AI-Gesetz, Brüssel

EU AI-Gesetz: Brüssel bremst bei KI-Regulierung

06.12.2025 - 20:39:12

Kehrtwendung in Brüssel: Die strengen Vorgaben für Hochrisiko-KI-Systeme kommen später als geplant. Die EU-Kommission will die Durchsetzung verschärfter Regeln um 16 Monate verschieben – von August 2026 auf Dezember 2027. Doch während die Industrie aufatmet, nimmt der Druck auf die Tech-Giganten zu: Am Donnerstag eröffnete die Kommission ein Kartellverfahren gegen Meta. Europas digitale Souveränität wird zum Drahtseilakt zwischen Innovation und Kontrolle.

Die wichtigste Nachricht aus den Chefetagen diese Woche betrifft die Umsetzung des EU AI Act. Laut einer Analyse der Kanzlei White & Case vom Freitag, 5. Dezember, plant die Kommission mit ihrer „Digital Omnibus”-Initiative eine drastische Straffung der digitalen Regelwerke.

Der Kernpunkt: Die Compliance-Fristen für Hochrisiko-KI-Systeme – etwa bei biometrischer Erkennung, Personalentscheidungen oder kritischer Infrastruktur – werden verschoben. Statt ab August 2026 gelten die strengen Vorgaben nun voraussichtlich erst ab Dezember 2027.

„Ziel ist es, sich überschneidende Vorschriften zu vereinfachen und die Belastung für Unternehmen zu reduzieren”, heißt es in den Vorschlagsdokumenten der Kommission. Doch das ist nicht alles: Das Paket führt einen neuen Artikel 4a in den AI Act ein. Dieser würde es Entwicklern erstmals ausdrücklich erlauben, sensible personenbezogene Daten zu verarbeiten – um Verzerrungen in KI-Modellen zu erkennen und zu minimieren. Ein Zugeständnis an die Industrie, die argumentiert hatte, dass GDPR-Beschränkungen Sicherheitstests behinderten.

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Industriedruck: „Regulierung, wo nichts zu regulieren ist”

Die Kehrtwende kommt nicht von ungefähr. Europäische Konzernlenker warnen seit Monaten, dass die Region gegenüber den USA und China zurückfällt.

SAP-Chef Christian Klein formulierte es am Donnerstag, 4. Dezember, bei der Reuters-NEXT-Konferenz in New York drastisch: Europa müsse einen „leichteren Ansatz” wählen und verhalte sich kontraproduktiv, indem es „reguliert, wo nichts zu regulieren ist”. Der Block stehe sich selbst im Weg.

Eine am Mittwoch, 3. Dezember, veröffentlichte Umfrage des Digitalverbands Bitkom untermauert diese Sorgen mit harten Zahlen:
* 63 Prozent der Unternehmen befürchten, dass KI-Entwicklung aus Europa verdrängt wird.
* 71 Prozent fordern eine Anpassung des Datenschutzrechts an das KI-Zeitalter.
* 79 Prozent unterstützen eine umfassende GDPR-Reform zur Entbürokratisierung.

„Drei Viertel der Betriebe warnen, dass geltende Datenschutzregeln die Digitalisierung hemmen”, so Bitkom. Der Deregulierungsdruck auf die Kommission wächst spürbar.

Kartellverfahren gegen Meta: WhatsApp im Visier

Während Brüssel bei B2B-Industrieanwendungen zurückrudert, verschärft sich der Ton gegenüber den Tech-Konzernen. Am Donnerstag, 4. Dezember, eröffnete die EU-Kommission ein formelles Kartellverfahren gegen Metas KI-Pläne für WhatsApp.

Die Ermittler prüfen, ob die neue KI-Strategie für den Messengerdienst den Wettbewerb im Europäischen Wirtschaftsraum verzerrt. Im Fokus: Wie werden Nutzerdaten zum Training von KI-Modellen verwendet? Schaffen die integrierten KI-Features unfaire Barrieren für kleinere Konkurrenten?

