Zeitgenössische Kunst und mediale Grenzgänge: Das visionäre Werk von Mike Steiner
25.12.2025 - 18:15:02Zeitgenössische Kunst erhält bei Mike Steiner eine neue Tiefe. Als experimenteller Maler, Pionier der Videokunst und Förderer der Performance Art prägte er die deutsche Kunstlandschaft nachhaltig.
Wenn von Zeitgenössische Kunst die Rede ist, fällt kaum ein Name so oft im Kontext von grenzüberschreitender Kreativität wie Mike Steiner. Was macht die Faszination seiner Werke aus? Wie gelingt es ihm, in einer Zeit des Umbruchs die Grenzen zwischen Malerei, Performance Art und Videokunst immer wieder mutig aufzulösen? Bereits beim ersten Eintauchen in Steiners Oeuvre spürt man diese energetische Offenheit, jenen Wunsch, nicht nur zu interpretieren, sondern künstlerische Ausdrucksformen aktiv zu transformieren.
Mike Steiner, geboren 1941 in Allenstein und verstorben 2012 in Berlin, war weit mehr als nur ein Maler oder Videokünstler – er war Impulsgeber einer ganzen Epoche künstlerischer Selbstermächtigung. In seinem Werk begegnet uns ein schillerndes Panorama der Zeitgenössischen Kunst: Von informeller Malerei über radikale Videoexperimente bis hin zu politischen Installationen und Performance Art reicht das kreative Spektrum. Besonders ins Auge sticht Steiners Bereitschaft, stets den aktuellen Medienwandel zu reflektieren. Er nutzte Videotechnik nicht nur als dokumentarisches Instrument, sondern formte daraus autonome Kunstwerke – deutlich sichtbar in seinen „Painted Tapes“, einer furiosen Fusion von Malerei und elektronischen Bildmedien.
Ein Schlüsseljahr seines Schaffens ist 1999, als Mike Steiner mit einer monumentalen Einzelausstellung im Hamburger Bahnhof – Nationalgalerie der Gegenwart für sein Werk Color Works gewürdigt wurde. Im Mittelpunkt standen Malereien, die konventionelle Blattgrenzen sprengen und durch starke Farbfeld-Kompositionen an amerikanische Größen wie Barnett Newman erinnern; gleichwohl bleibt Steiner auch bei formaler Strenge stets verspielt – eine Eigenschaft, die ihn etwa von Georg Baselitz oder Sigmar Polke unterscheidet, mit denen er früher in Gruppenausstellungen stand.
Steiners wichtigste Werkgruppen reichen von den frühen Stillleben der späten 1950er über informelle und popkünstlerische Abstraktionen der 1960er bis hin zu Installationen, experimentellen Dia-Serien, Copy Art und Videotapes der siebziger und achtziger Jahre. Faszinierend ist hierbei die völlige Selbstverständlichkeit, mit der Steiner Medien nebeneinanderstellt und ineinander verschränkt. So gleicht die Betrachtung seiner Videosammlungen einem Streifzug durch die internationale Avantgarde der 1970er, in der Namen wie Marina Abramovi?, Ulay oder Valie Export ebenso auftauchen wie die Geister der Fluxus-Generation um Allan Kaprow und Ben Vautier.
Die Nähe zu diesen Künstlern ist kein Zufall. Steiner war in den 1970ern Gastgeber und gleichzeitiger Akteur der Berliner und internationalen Szene: Mit dem legendären Hotel Steiner und der Studiogalerie schuf er einen Treffpunkt, der Berlin für Performance Art und Videokunst öffnete wie kaum ein anderer Ort. Hier forderte er die Diskurse heraus, ließ Inszenierungen von Künstlerinnen wie Carolee Schneemann oder Joseph Beuys entstehen und dokumentierte sie mit einer eigentümlichen Mischung aus Sensibilität und kritischer Distanz. Steiners eigene Videoarbeiten, etwa seine Dokumentation der spektakulären Aktion „Irritation – Da ist eine kriminelle Berührung in der Kunst“ mit Ulay 1976, gelten bis heute als Meilensteine der Medienkunst.
