Rechts-KI, Zerreißprobe

Rechts-KI vor der Zerreißprobe: Europa fordert digitale Souveränität

05.12.2025 - 09:29:13

Die juristische Branche steht vor einem radikalen Wandel: Künstliche Intelligenz entwickelt sich vom Effizienz-Tool zur Compliance-Herausforderung. Während europäische Rechtsexperten eine strikte Datenlokalisierung fordern, warnen neue Studien vor mangelnder kultureller Vorbereitung in den Kanzleien.

Zwei heute veröffentlichte Berichte zeigen die Spannungslinien auf: Einerseits drängen Anwaltskanzleien auf KI-gestützte Dokumentenprüfung und Fallvorhersagen. Andererseits fehlen vielerorts die internen Strukturen, um diese Technologie sicher zu beherrschen. Gleichzeitig fordern führende Juristen eine “souveräne KI-Infrastruktur”, die garantiert, dass Mandantendaten niemals europäischen Boden verlassen.

Das Digital Watch Observatory präsentierte heute Erkenntnisse der Digitalagentur Sherwen Studios, die eine klare Botschaft vermitteln: Kulturelle Vorbereitung schlägt technologische Investition. Viele Kanzleien hätten zwar KI-Software erworben, aber die notwendigen Governance-Strukturen vernachlässigt.

Anzeige

Seit August 2024 gelten in der EU neue Regeln für KI – und viele Kanzleien unterschätzen, welche Nachweispflichten jetzt gelten. Ein kostenloser Umsetzungsleitfaden zur KI-Verordnung erklärt kompakt, welche Anforderungen an Risikoklassifizierung, Kennzeichnung und Dokumentation bestehen, wie Sie KI-Systeme korrekt klassifizieren und welche Schritte nötig sind, um Compliance gegenüber Mandanten und Behörden nachzuweisen. Ideal für Anwaltskanzleien, Compliance-Officer und IT-Verantwortliche. Jetzt kostenlosen KI-Verordnung-Umsetzungsleitfaden herunterladen

“Multidisziplinäre Teams aus Juristen und IT-Experten sind unverzichtbar”, heißt es in dem Bericht. Ohne diese Verzahnung drohen ethische und operative Fehlschläge. Die Warnung kommt nicht von ungefähr: Seit August 2025 gelten die Governance-Regeln des EU AI Act – doch viele Kanzleien kämpfen noch immer damit, diese in den Arbeitsalltag zu integrieren.

Die Software zu kaufen ist simpel. Eine Kultur aufzubauen, die diese Software hinterfragt, verifiziert und überwacht? Das ist die eigentliche Herausforderung.

Deutschland pocht auf Datenhoheit

Parallel zu den kulturellen Bedenken formiert sich in Deutschland massiver Widerstand gegen außereuropäische Server. In einem heute in der Süddeutschen Zeitung erschienenen Gastbeitrag argumentieren Experten, dass Rechts-KI eine “besondere Verantwortung” trägt und strikte Datenlokalisierung erfordert.

Die Forderung geht weit über Standard-DSGVO-Compliance hinaus: KI-Tools für Rechtsanwendungen sollten “ausschließlich auf souveränen, sicheren Servern unter europäischer Kontrolle laufen”. Eine verpflichtende Zertifizierung soll Datensouveränität, Verschlüsselungsstandards und Freiheit von Einflüssen außerhalb der EU nachweisen.

Für internationale Kanzleien im DACH-Raum könnte das einen fragmentierten Tech-Stack bedeuten. Wer nicht nachweisen kann, dass sensible Mandantendaten niemals US-Server erreichen, muss womöglich Verträge mit großen Legal-Tech-Anbietern neu verhandeln. Oder komplett wechseln.

KI als Standard – mit steigenden Risiken

Der Druck wächst, weil KI längst kein Nischen-Luxus mehr ist. Das Legal-Tech-Unternehmen Reveal Data erklärte am 3. Dezember KI zur “Standardanforderung” für juristische Unternehmensabteilungen. 73 Prozent der Anwälte arbeiten über die regulären Arbeitszeiten hinaus – und setzen dabei auf KI-Unterstützung.

