Ansturm, Hilfsgüter

Eine Hilfsaktion in Gaza endet der Hamas zufolge in einer Tragödie mit über hundert Toten und hunderten Verletzten.

29.02.2024 - 13:41:11

Ansturm auf Hilfsgüter in Gaza - Armee schießt auf Gruppe. Der UN-Hochkommissar für Menschenrechte bezeichnet die anhaltenden Angriffe als «Gemetzel».

Bei Chaos und Schüssen rund um einen Hilfskonvoi im Gazastreifen sind am Morgen Dutzende Menschen ums Leben gekommen. Die von der Hamas kontrollierte Gesundheitsbehörde warf Israels Armee vor, eine Menge in der Stadt Gaza angegriffen zu haben, die auf die Hilfsgüter gewartet habe. Dabei sollen 104 Menschen getötet und 760 verletzt worden sein. Die Angaben ließen sich zunächst nicht unabhängig überprüfen.

Die israelische Armee teilte mit, zahlreiche Anwohner hätten sich um einfahrende Lastwagen mit Hilfsgütern gedrängt, um diese zu plündern. Dutzende wurden demnach dabei etwa durch Rempeleien und Getrampel getötet und verletzt. Den Angaben zufolge wurden zudem auch Menschen von den Lastwagen überfahren. Auch diese Angaben ließen sich zunächst nicht unabhängig verifizieren.

Bewaffnete Palästinenser sollen auf einige der Lkw geschossen haben

Mehrere israelische Medien meldeten unter Berufung auf Armeekreise, ein Teil der Menge habe sich schließlich aus nicht genannter Ursache den Soldaten genähert, die die Einfuhr der Lkw koordinierten, und diese damit gefährdet. Demnach eröffnete das Militär deshalb das Feuer auf die Gruppe. Mehrere Medien meldeten unter Berufung auf die Armee zudem, dass bewaffnete Palästinenser auf einige der Lastwagen geschossen hätten. Das Militär habe zunächst Warnschüsse in die Luft abgegeben und auf die Beine derjenigen gefeuert, die sich den Soldaten trotzdem genähert hätten.

Die «Times of Israel» berichte, rund 30 Lastwagen seien am frühen Morgen an der Küste in der Stadt Gaza angekommen. Tausende Palästinenser rannten demnach auf die Transporter zu. Die Armee veröffentlichte ein Video, das den Ansturm zeigen soll.

Augenzeuge berichtet auch vom Einsatz von Granaten

Ein Anwohner namens Mahmud Ahmed sagte der Deutschen Presse-Agentur, die Menschen hätten am frühen Morgen Lastwagen mit Hilfsgütern aus dem Süden des Küstengebiets in Empfang nehmen wollen, um Mehl und weitere Lebensmittel zu bekommen. Es sei noch dunkel gewesen. Plötzlich sollen Schüsse gefallen sein. Nach Darstellung des 27-jährigen Augenzeugen sollen auch Granaten abgefeuert worden sein. Der Anwohner sei zunächst geflohen, bei Tagesanbruch aber zurückgekommen, berichtete er weiter. Bei seiner Rückkehr habe der Palästinenser etliche Leichen auf dem Boden gesehen. Anwohner hätten Verletzte unter anderem auf Eselskarren in ein Krankenhaus transportiert. Auch diese Angaben ließen sich nicht unabhängig prüfen.

Die Hamas sprach von einem «abscheulichen Massaker» Israels, an dem auch die US-Regierung Mitschuld habe. Die Terrororganisation rief Menschen weltweit auf, demonstrieren zu gehen. 

UN: Gaza-Krieg ist «Gemetzel» - mehr als 30.000 Tote

Der UN-Hochkommissar für Menschenrechte, Volker Türk, hat die anhaltenden Angriffe im Gazastreifen als «Gemetzel» bezeichnet. Wie die von der Hamas kontrollierte Gesundheitsbehörde bekanntgab, wurden allein in den vergangenen 24 Stunden 81 Menschen getötet und 132 weitere verletzt. Seit Beginn der israelischen Militäroffensive im Oktober seien nun 30.035 Menschen getötet und 70.457 verwundet worden.

