Israel, Sieg

Der Gaza-Krieg zwischen Israel und der Hamas ist wieder am Wüten, die Hoffnung auf eine erneute Feuerpause schwindet.

03.12.2023 - 05:48:42

Israel will bis zum «totalen Sieg» kämpfen. Für die Menschen im überfüllten Süden Gazas ist die Lage verheerend. Der Überblick.

Während Israels Armee die massiven Bombardements im Gazastreifen fortsetzt und die Zahl der zivilen Todesopfer stark steigt, haben sich die Aussichten auf eine neue Feuerpause verdüstert.

Am frühen Morgen heulten im Süden Israels wieder die Sirenen, wie die Armee mitteilte. Ungeachtet von immer eindringlicheren Mahnungen seitens der US-Regierung an Israel, die Zivilisten in Gaza zu schützen, bombardierte Israel etliche Ziele im besonders dicht bevölkerten Süden des abgeriegelten Gebiets. Dort versuchen Hunderttausende aus dem Norden geflohene Palästinenser auf äußerst geringem Raum, den Beschüssen auszuweichen.

Israels Armee setzt Bombardement im Gazastreifen fort

Die israelische Armee setzte ihr Bombardement von Zielen im Gazastreifen fort. Kampfflugzeuge und Hubschrauber hätten in der Nacht «Terrorziele» angegriffen, darunter Tunnelschächte, Kommandozentralen und Waffenlager, teilte das israelische Militär mit.

Zudem habe eine von den Bodentruppen gesteuerte Kampfdrohne fünf Terroristen der islamistischen Hamas ins Visier genommen und ausgeschaltet. Am Vortag hätten auch Israels Marineeinheiten «Terrorziele» der Hamas angegriffen und den Einsatz der Bodentruppen flankiert, hieß es. Zu diesen Zielen gehörten terroristische Infrastruktur, Schiffe der Hamas-Marine sowie Waffen. Ein Sprecher der Hamas-Behörde teilte mit, bei Angriffen im gesamten Gazastreifen seien binnen 24 Stunden rund 700 Menschen getötet worden.

Netanjahu: Kämpfen bis zum «totalen Sieg»

Ministerpräsident Benjamin Netanjahu bekräftigte, man werde den Krieg gegen die islamistische Hamas «bis zum Ende» und bis zum «totalen Sieg» über die Terrororganisation fortsetzen, wie die «Times of Israel» meldete. Er machte demnach am Samstagabend deutlich, dass ein Bodeneinsatz der einzige Weg sei, die Hamas zu zerstören. Während Bodentruppen bereits im Norden im Einsatz sind, führte die Armee am Samstag im Süden massive Schläge aus der Luft aus. Allein in der Gegend der Stadt Chan Junis wurden mehr als 50 Ziele bombardiert.

Immerhin gelangten am selben Tag 100 Lastwagen mit dringend benötigten Hilfslieferungen nach Angaben von Helfern in den Gazastreifen. Laut der von der Hamas kontrollierten Gesundheitsbehörde wurden seit Ende der Feuerpause bis Samstag rund 200 Menschen bei den Angriffen getötet. Seit Kriegsbeginn am 7. Oktober seien es schon mehr als 15.000 Tote. Die Zahlen waren unabhängig zunächst nicht zu überprüfen.

Israels Armee: 800 Tunnelschächte im Gazastreifen gefunden

Die israelische Armee fand nach eigenen Angaben seit Beginn des Gaza-Kriegs mehr als 800 Tunnelschächte. Rund 500 davon seien bereits zerstört worden, teilte das Militär mit. Dabei sei unter anderem Sprengsatz eingesetzt worden.

Einige der Tunnelschächte hätten strategische Einrichtungen der islamistischen Terrororganisation Hamas unterirdisch miteinander verbunden, hieß es in der Mitteilung. Viele Kilometer der unterirdischen Tunnelrouten seien zerstört worden. Die Angaben ließen sich zunächst nicht unabhängig überprüfen.

