Südafrika, Israel

Israel steht angesichts der hohen und weiter steigenden Zahl ziviler Opfer im Gaza-Krieg international zunehmend in der Kritik.

30.12.2023 - 05:45:19

Südafrika beschuldigt Israel des Völkermords. Jetzt wird sogar das Weltgericht angerufen. Der Überblick.

  • Angesichts der katastrophalen humanitären Lage und der hohen Zahl ziviler Opfer geriet Israel zuletzt international immer mehr in die Kritik. - Foto: Ariel Schalit/AP/dpa

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  • Ein Fahrzeug der israelischen Armee in der Nähe der Grenze zum Gazastreifen im Süden Israels. - Foto: Tsafrir Abayov/AP/dpa

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Angesichts der katastrophalen humanitären Lage und der hohen Zahl ziviler Opfer geriet Israel zuletzt international immer mehr in die Kritik. - Foto: Ariel Schalit/AP/dpaEin Fahrzeug der israelischen Armee in der Nähe der Grenze zum Gazastreifen im Süden Israels. - Foto: Tsafrir Abayov/AP/dpa

Während Israels Armee ihren Einsatz im Gazastreifen intensiviert, hat Südafrika den jüdischen Staat vor dem Internationalen Gerichtshof (IGH) in Den Haag nun des Völkermords beschuldigt und eine Einstellung der Kämpfe verlangt.

In der gestern eingereichten Klage ersucht Südafrika das Gericht um eine einstweilige Verfügung, mit der Israel aufgefordert wird, den Militäreinsatz in dem dicht besiedelten Küstengebiet unverzüglich auszusetzen. Israel wies die Anschuldigung eines Genozids am palästinensischen Volk als völlig haltlos zurück und bezeichnete Südafrikas Antrag laut Medienberichten als eine «verabscheuungswürdige» Ausnutzung des Weltgerichts.

Israel weist Genozid-Anschuldigung zurück

«Die Klage Südafrikas entbehrt sowohl der faktischen als auch der juristischen Grundlage», schrieb ein Sprecher des israelischen Außenministeriums auf X, vormals Twitter. «Südafrika arbeitet mit einer Terrororganisation (Hamas) zusammen, die zur Zerstörung des Staates Israel aufruft.» Für das Leid der Palästinenser in Gaza sei ausschließlich die Hamas verantwortlich.

Israels Armee: Vierstündige Kampfpause in einem Lager in Rafah

Israels Militär hat für heute eine vierstündige taktische Kampfpause in einem Lager in Rafah im Süden des Gazastreifens verkündet. Militärische Aktivitäten würden dort aus humanitären Gründen vorübergehend eingestellt, teilte ein Sprecher der Armee auf der Plattform X (ehemals Twitter) auf Arabisch mit. Dies solle es der Bevölkerung ermöglichen, Nachschub an Vorräten zu besorgen.

Israels Militär hatte zuvor die Einwohner der heftig umkämpften Stadt Chan Junis im Süden des Küstengebiets aufgefordert, sich in Rafah nahe der ägyptischen Grenze in Sicherheit zu bringen. Berichten zufolge sind dort Tausende Palästinenser in Zelten untergekommen.

Nach der Ausweitung israelischer Angriffe auch auf den zentralen Abschnitt des Gazastreifens bleibt nach UN-Angaben kaum noch Raum für die Binnenflüchtlinge. Die Stadt Rafah etwa platze «aus den Nähten», kritisierte vor einigen Tagen schon der Gaza-Direktor des UN-Palästinenserhilfswerks UNRWA, Thomas White.

Israels Armee jagt weiter Hamas-Führung

Unterdessen hält sich der militärische Anführer der Hamas, Jihia Sinwar, nach Vermutung der israelischen Armee in unterirdischen Tunneln in Chan Junis im Süden des Gazastreifens versteckt. Auf diese Stadt konzentrieren sich Israels Truppen bei ihrer Bodenoffensive derzeit. Sie gilt als Hochburg der Hamas. Im zuvor umkämpften Norden des von Israel abgeriegelten Küstengebietes fanden und zerstörten Israels Truppen in den vergangenen Wochen eines von Sinwars früheren Verstecken, wie die israelische Armee erst jetzt bekanntgab.

Im Keller eines Hauses seien die israelischen Soldaten auf einen Tunneleingang gestoßen, hieß es. Dieser habe zu unterirdischen Gängen in einer Tiefe von 20 Metern und mit einer Länge von 218 Metern geführt. Sinwar soll Medienberichten zufolge schon kurz nach Kriegsbeginn in den Süden Gazas geflohen sein.

Unterhalb des Gazastreifens erstreckt sich über viele Kilometer ein ganzes Netzwerk aus Tunneln, in denen sich laut Israel etliche Terroristen der Hamas verstecken und dort auch Geiseln aus Israel festhalten. Um Israels Bomben aus der Luft widerstehen zu können, reichen manche Tunnel Dutzende Meter unter die Erde. Die Terroristen nutzen die Tunnel zugleich, um aus dem Nichts aufzutauchen und hinterrücks anzugreifen. Viele der Tunnel sind mit Sprengfallen versehen, um israelische Soldaten, die dort eindringen, zu töten.