Türk zitierte die Opferzahlen vor dem UN-Menschenrechtsrat in Genf und sagte, Zehntausende würden zudem vermisst und seien vermutlich unter den Trümmern ihrer Häuser begraben. «Das ist ein Gemetzel.»

Die Hamas-Zahlen lassen sich nicht unabhängig überprüfen. Die Vereinten Nationen und andere Beobachter weisen aber darauf hin, dass sich die Zahlen der Behörde in der Vergangenheit als insgesamt glaubwürdig herausgestellt hätten.



Türk verurteilte erneut den Auslöser der israelischen Militäroffensive: die Massaker, die am 7. Oktober von palästinensischen Extremisten in Israel verübt wurden und das Verschleppen von Zivilisten als Geiseln in den Gazastreifen. Er verurteilte ebenfalls «die Brutalität der israelischen Reaktion». «Der Krieg in Gaza muss beendet werden», forderte Türk. «Alle Parteien haben eindeutige Verstöße gegen die internationalen Menschenrechte und das humanitäre Völkerrecht begangen, darunter auch Kriegsverbrechen und möglicherweise andere Verbrechen nach internationalem Recht. Es ist Zeit - längst überfällig - für Frieden, Aufklärung und Rechenschaftspflicht.»

Tausende Tonnen Munition eingesetzt

Israel habe im Gazastreifen Tausende Tonnen Munition in dicht besiedelten Wohnvierteln eingesetzt. Darunter seien Waffen, die großräumig Schaden anrichteten, sagte Türk. Solche Waffen produzierten eine massive Druckwelle, die menschliche Organe zerreißen und tiefe Verbrennungen verursachen könnten.

«In den vergangenen fünf Kriegsmonaten hat das Büro zahlreiche Vorfälle registriert, die auf Kriegsverbrechen der israelischen Streitkräfte hindeuten, sowie Hinweise darauf, dass die israelischen Streitkräfte wahllos oder unverhältnismäßig gezielt haben und damit gegen das humanitäre Völkerrecht verstoßen», sagte Türk. Das Blockieren von Hilfslieferungen und damit der Einsatz von Hunger als Kriegsmethode könnten, wenn sie bewusst durchgeführt werden, womöglich Kriegsverbrechen sein.

Türk appellierte an beide Seiten, die Menschlichkeit auch auf der anderen Seite zu erkennen. «Es sind Menschen - Palästinenser und Israelis - die auf grausame Weise geschädigt werden», sagte er.

«Schlachtfeld in Gaza hat die Hamas kreiert»

Die israelische Botschafterin verteidigte das Vorgehen Israels. Ihr Land sei im Krieg gegen eine Terrororganisation. Das Schlachtfeld in Gaza habe die Hamas kreiert. Weil die Kämpfer sich hinter Zivilisten versteckten, habe Israel keine andere Wahl, als dort anzugreifen. Israel setze alles daran, das humanitäre Völkerrecht einzuhalten, etwa durch Warnungen vor Luftschlägen an die Bevölkerung.

Der palästinensische Botschafter sagte, Kinder und Frauen, die verzweifelt anstünden, um etwas zu Essen zu bekommen, würden bombardiert. Er warf Israel Genozid vor. Er verurteilte die Anschläge vom 7. Oktober. Die Zeitrechnung habe aber nicht am 7. Oktober begonnen. Israel unterdrücke die Palästinenser seit Jahrzehnten.

Die Diplomaten aus Dutzenden Ländern im Saal zeigten keine Reaktion auf den Redebeitrag der israelischen Botschafterin, die mit zwei freigelassenen Geiseln im Saal des UN-Menschenrechtsrats war. Nach der Rede des palästinensischen Vertreters gab es dagegen lang anhaltenden Applaus.

@ dpa.de