Unicef: Angriffe in Gaza «unmoralisch» und «sicher illegal»

Der Pressesprecher des UN-Kinderhilfswerks Unicef, James Elder, kritisiert die israelischen Angriffe im Gazastreifen während eines Besuchs scharf. Dort finde ein «Blutbad» statt, das «unmoralisch» sei und das mit «mit Sicherheit als illegal verstanden werden wird», sagte Elder dem Nachrichtensender Al-Dschasira während eines Besuchs in Chan Junis. Wer das hinnehme, mache sich selbst schuldig. «Schweigen ist Mittäterschaft», sagte der sichtlich erschütterte Elder, der teils mit zitternder Stimme sprach.

Während seines Besuchs habe er überall Kinder mit schweren Verbrennungen, mit Verletzungen durch Granatsplitter, Gehirnverletzungen und mit Knochenbrüchen gesehen. Man sehe Mütter um ihre Kinder weinen, die wohl «Stunden vor dem Tod» stünden.

USA mahnen Israel

US-Verteidigungsminister Lloyd Austin rief Israel eindringlich zum Schutz der Zivilisten auf. Dies sei nicht nur eine moralische Verantwortung, sondern auch ein strategisches Gebot, sagte Austin bei einer Tagung im Bundesstaat Kalifornien. US-Vizepräsidentin Kamala Harris wurde am Rande der Klimakonferenz in Dubai noch deutlicher: «Zu viele unschuldige Palästinenser sind getötet worden. Offen gesagt, das Ausmaß des zivilen Leids und die Bilder und Videos aus dem Gazastreifen sind verheerend», sagte sie.

Regev: Schützen Zivilbevölkerung mit nie dagewesenen Maßnahmen

Der israelische Regierungsberater Mark Regev wies Vorwürfe zurück, sein Land würde im Kampf gegen die Hamas zu wenig unternehmen, um die Zivilbevölkerung in Gaza zu schützen. «Wir unternehmen maximale Anstrengungen, vielleicht sogar nie dagewesene in ähnlichen Umständen», sagte Regev der BBC. Israel habe spezifische Viertel ausgewiesen, die zum Ziel von Angriffen würden und warne die die Zivilisten dort vorab, sie zu verlassen, so Regev.

Verhandlungen über Feuerpause in Sackgasse

Doch die Verhandlungen in Katar über eine erneute Feuerpause stecken in einer Sackgasse. Der Chef des israelischen Auslandsgeheimdienstes Mossad, David Barnea, habe deshalb sein Verhandlungsteam dazu aufgefordert, nach Israel zurückzukehren, teilte das Büro von Netanjahu am Samstag mit.

Am Abend gab Großbritannien bekannt, Israel bei der Suche nach den Geiseln zu unterstützen. Man werde unbewaffnete Überwachungsflüge über dem östlichen Mittelmeer durchführen und dabei auch im Luftraum über Israel und Gaza operieren», teilte die britische Regierung mit.

Wieder Raketenalarm in Tel Aviv

Derweil gab es in der israelischen Küstenmetropole Tel Aviv wieder Raketenalarm. Im Zentrum der Stadt waren mehrere dumpfe Explosionen zu hören. Die Hamas bekannte sich zu den Angriffen.

Frankreichs Präsident Emmanuel Macron stellte denn auch Israels Ziel einer kompletten Vernichtung der Hamas in Frage. «Die vollständige Vernichtung der Hamas, was ist das? Glaubt irgendjemand, dass das möglich ist? Wenn das so ist, wird der Krieg zehn Jahre dauern», sagte Macron in Dubai. Er kritisierte auch die Fortsetzung des Bombardements im Gazastreifen: «Der richtige Kampf gegen den Terrorismus ist nicht die systematische und permanente Bombardierung.» Er forderte erneut eine sofortige Feuerpause.

Chefankläger: Gegen Verbrechen auf allen Seiten ermitteln

Der Chefankläger des Internationalen Strafgerichtshofes, Karim Khan, setzt sich für Ermittlungen zu möglichen Kriegsverbrechen auf allen Seiten des Gaza-Kriegs ein. «Wir müssen zeigen, dass das Recht an allen Frontlinien herrscht und das es in der Lage ist, alle zu schützen», heißt es in einer Erklärung.

