Arbeitsrecht, Gericht

Arbeitsrecht 2025: Gericht verbietet Online-Krankschreibungen

09.12.2025 - 23:00:12

Das Jahresende 2025 bringt Klarheit in zwei zentrale Streitfragen des deutschen Arbeitsrechts: Wie digital darf eine Krankschreibung sein? Und welche Nebentätigkeiten müssen freigestellte Mitarbeiter dulden? Zwei aktuelle Urteile setzen klare Grenzen – mit weitreichenden Folgen für Personalabteilungen und Arbeitnehmer.

Während die Jahreswechsel-Fristen näher rücken, analysieren Arbeitsrechtler bundesweit die jüngsten Entscheidungen zur Kündigungsschutz-Praxis. Im Mittelpunkt stehen zwei Urteile, die in den vergangenen Tagen für Aufsehen sorgten: Das Landesarbeitsgericht Hamm beerdigt die “Fragebogen-Krankschreibung”, während das LAG Mecklenburg-Vorpommern Arbeitgebern bei Loyalitätskonflikten enge Grenzen setzt.

Die Entscheidung des Landesarbeitsgerichts Hamm (Az. 14 SLa 145/25) vom 5. September 2025 wird derzeit als Wendepunkt bewertet. Das Urteil verschärft die Anforderungen an digitale Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen drastisch.

Der Fall: IT-Berater scheitert mit Online-AU

Ein IT-Consultant hatte eine kostenpflichtige Krankschreibung über ein Internetportal angefordert – ausschließlich durch Ausfüllen eines Fragebogens. Kein Telefongespräch, kein Videoanruf, keine persönliche Untersuchung. Das Attest trug den Vermerk “Fernuntersuchung via Fragebogen” und einen Privatarzt-Stempel.

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Der Arbeitgeber wurde misstrauisch: Die elektronische AU-Meldung (eAU) fehlte im Kassensystem. Er kündigte fristlos. Der Arbeitnehmer zog vor Gericht – und verlor in zweiter Instanz deutlich.

Die richterliche Klarstellung: Eine per reinem Textformular erstellte Krankschreibung besitzt keinerlei Beweiswert. Mehr noch: Wer ein solches Dokument einreicht, um Lohnfortzahlung zu erhalten, begeht einen Täuschungsversuch – und riskiert die fristlose Kündigung ohne vorherige Abmahnung.

Rechtsexperten von Haufe und Jura.cc betonen in ihren aktuellen Analysen: Nur wenn mindestens ein Telefon- oder Videokontakt mit dem Arzt stattgefunden hat, behält die AU-Bescheinigung ihre hohe Beweiskraft.

Was bedeutet das für Arbeitgeber?

Personalabteilungen können ab sofort Online-Atteste kritisch prüfen. Findet sich auf dem Dokument der ausdrückliche Hinweis auf eine reine Fragebogen-Erhebung, dürfen sie die Anerkennung verweigern. Die Beweislast kehrt sich um: Der Arbeitnehmer muss dann die tatsächliche Arbeitsunfähigkeit nachweisen – eine nahezu unmögliche Hürde.

Nebenjob während Freistellung: Treuepflicht hat Grenzen

Die zweite Grundsatzentscheidung stammt vom LAG Mecklenburg-Vorpommern (Az. 5 SLa 128/24). Sie betrifft die heikle Frage: Darf ein freigestellter Mitarbeiter gegen seinen eigenen Arbeitgeber arbeiten?

Klinikjurist wechselt die Seiten

Der Rechtsbeistand einer Universitätsklinik war seit mehreren Jahren unwiderruflich freigestellt. In dieser Zeit ließ er sich als Anwalt neu zu und gründete eine Kanzlei. Als die Kanzlei einen Mitarbeiter der Klinik gegen eben diese Klinik vertrat, reagierte der Arbeitgeber mit einer Kündigung wegen Treuepflichtverletzung.

