Deutschland, International

Günstige Flüge und dank Internet immer Kontakt nach Hause - mal hier, mal da zu arbeiten, ist kein Problem.

06.07.2023 - 17:48:46

Wieso ausländische Arbeitskräfte wieder gehen. Ein Land muss attraktiv sein, damit Arbeitskräfte bleiben.

Fünf Jahre hat Raymund Guevara als Pflegekraft in einem Krankenhaus in Niedersachsen gearbeitet. Seit Januar lebt der 37-jährige Filipino nun mit seiner Frau in Florida in den USA. «Wir wollten uns unseren Traum erfüllen», erzählt er am Telefon. Ein Haus zu kaufen, das sei in Deutschland sehr schwierig gewesen, schon allein wegen der Kredite. In Florida erhalte er als Pflegekraft dabei staatliche Unterstützung. Auch den Führerschein zu machen oder eine Aufenthaltserlaubnis zu bekommen, sei in Deutschland komplizierter, die Sprache sowieso. «In den USA haben wir mehr Möglichkeiten, und es lebt sich bequemer.»

Pflegekräfte wie Guevara werden in Deutschland händeringend gesucht. Doch nicht nur sie: In jedem sechsten Beruf fehlen nach einer Analyse der Bundesagentur für Arbeit Fachkräfte. Da setzt die Reform des Fachkräfteeinwanderungsgesetzes der Ampel-Koalition an. Es soll Arbeitskräften aus dem Ausland leichter machen, nach Deutschland zu kommen. Doch diese müssen nicht nur kommen, sie müssen auch bleiben wollen - zumindest einige Zeit.

Die Mobilität steige durch günstige Transportmittel und die Kommunikationstechnik, sagt Herbert Brücker vom Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung in Nürnberg. «Die temporäre Migration nimmt zu.»

Die Gründe, warum ausländische Arbeitskräfte wieder gehen

Ein Beispiel dafür ist Raymund Guevara. 2018 kam er nach Deutschland. Fünf Jahre später hatten er und seine Frau keine Probleme, alles hinter sich zu lassen und ein neues Leben in Florida zu beginnen. Doch wie bewegt man Menschen dazu zu bleiben? Um das zu beantworten, muss man auch die Gründe kennen, wieso Arbeitskräfte Deutschland wieder verlassen.

Dazu hat das Tübinger Institut für Angewandte Wirtschaftsforschung im Auftrag der Bundesagentur für Arbeit fast 1900 Menschen über Facebook befragt. Das Ergebnis: Viele Arbeitskräfte aus dem Ausland kehren Deutschland vor allem aus aufenthaltsrechtlichen und beruflichen Gründen den Rücken, wie das Ende einer befristeten Beschäftigung oder weil die berufliche Qualifikation nicht anerkannt wurde.

«Es hat aber auch mit dem Leben hier zu tun», sagt der Studienleiter Bernhard Boockmann. So erklärten zwei von drei hoch qualifizierten Fachkräften aus außereuropäischen Ländern, Diskriminierung aufgrund ihrer Herkunft erfahren zu haben. «Das ist aus meiner Sicht durchaus ernst zu nehmen», sagt Boockmann. «Jeder einzelne Grund kann der sein, der das Fass zum Überlaufen bringt.» Also der, der Leute bewegt, das Land zu verlassen. Die Studie ist dem Experten zufolge nicht repräsentativ, da es sich um eine Vorstudie für eine größer angelegte Untersuchung handelt. Dennoch gebe sie wichtige Anhaltspunkte.

Dass sich ausländische Arbeitskräfte nicht immer willkommen fühlen, kann auch die Hamburger Wirtschaftspsychologin Grace Lugert-Jose bestätigen. Diese wurde auf den Philippinen geboren und lebt seit mehr als 20 Jahren in Deutschland. Ihre eigenen Erfahrungen nutzt sie, um Krankenhäuser und Pflegeeinrichtungen bei der Integration internationaler Fachkräfte zu beraten. Im vergangenen Jahr befragte sie mehr als 100 philippinische Pflegekräfte über die sozialen Medien, wie zufrieden diese mit ihrem Job sind. Viele erklärten ihr zufolge, dass sie sich nicht wertgeschätzt fühlten und ihnen die Anerkennung ihrer beruflichen Qualifikation fehlte.

Diskriminierung und Rassismus

Ohne dass sie danach gefragt habe, habe außerdem etwa ein Fünftel berichtet, Diskriminierung und Rassismus erlebt zu haben, sagt Lugert-Jose. «Zum Beispiel Beleidigungen und herablassendes Verhalten, weil man eben noch nicht so perfekt Deutsch spricht.» Oft sorgten aber auch kulturelle Unterschiede für Missverständnisse. Das sei inzwischen auch bei den Arbeitgebern angekommen, hat sie festgestellt. Integrationsbeauftragte und interkulturelles Training sollen beim Ankommen helfen und alte und neue Beschäftigte für Unterschiede sensibilisieren.

Dass manche Betriebe schon eine Menge tun, bestätigt auch Alexander Kritikos vom Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) in Berlin. Dennoch müssten alle Unternehmen bereit sein, da mehr zu investieren. «Das beginnt mit trivialen Dingen wie Fahrgemeinschaften. Das kann das Eis brechen.»

Das allein reicht nach Ansicht von Wirtschaftsprofessorin Jutta Rump von der Hochschule für Wirtschaft und Gesellschaft in Ludwigshafen nicht. «Nichtsdestotrotz ist man an Weihnachten oder Geburtstagen doch wieder alleine.» Einsamkeit und Heimweh spielten eine große Rolle. Für die ersten Jahre brauche es deshalb nicht nur ein Begleitprogramm im Betrieb, sondern auch privat. «Die Hürden abzubauen, dass die Leute bleiben, ist ein gesellschaftliches Thema. Das hat auch mit den Menschen im Umfeld zu tun.»

Brückner: «Migration mitdenken»

Die Lebensbedingungen insgesamt in Deutschland seien ausschlaggebend, sagt Brücker. «Engpässe in der Kinderbetreuung treffen alle, aber Migranten mehr. Und sind unsere Schulen so inklusiv, dass Migrantenkinder gleiche Chancen haben?» Auch der soziale Wohnungsbau in den Ballungszentren müsse gestärkt werden. Denn wenn Migranten viel für Wohnungen zahlten, werde der Lohnvorteil im Vergleich zu anderen Ländern verspielt. «Man muss bei allem, was man tut, Migration mitdenken», sagt Brücker.

All das lässt sich nicht auf die Schnelle ändern und kann nur dazu beitragen, dass ausländische Arbeitskräfte hier längerfristig oder dauerhaft bleiben. Letztlich seien es ganz individuelle Gründe, wieso jemand gehe, gibt Brücker zu bedenken. Zum Beispiel eine andere Lebensplanung, enttäuschte Erwartungen oder zu geringe Verdienste. «Wichtig ist, den Menschen die Möglichkeit und das Gefühl zu geben, dass sie wiederkommen können, wenn es für sie in Deutschland passende Jobs gibt», sagt DIW-Experte Kritikos.

Bei Raymund Guevara ist das jedenfalls nicht ausgeschlossen. «Deutschland ist ein wunderbares Land», sagt er. «Und wir vermissen unsere Freunde. Vielleicht kommen wir irgendwann zurück, wenn wir genug Geld gespart haben.»

@ dpa.de

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