Israel ist zwar kein Vertragsstaat des Gerichts, doch Khan bot dem Land seine Unterstützung an bei Ermittlungen zu den Attacken der Hamas vom 7. Oktober. Khan sprach von «einigen der schlimmsten internationalen Verbrechen, die das Gewissen der Menschheit schocken». Er rief die Hamas dazu auf, alle festgehaltenen Geiseln sofort freizulassen.

Khan betonte zugleich, dass auch Israel bei Angriffen auf den Gazastreifen an internationales Recht gebunden sei. «Wie ich bereits zuvor gesagt habe, hat Israel ausgebildete Juristen, die Kommandanten beraten, und ein robustes System, das die Einhaltung des internationalen humanitären Rechtes garantieren soll.» Fundierte Beschuldigungen über mutmaßliche Kriegsverbrechen müssten unabhängig und schnell geprüft werden.

Israel will Pufferzone an Grenze zu Gaza

Israel will nach dem Gaza-Krieg eine Pufferzone im Grenzgebiet zum Gazastreifen einrichten. «Israel wird eine Sicherheitshülle brauchen», sagte der Sicherheitsberater der israelischen Regierung, Mark Regev, am Samstag in Tel Aviv.

«Es wird keine Situation mehr geben, in der sich Hamas-Leute an der Grenze aufhalten, die sie überqueren und unsere Zivilisten töten können.» Er nannte keine Details zu der geplanten Sicherheitszone. Es wird jedoch davon ausgegangen, dass diese auf Kosten des Gazastreifens gehen dürfte.

Auslöser des jüngsten Gaza-Kriegs war das schlimmste Massaker in der Geschichte Israels, das Terroristen aus dem Gazastreifen am 7. Oktober in Israel nahe der Grenze begangen hatten. Dabei wurden mehr als 1200 Menschen getötet und rund 240 Geiseln nach Gaza verschleppt. Israel reagierte mit massiven Luftangriffen, einer Blockade des Küstengebiets und begann Ende Oktober mit einer Bodenoffensive.

Rakete von Syrien auf Golanhöhen abgefeuert

Aus Syrien wurde indes nach israelischen Militärangaben eine Rakete auf die Golanhöhen abgefeuert. Israel habe daraufhin den Ort angegriffen, von dem aus das Geschoss abgeschossen worden sei, teilte die Armee mit. Am Vorabend sei außerdem eine Panzerabwehrrakete vom Libanon aus in Richtung eines Ortes im Norden Israels abgeschossen worden. Israelische Artillerie habe mehrere Orte im Libanon angegriffen. Es gab auf beiden Seiten zunächst keine Berichte über mögliche Opfer.

Zivilist von israelischem Soldat erschossen

Israel untersucht zudem den Tod eines israelischen Zivilisten, der während eines palästinensischen Anschlags in Jerusalem mutmaßlich von einem Soldaten erschossen worden war. Die Armee teilte mit, der Vorfall am Donnerstag werde von Polizei, Geheimdienst und Militärpolizei geprüft.

Der bewaffnete Zivilist hatte nach Medienberichten auf zwei Palästinenser geschossen, die an einer Bushaltestelle in Jerusalem das Feuer auf dort wartende Menschen eröffnet hatten. Er hatte sein Auto nach den ersten Schüssen der Attentäter auf der anderen Straßenseite gestoppt und war über die Straße gelaufen. Zwei Soldaten waren den ersten Angaben zufolge auch an dem Vorfall beteiligt und schossen auf die Palästinenser.

Zumindest einer von ihnen hielt den Zivilisten offenbar für einen dritten Attentäter. Videoaufnahmen des Vorfalls in sozialen Medien zeigten allerdings, wie der Anwalt die Hände hochhielt, bevor er getroffen wurde. Nach Augenzeugenberichten hatte er auch seine Waffe weggeworfen, auf Hebräisch gerufen, man solle seine Identitätskarte prüfen und sein Hemd geöffnet, um zu zeigen, dass er keinen Sprengstoffgürtel trägt. Einer der Soldaten habe dennoch geschossen.

@ dpa.de