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EZB-Vertreter warnen vor den Folgen des Verfassungsgerichtsurteils zu europäischen Anleihekäufen

11.05.2020 - 16:55:59

Ex-Vizedirektor der EZB kritisiert das Urteil des Bundesverfassungsgerichts zum Ankauf europäischer Anleihen und sieht Unabhängigkeit der EZB gefährdet.

Die Europäische Zentralbank (EZB) als ein Organ der EU-Kommission, muss eine unabhängige Geldpolitik verfolgen können, warnt der ehemalige Vize-Direktor der EZB, Vitor Constancio gegenüber dem „Handelsblatt“. Die EZB kann sich nicht der nationalen Rechtsprechung unterordnen, sondern ist eine eigenständige Instanz der EU. Somit ist sie in ihren Handlungen nur der EU-Kommission Rechenschaft schuldig. Daher ist das deutsche Verfassungsgericht nicht die zuständige Instanz, um Maßnahmen der EZB zu beurteilen. Dies obliegt allein dem europäischen Gerichtshof (EuGH), insistiert der Portugiese. Die Mitgliedsstaaten haben einen Teil ihrer Souveränität auf dem Gebiet der Finanz- und Geldpolitik an die europäischen Gemeinschaftsorgane delegiert. Deshalb gilt in diesen Bereichen ausschließlich das europäische und nicht das nationale Recht. Die EZB steht für übergeordnete Gemeinschaftsinteressen, die nicht durch nationale Gerichte interpretierbar sind. Die Folgen einer nationalen Aufsicht auf die Handlungsfähigkeit der EU wären unabsehbar, warnt der Banker. Constancio bezieht sich in seiner Kritik nationaler Egoismen in erster Linie auf ein einschlägiges Urteil des Bundesverfassungsgerichts, das die Ankäufe von europäischen Anleihen durch die EZB zum Teil als verfassungswidrig abgelehnt hatte. Die Verfassungsrichter bemängelten unter anderem die Verhältnismäßigkeit der Ankäufe. In ihrem Urteil setzte das Verfassungsgericht der EZB eine Frist von drei Monaten, um die Verhältnismäßigkeit zu prüfen. Bis zu einer abschließenden Stellungnahme kann die Bundesbank sich nicht an weiteren Ankäufen beteiligen. Der Ex-EZB-Vizedirektor setzte seinerseits der Bundesregierung eine Frist, um das Urteil des Verfassungsgerichts aufgrund der Nicht-Zuständigkeit für ungültig zur erklären. Die Bundesrepublik muss sicherstellen, dass sich die Bundesbank auch in Zukunft an entsprechenden Hilfsmaßnahmen beteiligt. Der EZB-Vertreter fordert ultimativ die Einschaltung der EU-Kommission zur definitiven Durchsetzung des europäischen Rechts. Die EU-Kommission muss den EuGH anrufen, der die Priorität des Europarechts feststellen muss und dieses auch durchzusetzen hat.
Die EZB erwartet in der Corona-Krise den Rückgang der Wirtschaftsleistung in der EU-Zone um mindestens 12 Prozent. Dies wird unweigerlich zu einem explosionsartigen Ansteigen der Staatsverschuldung führen. Die Verschuldung wird auf den Gegenwert des gesamten Bruttoinlandsprodukts der EU-Zone in einem Jahr steigen. Allerdings sieht Constancio einen erheblichen Unterschied zwischen den einzelnen Mitgliedsstaaten. Während Deutschland die Staatsverschuldung auf 70 Prozent des Bruttoinlandsproduktes begrenzen kann, wird Italien mit einer Verschuldung von 160 Prozent des BIP konfrontiert werden, prognostiziert der Ex-Vize-Direktor der EZB. Diese Zahlen sind in Friedenszeiten einmalig, betont er im „Handelsblatt“.

 

Redaktion ad-hoc-news.de, NeoMatrix

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