Nahost, Israel

Der israelische Aufruf an die Zivilisten im nördlichen Gazastreifen, in den Süden zu flüchten, hat international viel Kritik ausgelöst.

15.10.2023 - 06:22:24

Israels Armee verschiebt Bodenoffensive. Jetzt gibt es ein neues Zeitfenster.

  • Nach einem israelischen Luftangriff in der Stadt Khan Yunes im südlichen Gazastreifen löschen Menschen das Feuer in den Trümmern. - Foto: Yasser Qudih/XinHua/dpa

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  • Israelische Panzer in der Nähe der Grenze zwischen Israel und Gaza. - Foto: Ilia Yefimovich/dpa

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  • Israelischer Luftangriff auf den Gazastreifen, vom Süden Israels aus gesehen. - Foto: Ariel Schalit/AP/dpa

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  • Vom Gazastreifen aus werden weiterhin Raketen auf Israel abgefeuert, so wie hier am Sonnatgvormittag. - Foto: Ariel Schalit/AP/dpa

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Nach einem israelischen Luftangriff in der Stadt Khan Yunes im südlichen Gazastreifen löschen Menschen das Feuer in den Trümmern. - Foto: Yasser Qudih/XinHua/dpaIsraelische Panzer in der Nähe der Grenze zwischen Israel und Gaza. - Foto: Ilia Yefimovich/dpaIsraelischer Luftangriff auf den Gazastreifen, vom Süden Israels aus gesehen. - Foto: Ariel Schalit/AP/dpaVom Gazastreifen aus werden weiterhin Raketen auf Israel abgefeuert, so wie hier am Sonnatgvormittag. - Foto: Ariel Schalit/AP/dpa

Die israelische Armee hat den Zivilisten im Norden des Gazastreifens am Sonntag etwas mehr Zeit für eine Evakuierung in den Süden des Küstenstreifens eingeräumt. Das Militär veröffentlichte auf der Plattform X (vormals Twitter) in arabischer Sprache ein neues Zeitfenster: Einwohner der Stadt Gaza und Umgebung hätten von 10.00 Uhr bis 13.00 Uhr Ortszeit (09.00 bis 12.00 Uhr MESZ) nochmal Zeit, um eine sichere Fluchtroute zu nutzen. Die Armee werde in diesem Zeitraum diesen Korridor nicht angreifen.

Wann die erwartete Bodenoffensive beginnen würde, blieb weiter unklar. Israel will die im Gazastreifen herrschende islamistische Hamas zerstören, nachdem diese bei dem beispiellosen Terrorüberfall auf Israel seit Samstag vergangener Woche mehr als 1300 Menschen getötet, über 3600 Menschen verletzt hat. Mehr als 150 Menschen wurden in den Gazastreifen entführt. Die israelische Zeitung «Haaretz» warnte, je länger Israel warte, desto eher werde die Solidarität des Westens mit dem angegriffenen Land schwinden.

Iran warnt Israel vor Bodenoffensive

Für den Fall eines Einmarsches israelischer Bodentruppen in das dicht besiedelte Gebiet mit Häuserkämpfen in Wohngebieten wurde eine Ausweitung des Konflikts durch Angriffe der mit der Hamas und dem Iran verbündeten Schiitenmiliz Hisbollah vom Südlibanon auf Israel befürchtet. Irans Außenminister Hussein Amirabdollahian hatte Israel schon am Vortag vor einem «Erdbeben gegen die Zionisten» gewarnt. International wächst die Sorge, dass sich der Konflikt zu einem Flächenbrand entwickelt. Auch die begonnene Normalisierung der israelisch-arabischen Beziehungen könnten einen Rückschlag erleiden.

Israel erklärt Sperrzone im Grenzgebiet zum Libanon

Seit Tagen kommt es an der israelisch-libanesischen Grenze im Norden zu Gefechten zwischen Bewaffneten der pro-iranischen Hisbollah-Miliz und der israelischen Armee. Es gab Tote auf beiden Seiten. Die israelische Armee erklärte am Sonntag einen vier Kilometer breiten Streifen im Grenzgebiet zu einer Sperrzone. Es sei verboten, diese Zone zu betreten. Dort in bis zu zwei Kilometern Entfernung von der Grenze wohnende Zivilisten wurden angewiesen, stets in der Nähe von Schutzräumen zu bleiben.

Bei einem neuen Angriff der Hisbollah-Miliz auf Israel wurde am Sonntag nach Angaben israelischer Sanitäter ein Mensch getötet. Die Hisbollah teilte mit, sie habe eine Rakete auf Israel abgefeuert. Aus libanesischen Sicherheitskreisen hieß es, Israel habe mit Artilleriebeschuss geantwortet. Die Hisbollah gilt als deutlich schlagkräftiger als die Hamas. Schätzungen zufolge verfügt sie über mehr als 100.000 Raketen.

