Millionen, Euro

EU verhängt 120 Millionen Euro Strafe gegen X

06.12.2025 - 20:41:11

Die europäischen Aufsichtsbehörden machen Ernst: Mit einer Rekordstrafe gegen die Social-Media-Plattform X läutet die EU-Kommission eine neue Ära der Digitalregulierung ein. Was bedeutet das für Marketing-Teams in deutschen Unternehmen?

Am Freitag, dem 5. Dezember, verhängte die Europäische Kommission eine Strafe in Höhe von 120 Millionen Euro gegen X (ehemals Twitter). Der Vorwurf: Verstöße gegen das Gesetz über digitale Dienste (Digital Services Act, DSA) durch täuschende Design-Muster und mangelnde Transparenz bei Werbeanzeigen. Gleichzeitig akzeptierte die Behörde verbindliche Zusagen von TikTok zur Überarbeitung seiner Werbe-Archive. Und als wäre das nicht genug, eröffnete die Kommission am Donnerstag auch noch eine Wettbewerbsuntersuchung gegen Metas WhatsApp.

Für Marketing-Abteilungen in Deutschland und der gesamten EU bedeuten diese Entwicklungen eines: Die Zeit passiver Compliance-Checklisten ist vorbei. Jetzt zählt nur noch aktive, rigorose Mitarbeiterschulung.

Der blaue Haken als Täuschungsmanöver

Das Verifikations-System mit dem blauen Häkchen steht im Zentrum der Entscheidung gegen X. Die EU-Kommission stuft es als „Dark Pattern” ein – als manipulatives Design-Element, das Nutzer in die Irre führt.

Das Problem aus Sicht der Regulierer: Der blaue Haken suggeriert Authentizität und Vertrauenswürdigkeit, obwohl er faktisch käuflich erwerbbar ist, ohne dass eine gründliche Identitätsprüfung stattfindet. Für das moderne Social-Media-Marketing, das auf solche „Vertrauenssignale” setzt, ist das ein direkter Frontalangriff.

„Das ist ein klares Signal, dass die Ära des ‚Designs für Conversion um jeden Preis’ vorbei ist”, erklärte ein Sprecher der Kommission in Brüssel. Marketing-Interfaces dürften die Wahrnehmung der Nutzer bezüglich der Authentizität von Inhalten oder Werbetreibenden nicht mehr manipulieren.

Die Botschaft sitzt: Jedes Design-Element, das Nutzer zu schnelleren Kaufentscheidungen bewegen soll, steht jetzt auf dem Prüfstand.

TikTok öffnet die Werbe-Archive

Am selben Tag akzeptierte die Kommission verbindliche Zusagen von TikTok. Die Plattform verpflichtet sich, ihre Werbe-Archive vollständig durchsuchbar und transparent zu machen. Forscher und Regulierungsbehörden können künftig alle Marketing-Kampagnen einsehen, die sich an europäische Nutzer richten.

Was bedeutet das konkret? Jede Werbekampagne, jeder Creative, der auf TikTok läuft, wird dauerhaft öffentlich überprüfbar. Für Marketing-Abteilungen heißt das: maximale Transparenz bei minimaler Fehlertoleranz. Wer heute eine Kampagne schaltet, muss davon ausgehen, dass sie morgen von Wettbewerbern, Verbraucherschützern oder Behörden unter die Lupe genommen wird.

BGH verschärft Regeln für Influencer-Marketing

Während Brüssel die Plattformen ins Visier nimmt, zieht Deutschland die Schrauben beim Influencer-Marketing an. Am 5. Dezember hoben Rechtsexperten die Tragweite eines aktuellen Urteils des Bundesgerichtshofs (BGH, Az. I ZR 170/24) hervor.

Das Urteil interpretiert das Heilmittelwerbegesetz (HWG) strikt und verbietet faktisch die Nutzung von „Vorher-Nachher”-Fotos für Schönheitsbehandlungen mit Medizinprodukten wie Hyaluronfillern – außerhalb eines streng professionellen Kontexts.

„Agenturen und Marketing-Manager müssen ihre Influencer-Briefings sofort überarbeiten”, warnte ein Berliner Wettbewerbsrechtler am Freitag. Die weit verbreitete Praxis, dass Influencer Transformationsfotos von kosmetischen Behandlungen posten, stelle jetzt ein direktes Compliance-Risiko dar und könne sofortige Abmahnungen auslösen.

