Medizin-KI: EU verschiebt Regeln, doch Haftungsrisiken bleiben akut
17.12.2025 - 01:49:12Die EU-Kommission will strenge KI-Vorschriften für Medizinprodukte aufschieben. Doch für Hersteller und Ärzte lauern schon jetzt hohe Haftungsrisiken – die neuen Produkthaftungsregeln gelten bereits.
BRÜSSEL. Während die EU-Kommission mit ihrem „Digitalen Omnibus“-Paket Fristen für KI in der Medizintechnik lockert, warnen Juristen und Ärzteverbände vor akuten Haftungsfallen. Der scheinbare Aufschub bis Dezember 2027 schafft eine gefährliche Grauzone: Die verschärfte Produkthaftungsrichtlinie (PLD) ist bereits in Kraft und setzt Hersteller und Kliniken unter Druck.
Eigentlich sollten Hersteller hochriskantester KI-Systeme – etwa in der Radiologie oder Diagnostik – bis August 2026 die strengen Konformitätsbewertungen der KI-Verordnung erfüllen. Die Kommission will diese Frist nun bis Dezember 2027 verschieben. Ziel ist es, die „doppelte regulatorische Last“ aus Medizinprodukte-Verordnung (MDR) und KI-Verordnung zu verringern.
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Doch der Aufschub hat einen Preis. „Es entsteht eine Governance-Lücke“, warnt das Institute of International and European Affairs (IIEA). Algorithmische Verzerrungen oder Intransparenz blieben länger unklar geregelt. Während die Industrie aufatmet, fehlt es an Rechtssicherheit. Die entscheidende Frage: Wer haftet, wenn in dieser Übergangszeit etwas schiefgeht?
Die Haftung schläft nicht: Scharfe Waffen der PLD
Die Antwort liefert die überarbeitete Produkthaftungsrichtlinie. Sie trat bereits im Dezember 2024 in Kraft und definiert Software und KI-Systeme explizit als „Produkte“. Das hat drastische Folgen:
- Gefährdungshaftung: Hersteller haften bereits für Schäden durch fehlerhafte KI – auch ohne Verschulden. Dazu zählen Datenverlust und psychische Schäden.
- Beweiserleichterung: Kläger müssen die technische Ursache eines Fehlers nicht länger lückenlos beweisen. Gerichte können ein Defekt vermutten, wenn der Nachweis unverhältnismäßig schwer ist – typisch für „Blackbox“-KI.
- Kompliance-Lücke: Ohne die harmonisierten Standards der KI-Verordnung fehlt Herstellern die „Vermutung der Konformität“. Im Schadensfall 2026 könnten sie sich nicht auf ein zertifiziertes Sicherheitskonzept berufen.
„Die Haftungsfrist wurde nicht verschoben, nur die Sicherheitsvorschriften“, bringt es ein Jurist auf den Punkt. Für MedTech-Unternehmen ist das ein riskantes Spiel.
Ärzte in der Pflicht: Neue Aufgaben für Radiologen
Die Haftung trifft nicht nur Hersteller. Die Europäische Gesellschaft für Radiologie (ESR) hat in einem Konsensuspapier klare Pflichten für Kliniken als „Anwender“ von KI definiert. Krankenhäuser sind aktive Glieder in der Haftungskette.
Demnach müssen Radiologen:
* Systemprotokolle mindestens sechs Monate aufbewahren, um die Nachverfolgbarkeit bei Vorfällen zu gewährleisten.
* Menschliche Aufsicht sicherstellen. „Automation Bias“ – blindes Vertrauen in die KI – entbindet den Arzt nicht von seiner Verantwortung für medizinische Fehler.
* Zu Marktüberwachung beitragen, indem unerwartetes KI-Verhalten an den Hersteller gemeldet wird.
Kliniken dürfen nicht passive Konsumenten sein. Sie tragen Mitverantwortung.
Streit um Patientendaten: „Berechtigtes Interesse“ statt Einwilligung
Kritik am „Digitalen Omnibus“ kommt auch von Datenschützern. Das Paket sieht Änderungen an der DSGVO vor, die das Trainieren von KI mit Patientendaten erleichtern sollen. Künftig könnte das „berechtigte Interesse“ der Unternehmen ausreichen – die explizite Einwilligung der Patienten wäre nicht mehr zwingend nötig.
Organisationen wie European Digital Rights (EDRi) warnen vor einem Aushöhlen des Patientengeheimnisses. Sensible Gesundheitsdaten könnten so ohne direktes Wissen der Betroffenen kommerziellen KI-Modellen zugutekommen. Die Kommission betont zwar weiterhin Transparenz, doch der Schritt markiert eine spürbare Lockerung des EU-Datenschutzes.
Ausblick 2026: Ein Jahr der rechtlichen Manöver
Für die Medizin-KI-Branche zeichnet sich ein fragmentiertes Jahr 2026 ab:
* Das „Digitale Omnibus“-Paket durchläuft das EU-Parlament und den Rat – mit intensivem Lobbying.
* Bis Dezember 2026 setzen die Mitgliedstaaten die PLD in nationales Recht um. Die Haftungsregeln werden konkret.
* Juristen raten Herstellern, sich weiterhin auf die KI-Verordnung vorzubereiten, als ob es keinen Aufschub gäbe. Nur so lassen sich die Haftungsrisiken der PLD wirksam begrenzen.
Die Botschaft ist klar: Die regulatorische Deadline mag sich verschoben haben, die rechtlichen Risiken sind bereits da.
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