Auswärtiges Amt warnt vor Reisen nach Israel

Wegen der Eskalation der Gewalt im Nahen Osten warnt das Auswärtige Amt vor Reisen nach Israel, in die gesamten palästinensischen Gebiete und in den Libanon. Das teilte das Ministerium am Sonntag mit. Deutsche Staatsbürger vor Ort rief das Auswärtige Amt dazu auf, sich in die Krisenvorsorgeliste Elefand einzutragen, über die es zu Ausreisemöglichkeiten informiert.

Mit Sonderflügen der Lufthansa wurden in den vergangenen Tagen schon rund 2800 Deutsche und Familienangehörige ausgeflogen. Seit Samstag brachte auch die Bundeswehr 80 Deutsche in die Heimat. Ein drittes Transportflugzeug landete am Sonntagvormittag in Tel Aviv, wie die Luftwaffe auf der Online-Plattform X mitteilte. Das Auswärtige Amt verwies zudem auf einen Sonderflug der Fluggesellschaft Condor aus Akaba in Jordanien, die direkt an der Südgrenze Israels liegt.

London: Hamas will Krieg zwischen Muslimen und Rest der Welt

Der britische Außenminister James Cleverly warf der Hamas vor, sie wolle mit ihrem Terrorangriff auf Israel einen Flächenbrand auslösen. Es sei in Israels eigenem Interesse, bei der bevorstehenden Invasion des Gazastreifens zivile palästinensische Opfer zu vermeiden, sagte Cleverly dem Sender Sky News. «Denn die Hamas will diesen Konflikt eindeutig in einen größeren arabisch-israelischen Krieg oder sogar einen Krieg zwischen der muslimischen Welt und dem Rest der Welt verwandeln.»

Cleverly betonte, er erwarte «Zurückhaltung und Disziplin» von den israelischen Streitkräften. Dies seien «die Kennzeichen einer hochfunktionierenden Militärorganisation» und stünden im krassen Gegensatz zu den terroristischen Gräueltaten der Hamas. «Israel versucht, zivile Opfer zu vermeiden - die Hamas sucht Zivilisten, um sie ins Visier zu nehmen», sagte Cleverly.

USA verlegen weitere Kriegsschiffe nach Nahost

Die USA verlegen derweil weitere Kriegsschiffe ins östliche Mittelmeer, unter anderem den Flugzeugträger «USS Dwight D. Eisenhower», den Lenkwaffenkreuzer «USS Philippine Sea» und zwei Zerstörer. Sie sollen sich den bereits in die Region verlegten Schiffen anschließen, wie das Verteidigungsministerium in Washington mitteilte. Die Kriegsschiffe sollen sich demnach nicht an Kampfhandlungen beteiligen, sondern der Abschreckung dienen. Das Weiße Haus betonte auch, dass man nicht plane, Bodentruppen nach Israel zu schicken.

Zahl der Opfer im Gazastreifen steigt weiter

Seit dem blutigsten Überfall auf Israel seit dessen Staatsgründung 1948 durch Hamas-Terroristen fliegt das israelische Militär massive Luftangriffe auf Ziele in dem nur 40 Kilometer langen und zwischen sechs und zwölf Kilometer breiten Gebiet. Während Zehntausende Palästinenser auch am Sonntag weiter auf der Flucht in den Süden des Gebietes waren, stieg die Zahl der Toten auf 2329 und der Verletzten auf mehr als 9000, wie das örtliche Gesundheitsministerium mitteilte.

Die Vereinten Nationen hatte die Evakuierungsanordnung für undurchführbar erklärt und deren Rücknahme gefordert. Zudem müsse Israel sofort die Versorgung der Menschen in dem abgeriegelten Gebiet mit Nahrung, Wasser, Medikamenten und Treibstoff zulassen.

Einem unbestätigten Medienbericht zufolge könnte schlechtes Wetter den Menschen etwas mehr Zeit für die Flucht verschafft haben. Die Bodenoffensive sei eigentlich schon für dieses Wochenende geplant gewesen, dann aber wegen bewölkten Himmels und der dadurch schlechten Sicht für Piloten und Drohnen verschoben worden, berichtete die «New York Times» unter Berufung auf drei namentlich nicht genannte, ranghohe israelische Offiziere.

Sorge um Geiseln

Die Hamas plane zudem, durch geheime Tunnelausgänge hinter die israelischen Linien zu gelangen und von hinten anzugreifen. Ein strategisches Dilemma sei zudem, dass die Terroristen sich unter der Erde mit Geiseln verschanzen könnten und dann nur noch schwer auszuschalten seien, hieß es in dem Bericht weiter.

Zwischen 150 und 200 Menschen wurden schätzungsweise in den Gazastreifen verschleppt, wie Israels Sicherheitsberater Tzachi Hanegbi am Samstag wissen ließ. Das Militär hatte zuvor mitgeteilt, dass die Familien von rund 120 Geiseln informiert worden seien.

Auch Außenministerin Annalena Baerbock rief die Hamas eindringlich auf, alle Geiseln freizulassen. Der Bundesregierung seien acht Fälle von deutschen Staatsangehörigen unter ihnen bekannt - die meisten seien Doppelstaatler, sagte Baerbock nach einem Treffen mit ihrem ägyptischen Kollegen Samih Schukri in Kairo.

@ dpa.de