Offensive, Gaza

Beim Außenministertreffen in Brüssel wächst der Druck auf Israel, sich für eine Zweistaatenlösung zu öffnen.

22.01.2024 - 20:10:04

Offensive in Gaza ausgeweitet: Zusammenstöße bei Chan Junis. Die Regierung in Jerusalem ringt um die Freilassung weiterer Geiseln. Im Gazastreifen wird weiter gekämpft. Der Überblick.

  • Nach Darstellung Netanjahus gibt es von der islamistischen Hama «keinen echten Vorschlag» zur Freilassung weiterer Geiseln. - Foto: Miriam Alster/POOL Flash 90/AP/dpa

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  • Palästinensische Familien fliehen vor den anhaltenden israelischen Angriffen auf Chan Junis in Richtung Rafah im Süden des Gazastreifens. - Foto: Mohammed Talatene/dpa

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Nach Darstellung Netanjahus gibt es von der islamistischen Hama «keinen echten Vorschlag» zur Freilassung weiterer Geiseln. - Foto: Miriam Alster/POOL Flash 90/AP/dpaPalästinensische Familien fliehen vor den anhaltenden israelischen Angriffen auf Chan Junis in Richtung Rafah im Süden des Gazastreifens. - Foto: Mohammed Talatene/dpa

Deutschland und die EU verstärken den Druck auf Gegner einer Zweistaatenlösung für den Nahost-Konflikt. Derweil will das israelische Militär die Hamas-Brigade von Chan Junis kampfunfähig machen.

Israels Militär weitet Offensive im Süden des Gazastreifens aus

Augenzeugen berichten von heftigen Zusammenstößen zwischen israelischen Soldaten und Kämpfern der islamistischen Hamas-Miliz im Westen von Chan Junis. Die Kämpfe hätten sich in unmittelbarer Nähe zweier Krankenhäuser sowie bei Zeltstädten für Flüchtlinge aus dem Norden des Gazastreifens abgespielt. Der Palästinensische Rote Halbmond sprach von Dutzenden Toten und Verletzten.

Das Militär bestätigte israelischen Medienberichten zufolge, im Westen von Chan Junis einen größeren Vorstoß in ein Gebiet unternommen zu haben, in das es bislang nicht eingerückt war. Der Einsatz könne mehrere Tage dauern. Ziel sei es, die Hamas-Brigade von Chan Junis kampfunfähig zu machen. Bislang seien 50 Hamas-Kämpfer, unter ihnen ein Kompaniekommandant, getötet worden. Auf israelischer Seite seien drei Soldaten gefallen, teilte die Armee mit.

Die Armee sei sich im Klaren darüber, dass sie in einem äußerst dicht bevölkerten Areal operiere, hieß es weiter. Zugleich sei sie aber damit konfrontiert, dass Hamas-Terroristen sie immer wieder aus Krankenhäusern, Moscheen und Wohngebieten heraus angriffen.

Beschuss an Israels Nordgrenze

Israels Militär und die Schiitenmiliz Hisbollah im Südlibanon berichten erneut von gegenseitigem Beschuss. Die israelische Armee teilte mit, Kampfjets hätten ein militärisch genutztes Gebäude in Marun al-Ras im Süden des Libanons bombardiert, in dem sich mehrere «Terroristen» aufgehalten hätten. Dazu wurde ein Video veröffentlicht, das den Angriff mit einer gewaltigen Explosion sowie mehrere Folgeexplosionen zeigen sollte. Die Detonationen seien ein Hinweis darauf, dass sich dort Waffen befunden hätten, betonte die Armee. Weitere Angriffe habe es bei den Orten Maruahin, Chihine, Taibi, Tajir Harfa sowie bei Kfarkila und Blida gegeben.

Die Hisbollah wiederum griff nach eigenen Angaben drei verschiedene Ziele in Israel an. Die Miliz hat seit Beginn der Kämpfe am 7. Oktober nach dem blutigen Hamas-Überfall auf Israel bereits von 167 Toten in ihren Reihen berichtet. Das hochrangige Mitglied der Hisbollah, der libanesische Parlamentarier Hassan Fadlallah, sagte, Israel sei mit seinen Angriffen in den vergangenen Wochen zu weit gegangen und habe nichts aus früheren Kämpfen gelernt. «Für das Blut eines jeden Märtyrers, der dieses Land bewässerte, wurden Tausende Mudschaheddin geboren», sagte Fadlallah.

EU macht Druck auf Netanjahu

Mit deutlichen Worten werden bei einem EU-Treffen indes die jüngsten Äußerungen aus Israel zum Thema Zweistaatenlösung kritisiert. «All diejenigen, die davon nichts wissen wollen, haben bisher keine andere Alternative auf den Weg gebracht», so Außenministerin Annalena Baerbock bei einem EU-Treffen in Brüssel.

Ähnlich äußerten sich auch etliche andere Ministerinnen und Minister und kritisierten den israelischen Ministerpräsidenten Benjamin Netanjahu. Er hatte erneut deutlich gemacht, dass er eine Zweistaatenlösung nach dem Ende des Gaza-Krieges ablehnt.