Doch die Verantwortung bleibt. “Die Nutzung von KI entbindet Sie nicht von Ihrer Pflicht, Mandantendaten zu schützen”, warnte Reveal Data. Besonders Behörden und öffentliche Organisationen verschärfen ihre Anforderungen. Private Kanzleien müssen mitziehen, um weiterhin für öffentliche Aufträge in Frage zu kommen.

Wenn KI vor Gericht halluziniert

Die britische Bar Council reagierte bereits am 1. Dezember auf einen besorgniserregenden Trend: Anwälte zitierten zunehmend “halluzinierte” Urteile – erfunden von Large Language Models wie ChatGPT oder Microsoft Copilot. Die aktualisierte Richtlinie ist unmissverständlich: KI kann nützlich sein, aber nur unter ständiger menschlicher Aufsicht.

“Die Botschaft der britischen Kollegen ist klar: Technologie ohne menschliche Kontrolle ist keine Bereicherung, sondern eine Haftungsfalle”, berichtete Legal Cheek. Auch diese Warnung fügt sich nahtlos in die heute veröffentlichten Sherwen-Befunde ein: Ohne kulturelles Verständnis und kritische Überprüfung wird KI zum Risiko statt zum Werkzeug.

Regulatorischer Druck steigt

Der EU AI Act wirft bereits seine Schatten voraus. Artikel 4 fordert “AI Literacy” für Mitarbeiter – doch die Interpretation wandelt sich. Es geht längst nicht mehr nur darum, Prompts schreiben zu können. Juristen müssen verstehen, welche ethischen und kulturellen Konsequenzen es hat, rechtliche Arbeit an Maschinen zu delegieren.

Die deutsche Forderung nach souveräner KI spiegelt eine tiefer liegende europäische Sorge wider: die Abhängigkeit von US-Tech-Konzernen. Mit der am 4. Dezember angekündigten Partnerschaft zwischen EU-Kommission und Europäischer Investitionsbank zur Förderung von “KI-Gigafactories” zeigt sich der politische Wille zum Aufbau eigener Infrastruktur. Anwaltskanzleien werden dabei zur Speerspitze – ihre strikten Vertraulichkeitsanforderungen machen sie zu den Ersten, die nicht-souveräne Lösungen ablehnen.

Was 2026 bringt

Wenn der EU AI Act vollständig anwendbar wird, dürfte sich die Situation verschärfen:

Verpflichtende Souveränitäts-Audits werden zum Standard. Mandanten aus dem öffentlichen Sektor und der Finanzbranche werden Nachweise verlangen, dass ihre Rechtsberatung KI auf EU-souveränen Clouds nutzt.

Neue Rollen entstehen: Der “AI Compliance Officer” wird zur Standardposition – unabhängig von CIO oder CISO, fokussiert auf die Validierung und ethische Nutzung generativer Modelle.

Zertifizierungspflicht rückt näher: Die heute in der SZ geforderte verpflichtende Zertifizierung könnte in Deutschland und möglicherweise EU-weit zur regulatorischen Anforderung werden.

Die experimentelle Phase ist vorbei. Compliance, Souveränität und kulturelle Reife sind jetzt die Lizenz zum Praktizieren.

Anzeige

PS: Die Übergangsfristen und Nachweispflichten der EU-KI-Verordnung betreffen jetzt auch Kanzleien direkt – wer die Dokumentation, Kennzeichnung und Risikoklassifizierung nicht lückenlos nachweist, riskiert Sanktionen. Das kostenlose E-Book zur KI-Verordnung liefert praxisnahe Checklisten, erklärt die relevanten Nachweise für Rechtsanwendungen und zeigt, wie ein AI Compliance Officer die Umsetzung strukturiert. Perfekt für interne Briefings und Audit-Vorbereitungen. Jetzt kostenlosen KI-Umsetzungsleitfaden sichern

@ boerse-global.de