Das Verfahren zeigt deutlich: Das „Digital Omnibus”-Paket mag Entlastung bringen – die Wettbewerbshüter bleiben unnachgiebig. Wie Silicon Republic am Donnerstag berichtete, folgt die Untersuchung einem Muster verschärfter Kontrolle. Erst vor Wochen hatte ein spanisches Gericht Meta zu einer GDPR-Strafzahlung von 479 Millionen Euro verurteilt.

Compliance als Wettbewerbsvorteil: Das Schneider-Modell

Trotz möglicher Verzögerungen setzen vorausschauende Unternehmen ihre Vorbereitungen fort. Sie betrachten Regelkonformität nicht als Pflicht, sondern als strategischen Vorteil.

Eine von RBC Capital Markets diese Woche vorgelegte Fallstudie hebt Schneider Electric als Vorzeigebeispiel hervor. Der französische Industriekonzern hat ein „Compliance-Squad” – bestehend aus Juristen, Risikoingenieuren und Datenschutzbeauftragten – direkt in seine Produktentwicklungsteams integriert.

Laut der am 2. Dezember veröffentlichten Analyse nutzt Schneider einen „10-Fragen-Risikobewertungs-Fragebogen” für jeden neuen KI-Anwendungsfall. Indem das Unternehmen die Standards des EU AI Act als globalen Mindeststandard behandelt, verfolgt es eine „einmal bauen, überall konform”-Strategie. Das Ziel: Das Portfolio gegen ähnliche neue Gesetze in Kanada und anderen Ländern absichern.

Brüssels Dilemma: Innovation oder Kontrolle?

Das „Digital Omnibus”-Paket ist ein Eingeständnis: Brüssels ambitioniertes digitales Regulierungswerk – von AI Act über Data Act bis GDPR – hat möglicherweise ein „Compliance-Dickicht” geschaffen, in dem europäische Innovation zu ersticken droht.

Rechtsexperten weisen darauf hin, dass das Paket auch einen „Digital Fitness Check” enthält – eine breit angelegte Konsultation bis März 2026, um weitere Widersprüche aufzudecken. Die aktuelle Verschiebung könnte also nur die erste einer Reihe von Kurskorrekturen sein.

Doch der Aufschub bis 2027 schafft Unsicherheit. Unternehmen, die bereits Millionen investiert haben, um die 2026er-Frist einzuhalten, könnten sich bestraft fühlen – während Nachzügler eine Gnadenfrist erhalten. Die Spannung zwischen der „SAP-Sicht” (deregulieren für Wettbewerbsfähigkeit) und der „Meta-Ermittlungs-Sicht” (regulieren für Fairness) definiert das aktuelle Geschäftsklima in Europa.

Ausblick: Was kommt als Nächstes?

Der „Digital Omnibus”-Vorschlag muss nun durch Europaparlament und Rat. Angesichts der breiten Industrieunterstützung – auch Airbus und Lufthansa haben sich in offenen Briefen für Verzögerungen ausgesprochen – erscheint die politische Zustimmung zur Fristverschiebung wahrscheinlich. Datenschutzaktivisten dürften jedoch Widerstand gegen die Lockerungen bei der Datenverarbeitung leisten.

Worauf Unternehmen jetzt achten sollten:
* Q1 2026: Der Abschluss des „Digital Fitness Check” im März wird voraussichtlich weitere Änderungen anstoßen.
* Gesetzgebungsprozess: Ein beschleunigtes Verfahren wird erwartet, Interessenverbände drängen auf Abschluss vor der Sommerpause.
* Meta-Untersuchung: Das Ergebnis der WhatsApp-Ermittlung könnte einen Präzedenzfall schaffen, wie KI-Features in etablierte Dienste integriert werden dürfen.

Unternehmen sollten vorerst mit einer Dezember-2027-Frist für Hochrisiko-Systeme planen. Doch die Governance-Vorbereitungen sollten weiterlaufen – die unvorhersehbare Durchsetzungspraxis der EU lässt keinen Raum für Sorglosigkeit.

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