Thyssenkrupp, Betriebsrat

Thyssenkrupp: Betriebsrat fordert Finanzierungs-Klartext nach Moody's-Herabstufung

23.12.2025 - 00:01:12

Nach einer Rating-Herabstufung und einem Rechtsstreit mit Salzgitter fordert der Betriebsrat von Thyssenkrupp Steel umfassende Informationen zur gesicherten Finanzierung des milliardenschweren grünen Stahlumbaus.

Der Betriebsrat von Thyssenkrupp Steel Europe pocht auf sein Informationsrecht. Hintergrund sind eine Herabstufung durch die Ratingagentur Moody’s und ein neuer Rechtsstreit, die die Finanzierung der milliardenschweren “Grünen Stahl”-Transformation infrage stellen könnten.

Nur wenige Wochen nach dem historischen Restrukturierungs-Kompromiss mit der IG Metall sieht sich Thyssenkrupp Steel Europe (tkSE) mit neuen Unsicherheiten konfrontiert. Der Gesamtbetriebsrat unter Tekin Nasikkol beruft sich nun auf sein Informationsrecht nach dem Betriebsverfassungsgesetz. Er fordert von der Konzernführung umfassende Aufklärung darüber, ob die Finanzierung für das “tkH2Steel”-Projekt trotz jüngster Rückschläge noch gesichert ist.

Moody’s warnt vor hohem Cash-Verbrauch

Auslöser der Besorgnis ist eine Herabstufung durch die Ratingagentur Moody’s am vergangenen Freitag, dem 19. Dezember. Die Agentur verschlechterte die Einstufung für die Thyssenkrupp AG von “positiv” auf “stabil”. Als Grund nannte sie die “außerordentliche Restrukturierung” der Stahlsparte, die in den nächsten 12 bis 18 Monaten erhebliche Liquiditätsreserven binden werde.

Das Timing ist brisant. Erst am 1. Dezember hatte sich tkSE mit der IG Metall auf einen umfassenden Sanierungsplan geeinigt. Dieser sieht den Abbau von etwa 11.000 Arbeitsplätzen und eine Reduzierung der Produktionskapazität von 11,5 auf rund 9 Millionen Tonnen pro Jahr vor. Die Vereinbarung basierte explizit auf einer “gesicherten Finanzierung” für den grünen Umbau. Die Analyse von Moody’s legt nun nahe, dass der finanzielle Druck größer sein könnte als angenommen. Die schwache Profitabilität der Stahlsparte belaste weiterhin die Kreditwürdigkeit des gesamten Konzerns.

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Rechtsstreit mit Salzgitter gefährdet Jindal-Deal

Die finanzielle Unsicherheit wird durch einen eskalierten Rechtsstreit verschärft. Wie Manager Magazin und andere Branchendienste am Wochenende berichteten, hat Salzgitter AG Klage gegen Thyssenkrupp eingereicht. Es geht um die Kündigung von Lieferverträgen und die Zukunft des Duisburger Hüttenwerks Krupp Mannesmann (HKM). Thyssenkrupp Steel hatte seine Verträge mit dem Joint Venture zum 31. Dezember 2032 gekündigt – ein Schritt, den Salzgitter nicht akzeptiert.

Dieser Konflikt ist mehr als nur ein betrieblicher Streit. Er bedroht den gesamten strategischen Fahrplan von Thyssenkrupp. Im Kern steht der geplante Verkauf eines 50-Prozent-Anteils der Stahlsparte an den indischen Konzern Jindal Steel & Power. Branchenkenner warnen: Ungeklärte Verbindlichkeiten und operative Unsicherheiten bei HKM könnten die bereits in einer entscheidenden Phase befindlichen Verhandlungen mit Jindal zum Scheitern bringen. Ein Platzen dieses Deals würde die gesamte Finanzierungsarchitektur für den “Grünen Stahl” ins Wanken bringen, die maßgeblich auf externem Kapital und strategischer Partnerschaft beruht.

Betriebsrat prüft die Grundlage des Sanierungspakts

Angesichts dieser doppelten Belastung macht der Betriebsrat von seinen gesetzlichen Mitbestimmungsrechten Gebrauch. Der Wirtschaftsausschuss hat Anspruch auf “rechtzeitige und umfassende” Information über finanzielle Angelegenheiten und Entwicklungen, die Arbeitsplätze betreffen. Konkret geht es um die Überprüfung des Business Case, der dem Restrukturierungsdeal vom 1. Dezember zugrunde lag.

Die Mitarbeitervertreter fordern Klarheit in zwei zentralen Punkten:
1. Absicherung der Finanzierung: Ist die im Sanierungspakt zugesicherte Finanzierung rechtlich vor den Liquiditätsproblemen des Konzerns geschützt, die Moody’s anmahnt?
2. Auswirkung auf Jindal-Deal: Wie beeinflusst der HKM-Rechtsstreit Bewertung und Zeitplan des Jindal-Einstiegs? Würde eine Verzögerung eine Finanzierungslücke beim Bau der Direktreduktionsanlage (DRI) auslösen – dem Herzstück der tkH2Steel-Strategie?

“Die Belegschaft hat mit der Annahme von 11.000 Stellenstreichungen massive Zugeständnisse für eine Grüne-Stahl-Zukunft gemacht”, heißt es aus Kreisen des Betriebsrats. “Steht die Finanzierung nun wegen Rechtsstreits oder Herabstufungen auf der Kippe, wird die Grundlage dieser Vereinbarung infrage gestellt.”

Der milliardenschwere Wettlauf um den grünen Stahl

Das “tkH2Steel”-Projekt ist eine der größten industriellen Dekarbonisierungsinitiativen Europas. Es zielt darauf ab, kohlebefeuerte Hochöfen durch wasserstoffbetriebene Direktreduktionsanlagen zu ersetzen. Das Vorhaben hat bereits etwa 2 Milliarden Euro an staatlichen Fördermitteln von Bund und Land Nordrhein-Westfalen sicher, die im Juli 2023 bestätigt wurden.

Die Gesamtinvestition übersteigt diese Summe jedoch bei weitem. Im August 2024 klaffte noch eine Finanzierungslücke von rund 1,3 Milliarden Euro. Deren Schließung war eine zentrale Bedingung für die Verhandlungen mit Jindal und die interne Restrukturierung. Die Forderung des Betriebsrats nach Transparenz speist sich aus der Befürchtung: Bleibt das externe Kapital von Jindal aus oder wackelt die Unterstützung des Mutterkonzerns, könnte das Projekt ins Stocken geraten. Die Duisburger Standorte hätten dann reduzierte Kapazitäten, aber keine moderne Technologie, um im grünen Stahlmarkt zu bestehen.

Für die verbleibenden 26.000 Beschäftigten bei Thyssenkrupp Steel bleibt die Verwirklichung der “Grünen Stahl”-Roadmap die oberste Priorität. Sie gilt als einziger gangbarer Weg für den langfristigen Erhalt der historischen Duisburger Stahlstandorte. Die Konzernführung steht nun unter Druck, dem Betriebsrat und dem Aufsichtsrat umgehend Klarheit über die Stabilität der Finanzierung zu verschaffen. Sollte der Wirtschaftsausschuss mit den Informationen nicht zufrieden sein, könnte der Betriebsrat rechtliche Schritte einleiten – und den ohnehin schon komplexen Sanierungsprozess weiter verkomplizieren.

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