Teilzeit-Urteil: Bundesarbeitsgericht kippt gängige Überstundenzuschläge
04.12.2025 - 19:20:12Erfurt/Berlin – Wer weniger arbeitet, darf nicht schlechter bezahlt werden: Das Bundesarbeitsgericht (BAG) hat in einem wegweisenden Urteil das Ende für Tarifklauseln eingeläutet, die Teilzeitbeschäftigten Überstundenzuschläge erst ab Vollzeit-Schwellenwerten gewähren. Die Entscheidung vom 26. November 2025 zwingt Personalabteilungen bundesweit zum sofortigen Handeln – und öffnet die Tür für Nachforderungen in Millionenhöhe.
Das fünfte Senatsurteil (Az. 5 AZR 118/23) stellt klar: Teilzeitkräfte haben Anspruch auf Mehrarbeitszuschläge, sobald sie ihre individuell vereinbarte Arbeitszeit überschreiten. Nicht erst, wenn sie die Vollzeit-Grenze knacken. Was nach einer Selbstverständlichkeit klingt, war bislang in vielen Tarifverträgen anders geregelt – und betrifft nun Hunderttausende Beschäftigte.
Der konkrete Fall: Ein bayerischer Handelsangestellter arbeitete 30,8 Stunden pro Woche. Sein Tarifvertrag sah 25 Prozent Zuschlag vor – aber erst ab 40 Wochenstunden. Arbeitete er also 35 Stunden, bekam er nur seinen normalen Stundenlohn. Vollzeitkollegen hingegen erhielten ab der ersten Überstunde den Zuschlag.
Viele Tarifklauseln übersehen Teilzeit-Besonderheiten – das kann Arbeitgeber teuer zu stehen kommen. Wenn Zuschläge falsch bemessen oder erst ab einer Vollzeit-Grenze gezahlt wurden, drohen Nachforderungen und rechtliche Auseinandersetzungen; Personalabteilungen sollten daher Verträge umgehend prüfen. Holen Sie sich das kostenlose E‑Book “Der Arbeitsvertrag – Klauseln, Pflichten und Musterbeispiele” mit 19 rechtssicheren Musterformulierungen und praktischen Checklisten, damit Sie fehlerhafte Klauseln schnell korrigieren. Jetzt kostenloses E‑Book zum Arbeitsvertrag sichern
Diese Praxis sei diskriminierend, urteilten die Erfurter Richter. Das Prinzip “pro rata temporis” – also die verhältnismäßige Behandlung – müsse auch hier gelten. Die Schwelle für Zuschläge muss sich proportional zur reduzierten Arbeitszeit verringern.
Das Gericht wies die Argumentation der Arbeitgeberseite zurück, Zuschläge kompensierten ausschließlich die “besondere physische Belastung” ab 40 Wochenstunden. Diese Begründung greife zu kurz, heißt es in der Pressemitteilung Nr. 42/25. Die Belastung durch Mehrarbeit sei relativ zur vereinbarten Vertragszeit zu sehen.
Was bedeutet das konkret? Wer 20 Stunden vereinbart hat und 25 arbeitet, leistet prozentual gesehen mehr Mehrarbeit als jemand, der von 38 auf 40 Stunden aufstockt. Die bisherige Praxis benachteiligte Teilzeitkräfte systematisch – und verstößt damit gegen das Teilzeit- und Befristungsgesetz (§ 4 Abs. 1 TzBfG).
Sofortiger Handlungsbedarf für Unternehmen
Die Folgen sind weitreichend, besonders in Branchen wie Einzelhandel, Logistik und öffentlichem Dienst:
1. Vertragsprüfung: Unternehmen müssen umgehend aufhören, absolute Schwellenwerte bei Teilzeitkräften anzuwenden. Zuschläge sind ab der ersten Überstunde über der individuellen Vertragszeit fällig.
2. Rückforderungen drohen: Firmen sollten sich auf Nachforderungen von Teilzeitbeschäftigten einstellen, denen in der Vergangenheit Zuschläge vorenthalten wurden. Da es sich um einen Verstoß gegen zwingendes Gesetz handelt, greifen übliche Ausschlussfristen möglicherweise nicht. Die reguläre dreijährige Verjährungsfrist dürfte jedoch gelten.
3. Tarifverträge müssen nachverhandelt werden: Gewerkschaften und Arbeitgeberverbände stehen unter Zugwang, diskriminierende Klauseln zu überarbeiten. Das BAG stellte klar: Gerichte können die Benachteiligung “heilen”, indem sie die proportionale Schwelle sofort anwenden – ohne auf neue Tarifverhandlungen zu warten.
Urlaubsrecht: Zwei weitere Paukenschläge
Während das Überstunden-Urteil die Schlagzeilen beherrscht, hat 2025 noch zwei weitere fundamentale Klarstellungen zum Urlaubsrecht gebracht.
Kein Verzicht auf gesetzlichen Mindesturlaub: Am 3. Juni 2025 bekräftigte das BAG (Az. 9 AZR 104/24), dass Arbeitnehmer nicht wirksam auf ihren gesetzlichen Mindesturlaub verzichten können – auch nicht in Aufhebungsverträgen. Im konkreten Fall hatte eine Vereinbarung festgelegt, dass “alle Urlaubsansprüche in Natur erfüllt sind”. Der Mitarbeiter war jedoch krankheitsbedingt verhindert gewesen, den Urlaub zu nehmen.
Das Gericht urteilte: Solche Pauschalklauseln sind bezüglich des gesetzlichen Mindesturlaubs unwirksam, wenn der Urlaub faktisch nicht genommen werden konnte. Personaler müssen bei Beendigungsvereinbarungen sicherstellen, dass gesetzliche Urlaubsansprüche finanziell abgegolten werden – unabhängig von weitreichenden Verzichtsklauseln.
Verfall bei Langzeiterkrankung: Ein weiteres Urteil vom 15. Juli 2025 (Az. 9 AZR 198/24) klärte: Arbeitsverträge können wirksam ausschließen, dass Urlaubstage nach 15 Monaten bei Langzeiterkrankung automatisch verfallen. Während das Gesetz diesen Verfall vorsieht, können Parteien vertraglich günstigere Regelungen treffen – mit dem Risiko massiver Urlaubsansammlungen.
Was kommt 2026?
Rechtsexperten erwarten für Anfang 2026 eine Welle von Compliance-Prüfungen. Gewerkschaften dürften das Präzedenzurteil nutzen, um Nachzahlungen für Tausende Mitglieder einzufordern. Erste Schätzungen gehen von dreistelligen Millionenbeträgen aus, die bundesweit nachgefordert werden könnten.
Hinzu kommt: Die EU-Entgelttransparenzrichtlinie muss bis Juni 2026 umgesetzt werden. Die strenge Prüfung von Teilzeit-Vollzeit-Unterschieden passt in einen größeren Trend richterlicher Nulltoleranz gegenüber ungleichen Bezahlstrukturen.
“Arbeitgeber können sich nicht länger auf ‘Branchenstandards’ verlassen, wenn diese Standards Teilzeitkräfte mathematisch benachteiligen”, kommentieren Arbeitsrechtler die Erfurter Entscheidung. Die Botschaft des BAG ist unmissverständlich: Teilzeitarbeit bedeutet nicht Teilrechte.
Unternehmen mit hohem Teilzeitanteil tun gut daran, ihre Vergütungssysteme jetzt zu überprüfen – bevor die ersten Klagen eingehen.
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