Das Gericht gab dem Anwalt recht. Die Kündigung sei unwirksam. Begründung: Ein seit fünf Jahren freigestellter Mitarbeiter verletzt seine Loyalitätspflicht nicht automatisch durch Tätigkeiten für Wettbewerber oder gegen den Arbeitgeber – solange keine vertraulichen Interna missbraucht werden.

Nach so langer Auszeit sei das Risiko, aktuelles internes Wissen zu verwerten, praktisch nicht vorhanden. Reine Konkurrenz oder ein “Seitenwechsel” reichen nicht für eine Kündigung.

Hohes Risiko für Arbeitgeber

Diese Rechtsprechung verschiebt die Beweislast erheblich. Arbeitgeber, die freigestellten Beschäftigten konkurrierende Nebentätigkeiten untersagen wollen, müssen konkret nachweisen, dass berechtigte Interessen gefährdet sind – etwa durch Missbrauch von Geschäftsgeheimnissen. Pauschale Wettbewerbsverbote greifen nicht mehr.

Probezeit bei Befristung: Ein Jahr danach

Der Dezember 2025 markiert auch den ersten Jahrestag eines weiteren Meilensteins: Am 5. Dezember 2024 entschied das Bundesarbeitsgericht (Az. 2 AZR 275/23), dass Probezeiten in befristeten Verträgen verhältnismäßig sein müssen.

Konkret: Eine sechsmonatige Probezeit in einem sechsmonatigen Zeitvertrag? Unzulässig. Das BAG forderte erstmals eine Proportionalität zwischen Probedauer und Vertragslaufzeit.

Aktuelle Auswirkungen: Rechtsberater empfehlen für 2026-Verträge eine klare Faustregel – bei sechs bis zwölf Monaten Befristung maximal zwei bis drei Monate Probezeit. Ist die Probezeit unverhältnismäßig, gilt zwar die gesetzliche Kündigungsschutz-Wartezeit von sechs Monaten weiter. Doch die verkürzte zweiwöchige Kündigungsfrist während der Probezeit kann unwirksam werden.

Viele Arbeitgeber haben ihre Musterverträge bereits entsprechend angepasst.

Jahreswechsel-Frist: Jetzt noch Ansprüche sichern

Noch drei Wochen bleiben, um Forderungen aus dem Jahr 2022 geltend zu machen. Am 31. Dezember 2025 endet die dreijährige Verjährungsfrist nach § 195 BGB.

Betroffen sind:
– Ausstehende Gehälter oder Boni aus 2022
– Urlaubsabgeltungen für Arbeitsverhältnisse, die 2022 endeten
– Schadensersatzansprüche, deren Kenntnis 2022 erlangt wurde

Ein einfaches Mahnschreiben genügt nicht. Die Uhr stoppt nur durch gerichtliche Geltendmachung – etwa durch Klageeinreichung oder Mahnbescheid. Arbeitgeber sollten ihre Akten jetzt auf mögliche Gegenansprüche gegen ehemalige Mitarbeiter prüfen.

Ausblick 2026: Die Massenentlassungs-Frage

Für das erste Quartal 2026 erwarten Experten weitere Klärungen zur Massenentlassungsanzeige. Das BAG hatte 2024 den Europäischen Gerichtshof um Vorabentscheidung gebeten (Az. 6 AZR 152/22): Wie streng müssen formale Fehler in der Anzeige sanktioniert werden?

Die Grenze zwischen “komplett fehlender” und “nur fehlerhafter” Anzeige bleibt ungeklärt – ein Minenfeld für Restrukturierungsfälle im neuen Jahr.

Checkliste für Personalabteilungen:
1. Online-Krankschreibungen: Nur Atteste mit mindestens Tele-Konsultation akzeptieren
2. Freistellungsvereinbarungen: Nebentätigkeits-Verbote konkret begründen
3. Verjährungsfristen: Ansprüche aus 2022 bis 31.12.2025 einklagen
4. Probezeiten: Verhältnismäßigkeit in befristeten Verträgen prüfen

Die Darstellung dient ausschließlich der Information und ersetzt keine Rechtsberatung. Urteile und Fristen unterliegen individuellen Fallumständen.

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