Südafrika: Israel betreibt Vernichtung der Palästinenser

Auslöser des Kriegs war das schlimmste Massaker in der Geschichte Israels, das Terroristen der Hamas sowie anderer Gruppen am 7. Oktober in Israel verübt hatten. Israel reagierte mit massiven Luftangriffen und mit einer Bodenoffensive. Die Zahl der insgesamt seit Kriegsbeginn im Gazastreifen getöteten Palästinenser stieg nach Angaben der von der Hamas kontrollierten Gesundheitsbehörde in Gaza auf 21.507. Die Zahl lässt sich derzeit nicht unabhängig überprüfen.

Angesichts der katastrophalen humanitären Lage und der hohen Zahl ziviler Opfer geriet Israel zuletzt international immer mehr in die Kritik. Südafrika ist dabei einer der schärfsten Kritiker Israels. Südafrikanische Politiker haben Israels Verhalten im Gazastreifen wiederholt mit dem Apartheid-System der Trennung von Schwarzen und Weißen in ihrem eigenen Land in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts verglichen.

Das Weltstrafgericht in Den Haag ermittelt bereits seit 2021 gegen die Hamas und Israel wegen mutmaßlicher Kriegsverbrechen in Gaza. Israel ist zwar kein Vertragsstaat des Weltstrafgerichts, aber zusammen mit Südafrika ein Unterzeichner der Völkermordkonvention. Dies ermöglicht die Klage beim Internationalen Gerichtshof. Die Handlungen der israelischen Streitkräfte hätten «einen völkermörderischen Charakter», da sie auf die Vernichtung der Palästinenser in Gaza abzielen würden, heißt es in Südafrikas Klage.

Eine Anhörung zu Südafrikas Antrag beim IGH, Israel per einstweiliger Verfügung zur sofortigen Kampfeinstellung aufzufordern, könnte innerhalb weniger Wochen erfolgen. Sollte das Gericht danach ein Verfahren zu Südafrikas Anklage wegen Völkermordes eröffnen, könnten dagegen noch Jahre vergehen, bis es zu einem Urteilsspruch kommt.

WHO warnt vor Ausbreitung von Infektionskrankheiten

Israel betont immer wieder, es befinde sich im Krieg mit der Hamas und nicht mit den palästinensischen Zivilisten im Gazastreifen. Die Hamas benutze Zivilisten als menschliche Schutzschilde. Internationale Hilfsorganisationen werden unterdessen nicht müde, auf die grauenhafte humanitäre Lage im Gazastreifen hinzuweisen.

Die Menschen im Süden des von Israel abgeriegelten Küstengebietes, das kaum größer als die Stadt München ist, seien weiterhin zur Massenflucht gezwungen, schrieb der Generaldirektor der Weltgesundheitsorganisation (WHO), Tedros Adhanom Ghebreyesus, auf der Plattform X. Die Notunterkünfte seien völlig überfüllt. «Meine WHO-Kollegen und ich sind weiter sehr besorgt über die zunehmende Bedrohung durch Infektionskrankheiten», schrieb Tedros.

Gaza: Unterricht für 400.000 Schüler beeinträchtigt wegen Schäden

Wegen Schäden an Schulgebäuden im Gazastreifen ist der Unterricht für rund 400.000 Schülerinnen und Schüler stark beeinträchtigt oder ganz gestrichen. Das teilte das UN-Nothilfebüro OCHA in der Nacht zum Samstag mit. Etwa 350 Schulen seien in dem Küstengebiet bei Kämpfen beschädigt worden. Zudem würden 90 Prozent aller Schulgebäude als Notunterkünfte genutzt. Hilfsorganisationen hätten seit Kriegsbeginn nur rund 84.000 Schüler und Lehrer mit Freizeitaktivitäten erreicht. 52.000 hätten Lernmaterial erhalten.

Hamas-Behörde: Zahl der Toten in Gaza steigt auf 21.672

Die Zahl der im Gazastreifen getöteten Palästinenser ist seit Kriegsbeginn nach Angaben der von der Hamas kontrollierten Gesundheitsbehörde auf 21.672 gestiegen. Zudem seien 56.165 Menschen verletzt worden, teilte ein Sprecher der Behörde mit. Allein in den vergangenen 24 Stunden seien bei insgesamt 14 israelischen Angriffen 165 Palästinenser getötet und weitere 250 verletzt worden. Zuletzt hatte die Behörde am Freitag 21.507 Tote gemeldet. Sie schlüsselt nicht auf, wie viele Zivilisten und wie viele Mitglieder von Terrororganisationen unter den Opfern sind.

@ dpa.de