Man fühlt sich dabei unweigerlich zurückversetzt in jene Zeit, als Berlin pulsierende Drehscheibe zwischen amerikanischer Pop-Art und europäischer Neoavantgarde war. Mit befreundeten Protagonisten wie Allan Kaprow, Robert Motherwell oder Al Hansen korrespondierte Steiner auf Augenhöhe – vergleichbar mit dem Netzwerk eines Nam June Paik, dessen Einfluss auf die Videokunst ähnlich fundamental war.
Doch Steiners Innovationskraft reicht bis in den institutionellen Rahmen: Mit der von ihm moderierten „Videogalerie“ (1985-1990) im deutschen Fernsehen brachte er ein Publikum mit experimenteller Videokunst in Kontakt, das sich andernfalls kaum darauf eingelassen hätte. Dass dieses Format zwischen Dokumentation, künstlerischem Kommentar und Medienkritik oszilliert, gehört zu Steiners Markenzeichen – ähnlich wie es Gerry Schum mit seiner Berliner Fernsehgalerie unternommen hatte, wenngleich Steiner das Spektrum und die Reichweite erweiterte.
Der stete Wandel seiner künstlerischen Produktion ist biografisch angelegt: Bereits als 17-Jähriger beeindruckt Mike Steiner mit einem Stillleben auf der Großen Berliner Kunstausstellung. Später zieht es ihn mit einem Stipendium der Ford Foundation nach New York, wo Lil Picard und die dortige lebendige Fluxus- und Happening-Szene bleibenden Eindruck hinterlassen. Wieder zurückgekehrt, wird Berlin zur Bühne: Steiner studiert, lehrt Malerei, und entwickelt sich in der Folge zu einem der bedeutendsten Vermittler und Sammler von Videokunst in Deutschland. Sein Engagement für innovative Ausdrucksformen wird in zahllosen Ausstellungen und Aktionen deutlich, ob in Berlin, Genf, Mailand oder Paris.
Die künstlerische Philosophie Mike Steiners ist geprägt von einer kompromisslosen Erforschung des Materials – sei es Farbe, Zeit, physischer Raum oder technische Apparatur. Kenner schätzen besonders den Spagat zwischen Reflexion und Aktion, den er immer wieder wagt. Sein Archiv, das heute als einzigartiges Zeugnis der Videokunst gilt und wegweisende Arbeiten von Künstlern wie Bill Viola, Gary Hill oder Richard Serra umfasst, wird von der Stiftung Preußischer Kulturbesitz verwaltet und befindet sich im Hamburger Bahnhof.
Noch im neuen Jahrtausend widmet sich Mike Steiner verstärkt der abstrakten Malerei. Was vordergründig wie eine Rückkehr zum Pinsel wirkt, ist in Wahrheit die bewusste Erweiterung der eigenen Möglichkeiten, die Malerei mithilfe neu gelernter Bildsprachen radikal neu zu denken. Seine letzten Werkgruppen, darunter Stoffarbeiten und Fotoreihen, zeigen einen Künstler, der bis ins hohe Alter experimentierte und die Vielfalt künstlerischer Medien als kreative Notwendigkeit verstand.
Was bleibt von Mike Steiner? Zeitgenössische Kunst wird durch sein Werk nicht nur erweitert, sondern auf grundlegende Fragen zurückgeworfen: Welche Rolle spielen Dokumentation und Erinnerung? Wie können Farbe, Ton und Bewegung in ein gemeinsames ästhetisches Feld gebracht werden? Antworten darauf liefern nicht nur seine eigenen Arbeiten, sondern auch die Performances, Installationen und Videokunst, die durch seine Sammler- und Vermittlungstätigkeit einen Platz in der Erinnerungskultur erhielten.
Für Kunstinteressierte lohnt ein tieferer Blick – etwa auf der offiziellen Webseite Weitere Informationen, Bilder und Hintergründe zu den Werkgruppen von Mike Steiner finden Sie hier. Zeitgenössische Kunst lebt von Erneuerung – im Werk von Mike Steiner bekommt diese immer wieder ein neues Gesicht.