Besonders der boomende Beauty-Tech-Markt im DACH-Raum steht vor einem Umdenken. Social-Media-Teams müssen künftig die Feinheiten des medizinischen Werberechts beherrschen – ein Bereich, der bisher oft stiefmütterlich behandelt wurde.

Green Claims: Unsicherheit bleibt

Verwirrung herrschte diese Woche auch bei der geplanten EU-Richtlinie zu Umweltaussagen („Green Claims Directive”). Nachdem Berichte über eine mögliche Zurückziehung der Richtlinie kursierten, stellte die Kommission am 5. Dezember klar: Der Vorschlag bleibt aktiv, auch wenn der Zeitplan überprüft wird.

Für Marketing-Profis, die Nachhaltigkeitskampagnen für 2026 planen, schafft diese Unsicherheit eine komplexe Gemengelage. Der Rat der Experten: Im Zweifelsfall die strengste Auslegung der aktuellen Gesetze anwenden und jede umweltfreundliche Aussage wissenschaftlich belegen – um künftige Rechtsstreitigkeiten zu vermeiden.

WhatsApp: Kommt die Öffnung für KI-Agenten?

Die am Donnerstag gestartete Wettbewerbsuntersuchung gegen Meta könnte mittelfristig neue Möglichkeiten für Marketing-Technologie eröffnen. Die EU prüft, ob Meta Drittanbieter von KI-Services unfair daran hindert, auf WhatsApps Messaging-Infrastruktur für Kundenservice-Bots zuzugreifen.

Sollte die Untersuchung zu einer Öffnung führen, könnten MarTech-Verantwortliche künftig vielfältige KI-Agenten in ihre Kundenkommunikation integrieren – und den bisherigen „geschlossenen Garten” durchbrechen. Das dürfte spannend werden.

Die menschliche Firewall: Training neu denken

Was verbindet die Strafe gegen X, die TikTok-Zusagen und das BGH-Urteil? Die entscheidende Rolle menschlicher Entscheidungen. Compliance-Verstöße entstehen meist nicht aus böser Absicht, sondern aus mangelndem Bewusstsein bei Marketing-Mitarbeitern und externen Agenturen.

„Training kann 2025 nicht mehr nur ein jährliches Video-Modul sein”, erklärt ein Compliance-Stratege aus München. „Wenn ein Junior Social Media Manager ein Gewinnspiel konzipiert oder ein Influencer eine Story postet, treffen sie rechtliche Entscheidungen in Echtzeit. Die X-Strafe zeigt: Selbst eine Design-Entscheidung wie ein Verifikations-Badge ist heute ein Compliance-Thema.”

Zentrale Trainings-Prioritäten für Dezember 2025:

  • Dark Patterns: UX- und Design-Teams müssen verstehen, was unter dem DSA als manipulatives Design gilt.
  • Werbe-Transparenz: Alle digitalen Anzeigen müssen korrekt gekennzeichnet und archiviert werden, wie die neuen TikTok-Standards zeigen.
  • Branchenspezifische Regeln: Gezielte Schulungen für Gesundheits- und Beauty-Marketer zu den neuen BGH-Standards für visuelle Werbung.

Ausblick: Was das erste Quartal 2026 bringt

Die „Schonfrist” für digitale Compliance ist definitiv vorbei. Die 120-Millionen-Euro-Strafe gegen X dürfte nur der Auftakt sein. Experten prognostizieren, dass deutsche Datenschutzbehörden dem Beispiel der EU bald folgen werden – und kleinere Unternehmen wegen ähnlicher „Dark Pattern”-Verstöße bei Cookie-Bannern und Newsletter-Anmeldungen ins Visier nehmen.

Die Botschaft an Marketing-Direktoren ist eindeutig: Compliance ist nicht länger ausschließlich Sache der Rechtsabteilung. Sie ist eine Kernkompetenz modernen Marketings. Wer jetzt in robuste, szenariobasierte Schulungen für seine Teams investiert, navigiert erfolgreich durch dieses Minenfeld. Wer das nicht tut, riskiert Reputationsschäden und achtstellige Strafen.

Kein Wunder also, dass Compliance-Trainer derzeit Hochkonjunktur haben.

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