USA, Justiz

Ein Ex-Präsident auf der Anklagebank in einem Strafverfahren: Das gab es in den USA noch nie.

23.08.2023 - 10:22:26

Fall Donald Trump: Regieren aus dem Gefängnis heraus?. Donald Trump stellt das Verfassungssystem auf die Probe - und das Land vor Fragen, die zum Teil absurd anmuten.

Donald Trump bringt die USA einmal mehr an die Grenze des Vorstellbaren. Heute soll der Ex-Präsident in einem Gefängnis in Atlanta vorstellig werden, wegen der jüngsten Anklage gegen ihn im Bundesstaat Georgia. Die beispiellose Serie an Strafverfahren gegen den aktuellen Präsidentschaftsbewerber wirft jede Menge Fragen auf, die das Verfassungssystem der USA bislang noch nicht zu beantworten hatte: Können die Amerikaner einen verurteilten Straftäter ins höchste Staatsamt wählen? Wäre es möglich, dass ein US-Präsident das Land aus dem Gefängnis regiert?

Eine solche Situation habe es noch nie gegeben, sagt der Verfassungsrechtler Gregory Magarian von der Washington University in St. Louis. Über vieles lasse sich nur spekulieren. Vor allem ist fraglich, ob bis zur nächsten Präsidentenwahl Anfang November 2024 auch nur ein einziges rechtskräftiges Urteil gegen Trump vorliegen wird. Denn es gibt jede Menge Möglichkeiten, das Prozedere mit juristischen Winkelzügen in die Länge zu ziehen. Und Berufungsverfahren sind zu erwarten. Mit den Eventualitäten muss sich das Land trotzdem schon mal beschäftigen.

Kann Trump in jedem Fall für die Präsidentenwahl antreten?

Ja. Die Verfassung schreibt nur drei Anforderungen vor: Anwärter müssen gebürtige US-Bürger sein, mindestens 35 Jahre alt und seit mindestens 14 Jahren in den USA leben. Andere Vorgaben gibt es nicht. Debattiert wurde zwar zwischenzeitlich, dass Trump in einem der Verfahren gegen ihn womöglich wegen des seltenen Straftatbestands der Aufruhr angeklagt und verurteilt werden könnte. Und laut Verfassung sind all jene von öffentlichen Ämtern ausgeschlossen, die sich an einem Aufstand gegen die Regierung beteiligt haben. Allerdings wurde dieser Anklagepunkt bislang nicht gegen Trump erhoben. Selbst wenn das noch folgen sollte, würde Trump ohnehin nicht direkt vom Präsidentenamt ausgeschlossen, erklärt Magarian. «Das geschieht nicht automatisch.» Die Frage müsste separat vor Gericht verhandelt werden.

Dürfte Trump überhaupt zur Wahl antreten, falls er in einem der Strafverfahren verurteilt würde und in Haft käme?

Ja. «Er kann für das Amt des Präsidenten kandidieren - auch wenn er verurteilt wird, auch wenn er im Gefängnis sitzt», sagt Magarian. Mit dem Sozialisten Eugene Debs gab es in der US-Geschichte schon einen Präsidentschaftskandidaten, der verurteilt wurde und die Wahl aus dem Gefängnis heraus bestreiten musste: Das war 1920. Debs ging damals nicht als Sieger aus der Wahl hervor, fuhr aus der Haft heraus aber immerhin fast eine Million Stimmen ein. Auch für Trump wäre es theoretisch möglich, aus dem Gefängnis Wahlkampf zu machen - allerdings wäre das eine logistische Herausforderung, weit mehr noch als vor 100 Jahren.

Dürfte Trump aus einer Haft heraus das Land regieren?

«Rechtlich ja», sagt Magarian. «Es gibt keine Verfassungsvorgabe, die besagt, dass eine Person, die inhaftiert ist, nicht als Präsident der Vereinigten Staaten dienen kann.» Der Jurist betont aber: «Das ist unbekanntes Terrain.» Problem dabei sei, «dass ein Mann, der in einer Gefängniszelle sitzt, nicht die Dinge tun kann, die ein Präsident zu tun hat». Insofern könnte in so einem Fall der 25. Zusatzartikel der Verfassung zum Tragen kommen. Der besagt, dass der Vizepräsident und eine Mehrheit wichtiger Kabinettsmitglieder den Präsidenten für unfähig erklären können, sein Amt auszuüben. Wahrscheinlich wäre dies aber nicht, da Trump im Kabinett allein loyale Getreue um sich scharen dürfte. Trump könnte sich in einem solchen Fall vielmehr an ein Gericht wenden und seine Freilassung beantragen - mit der Begründung, nur so seine Amtspflichten erfüllen zu können. Selbst verfügen könnte er seine Entlassung aus einer Haft laut Rechtsexperten aber nicht.