Laut Baerbock ist es zentral, deutlich zu machen, dass Israel nur in Sicherheit leben könne, wenn auch die Palästinenser in Sicherheit und in Würde leben könnten. Gleichzeitig gelte, dass Palästinenserinnen und Palästinenser nur in Würde, Sicherheit und Freiheit leben könnten, wenn Israel in Sicherheit lebe.

Eine Mehrheit der Israelis lehnt eine Zweistaatenlösung ab. Viele befürchten, dass es damit auch aus dem Westjordanland Raketen auf israelische Orte hageln könnte. Außerdem argumentieren manche, ein unabhängiger Staat ausgerechnet nach dem beispiellosen Massaker vom 7. Oktober komme einer Belohnung dafür gleich. Die islamistische Hamas ist ebenfalls gegen eine Zweistaatenlösung. Sie strebt die Zerstörung Israels an.

Netanjahu: «Kein echter Vorschlag» der Hamas für neuen Geisel-Deal

Nach Darstellung Netanjahus gibt es zudem von der islamistischen Hamas «keinen echten Vorschlag» zur Freilassung weiterer Geiseln. «Auf der anderen Seite gibt es eine Initiative von uns, zu der ich keine Einzelheiten nennen werde», sagte Netanjahu nach Angaben seines Büros bei einem Treffen mit Angehörigen von Geiseln, die aus Israel entführt worden sind und seit 108 Tagen im Gazastreifen festgehalten werden.

Die Angehörigen haben ihre Proteste zuletzt weiter verschärft und drängen massiv auf einen neuen Deal zur Freilassung Entführter. In einem parlamentarischen Ausschuss in Jerusalem kam es am Montag zu tumultartigen Szenen, als aufgebrachte Angehörige den Raum stürmten. Die Sitzung musste abgebrochen werden.

Ein israelischer Regierungssprecher lehnte indessen eine Vereinbarung über die Freilassung von Geiseln zu Bedingungen der islamistischen Hamas strikt ab. Die Terrororganisation habe «lächerliche» Forderungen wie einen vollständigen Abzug der Armee aus dem Gazastreifen und die Freilassung von «Vergewaltigern und Mördern» verlangt, die beim Überfall auf Israel am 7. Oktober Gräueltaten verübt hätten, sagte Sprecher Avi Hyman.

Medien zufolge werden Israel und die Hamas auch von den USA, Ägypten und Katar zu einem Verhandlungsprozess gedrängt, der zur Freilassung von Geiseln und dem Rückzug der israelischen Armee aus dem Gazastreifen führen soll. Die Verhandlungen sollten in den kommenden Tagen in Kairo fortgesetzt werden, berichtete das «Wall Street Journal».

Hamas zu Massaker: Ziel waren nur Soldaten

Die Hamas legte einen 16 Seiten langen Bericht vor, in dem sie das Massaker im israelischen Grenzgebiet am 7. Oktober zu rechtfertigen versucht. Der Angriff Tausender Terroristen auf Israel wird in dem am Sonntagabend veröffentlichten Bericht als «notwendiger Schritt und normale Reaktion, um sich allen israelischen Verschwörungen gegen das palästinensische Volk und seine Sache zu widersetzen» beschrieben. Obwohl die überwiegende Mehrheit der rund 1200 Todesopfer Zivilisten waren, behauptet die Terrororganisation, Ziel des Angriffs seien allein israelische Soldaten gewesen.

«Schaden an Zivilisten - vor allem Kinder, Frauen und älteren Menschen - zu vermeiden ist eine religiöse und moralische Verpflichtung aller Kämpfer der Al-Aksa-Brigaden (des bewaffneten Hamas-Arms)», hieß es in dem Bericht. Unter den am 7. Oktober Getöteten sowie mehr als 250 in den Gazastreifen verschleppten Menschen waren jedoch viele Kinder, Frauen und ältere Menschen.

EU-Staaten verständigen sich auf Militäreinsatz im Roten Meer

Die EU-Staaten ezielten in Brüssel eine politische Grundsatzeinigung auf den Start eines Militäreinsatzes zur Sicherung der Handelsschifffahrt im Roten Meer. Der Einsatz soll nach Angaben von Diplomaten im Idealfall im kommenden Monat starten und die Angriffe von militant-islamistischen Huthi aus dem Jemen beenden. Die militant-islamistische Miliz will mit dem Beschuss von Schiffen ein Ende der israelischen Angriffe im Gazastreifen erzwingen, die auf das beispiellose Hamas-Massaker in Israel am 7. Oktober folgten.

Nach den derzeitigen Planungen wird der EU-Einsatz vorsehen, europäische Kriegsschiffe und luftgestützte Frühwarnsysteme zum Schutz von Frachtschiffen in die Region zu entsenden. Eine Beteiligung an den US-Angriffen gegen Huthi-Stellungen im Jemen ist jedoch nicht geplant. Deutschland will sich mit der Fregatte «Hessen» an der Militäroperation beteiligen - vorausgesetzt, dass der Bundestag nach dem Abschluss der EU-Planungen ein entsprechendes Mandat erteilt.

@ dpa.de