keine Angriffe proiranischer Kräfte auf das US-Militär in Syrien und dem Irak mehr gegeben. Nasrallah im Libanon vermied es trotz aller Drohgebärden, Israel den Krieg zu erklären. Lediglich die Huthi im Jemen schießen noch auf Schiffe im Roten Meer.

Anhörung in Den Haag beginnt

Zum Auftakt der Anhörung zur Rechtmäßigkeit von fast 60 Jahren israelischer Besatzung beim Internationalen Gerichtshof hat der palästinensische Außenminister Gerechtigkeit für sein Volk gefordert. Seit Jahrzehnten verstoße Israel bewusst gegen internationales Recht, sagte Riad Malki vor dem höchsten Gericht der Vereinten Nationen in Den Haag. «Die Kraft des Rechts muss siegen.»

Die UN-Generalversammlung hatte 2022 ein Rechtsgutachten des Gerichtshofes beantragt. Es soll prüfen, inwieweit die 57 Jahre dauernde Besatzung legal ist und welche rechtlichen Konsequenzen sich daraus ergeben. Das Gutachten ist zwar nicht bindend, kann aber den internationalen Druck auf Israel im aktuellen Gaza-Krieg weiter erhöhen.

Ungarn verhindert EU-Einigung auf Sanktionen gegen radikale Siedler

Ungarn blockiert indes bei einem EU-Außenministertreffen in Brüssel geplante Sanktionen gegen radikale israelische Siedler im Westjordanland. Wie mehrere Diplomaten der Deutschen Presse-Agentur bestätigten, verhinderte die Regierung aus Budapest eine angestrebte Grundsatzeinigung zu den Plänen. Sie gilt in der EU als besonders israelfreundlich. Deutschland hätte nach Angaben von EU-Diplomaten zugestimmt.

Hintergrund der Sanktionspläne gegen Siedler ist der Anstieg von Gewalt gegen Palästinenser nach dem Hamas-Massaker in Israel vom 7. Oktober. Die Gewalt wird in der EU als eines der Hindernisse für Bemühungen um eine langfristige Friedenslösung im Nahost-Konflikt gesehen. Die Strafmaßnahmen sollen mithilfe des EU-Sanktionsinstruments zur Ahndung von schweren Menschenrechtsverstößen verhängt werden. Es würde EU-Einreiseverbote und das Einfrieren von in der EU vorhandenen Vermögenswerten ermöglichen.

Hintergrund der angespannten Lage im Westjordanland ist, dass Israel dort seit der Eroberung des Gebiets im Sechstagekrieg 1967 umstrittene Siedlungen ausbaut. Die Zahl der Siedler in dem Gebiet, das zwischen dem israelischen Kernland und Jordanien liegt, ist inzwischen auf etwa eine halbe Million gestiegen. Die Siedler leben inmitten von rund drei Millionen Palästinensern.

@ dpa.de