Dürfte Trump - falls verurteilt - bei der Wahl selbst abstimmen?

Vermutlich nicht. In den meisten US-Bundesstaaten gibt es - in unterschiedlichen Varianten - Regeln, die es verurteilten Straftätern verbieten zu wählen. Das dürfte im Fall einer Verurteilung auch Trump treffen. Vor wenigen Jahren verlegte der Republikaner seinen Hauptwohnsitz in den Bundesstaat Florida und registrierte sich dort auch zur Stimmabgabe bei der Präsidentenwahl 2020. In Florida dürfen verurteilte Verbrecher erst wieder wählen, nachdem sie ihre komplette Strafe verbüßt haben, inklusive Bewährung. Sollte Trump noch vor der Wahl verurteilt werden, wäre kaum denkbar, dass er seine Strafe bis zum Wahltag hinter sich hätte.

Was würde im Falle eines Wahlsiegs mit offenen Verfahren passieren, die bis zum Wahltag und Amtsantritt noch nicht geklärt sind?

Trump könnte versuchen, vor Gericht durchsetzen, die Verfahren bis nach seiner Präsidentschaft zu vertagen. «Es wäre Sache der Gerichte und letztlich sicherlich des Supreme Courts, diese Fragen zu klären», betont Magarian. Zumindest in den beiden Verfahren gegen Trump auf Bundesebene - zur Dokumentenaffäre und zum versuchten Wahlbetrug - könnte der 77-Jährige aber auch selbst eingreifen. «Er könnte versuchen, seinen Justizminister anzuweisen, den Sonderermittler zu entlassen», sagt Magarian. Ohne den Sonderermittler wären auch dessen Verfahren vom Tisch. Ein Justizministerium unter Trump könnte die Strafverfahren gegen ihn einfach einstellen. Trump hat schon zuvor bewiesen, dass er vor Einflussversuchen dieser Art nicht zurückschreckt. Er hat auch bereits öffentlich bekundet, er wolle den zuständigen Sonderermittler in den beiden Bundesfällen, Jack Smith, rausschmeißen, falls er wieder Präsident werde.

Könnte sich Trump als Präsident selbst begnadigen?

«Wir wissen es letztlich nicht, weil es noch nie passiert ist», sagt Magarian. «Aber ich sehe keinen Grund, warum er es nicht könnte.» Das würde aber lediglich für die beiden Fälle auf Bundesebene gelten - bei einer Verurteilung auf Bundesstaatenebene, in Trumps Fall in New York und Georgia, hätte der jeweilige Gouverneur über eine Begnadigung zu entscheiden. Und selbst im Bund dürfte ein solcher Schritt größere Verwerfungen auslösen, meint Magarian. Je nach den Mehrheitsverhältnissen im Kongress, könnte eine beispiellose Selbstbegnadigung des Präsidenten im Parlament ein Amtsenthebungsverfahren gegen ihn anstoßen. Die Folge wäre ein Kräftemessen zwischen Kongress und Präsident - in dem das eigentlich unantastbare Begnadigungsrecht des Präsidenten der eigentlich unantastbaren Impeachment-Befugnis des Kongresses gegenüberstünde.

«Aus rein verfassungsrechtlicher Sicht wäre das wohl die heftigste Krise, die man sich vorstellen kann. Und die Gerichte wären gezwungen, sie zu lösen», sagt Magarian. Die Lage wäre «chaotisch».

Eine andere Variante: Joe Biden könnte Trump begnadigen, solange er selbst noch Präsident ist. Aus Gründen der Staatsräson, um die Gesellschaft vor dem Auseinanderbrechen zu bewahren - womöglich aber auch, um einem möglichen Freispruch Trumps zuvorzukommen, der noch größere Folgen für das Verfassungssystem haben könnte. Ein Präsident kann jemanden auch vor einer möglichen Verurteilung begnadigen.

@ dpa.de