LAG Hamm: 15.000 Euro Schmerzensgeld für Dauervideoüberwachung
28.12.2025 - 11:51:12Ein Urteil des Landesarbeitsgerichts Hamm setzt einen neuen, teuren Maßstab für den Datenschutz am Arbeitsplatz. Das Gericht sprach einem Mitarbeiter 15.000 Euro Schmerzensgeld für 22 Monate lückenlose Videoüberwachung zu. Die Entscheidung markiert einen Wendepunkt für die Compliance-Praxis deutscher Unternehmen.
Im Zentrum des Verfahrens (Az. 18 SLa 959/24) stand ein Stahlverarbeitungsbetrieb, der seine Belegschaft mit einem umfassenden Kamerasystem überwachte. Insgesamt 34 HD-Kameras filmten rund um die Uhr Produktionsflächen, Lager und sogar Gänge zu Pausenräumen. Die Aufzeichnungen wurden mindestens 48 Stunden gespeichert.
Ein Mitarbeiter an einer Schälmaschine wurde dabei permanent von hinten gefilmt. Jede Bewegung nach vorne, etwa zum Verlassen des Arbeitsplatzes, erfasste eine Frontalkamera. Die Richter sahen darin einen massiven Eingriff in das Allgemeine Persönlichkeitsrecht. Der entstandene „extreme Anpassungsdruck“ rechtfertige die außergewöhnlich hohe Entschädigung – ein deutlicher Sprung gegenüber den sonst üblichen 1.000 bis 2.000 Euro in Datenschutzverfahren.
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„Freiwillige“ Einwilligung in Arbeitsvertrag unwirksam
Besonders brisant für die Personalpraxis: Das Gericht ließ die Verteidigung des Arbeitgebers nicht gelten. Dieser berief sich auf eine Standardklausel im Arbeitsvertrag, mit der der Mitarbeiter der Datenverarbeitung zugestimmt habe.
Die Richter wiesen dies entschieden zurück. Eine vorformulierte Einwilligung in einem Arbeitsvertrag sei grundsätzlich unwirksam. Das Machtgefälle zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer mache eine freiwillige Entscheidung unmöglich. Zudem fehlte eine gesonderte, transparente Widerrufsbelehrung. Auch das Argument des berechtigten Interesses – Diebstahlprävention und Arbeitssicherheit – ließ das Gericht nicht gelten. Es handele sich um abstrakte Befürchtungen ohne konkreten Anlass.
Neuer Schadensmaßstab für Unternehmen
Die Höhe der Entschädigung setzt eine neue Benchmark. Zum Vergleich: Das Bundesarbeitsgericht (BAG) sprach in einem aktuellen Fall über unzulässige Internet-Recherchen zu Bewerbern lediglich 1.000 Euro zu.
Der enorme Unterschied unterstreicht, wie schwer Gerichte kontinuierliche, automatisierte Überwachung wiegen. Das fünfstellige Schmerzensgeld soll nicht nur den erlittenen „massiven psychischen Druck“ ausgleichen. Es hat auch eine präventive Funktion und soll andere Unternehmen von ähnlichen „Big Brother“-Systemen abschrecken. Das Gericht kritisierte das vorsätzliche Handeln des Arbeitgebers, der sich vorab keine datenschutzrechtliche Beratung eingeholt hatte.
Compliance-Check für 2026
Was bedeutet das Urteil für die betriebliche Praxis im neuen Jahr? Unternehmen sollten drei Prioritäten setzen:
- Bestandsaufnahme aller Überwachungssysteme: Kameras, die einzelne Arbeitsplätze oder Pausenbereiche lückenlos erfassen, sind nur bei konkretem Verdacht auf Straftaten zulässig.
- Überprüfung von Vertragsklauseln: Pauschale Einwilligungsklauseln bieten keinen Schutz mehr. Notwendig sind spezifische, freiwillige und widerrufbare Einwilligungen – oder eine tragfähige Betriebsvereinbarung mit dem Betriebsrat.
- Datenminimierung ernst nehmen: Ist ein Sicherheitsziel mit weniger Kameras oder bewegungsaktivierter Aufzeichnung erreichbar, hat diese mildere Methode Vorrang.
Da das LAG Hamm die Revision nicht zugelassen hat, ist die Rechtslage klar. Arbeitgeber, die diesen Präzedenzfall ignorieren, riskieren nicht nur hohe Schadensersatzforderungen. Sie gefährden auch ihren Ruf als vertrauenswürdiger Partner für Mitarbeiter.
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