Nahrungsergänzungsmittel, Sicherheitsregeln

Nahrungsergänzungsmittel: EU verschleppt Sicherheitsregeln weiter

10.12.2025 - 03:30:12

Zum Jahresende 2025 erreicht die Debatte um Nahrungsergänzungsmittel einen neuen Tiefpunkt. Während der Markt für Vitaminpräparate und Lifestyle-Gummis ungebremst wächst, kommt die Regulierung nicht hinterher. Verbraucherschützer schlagen Alarm: Die Kluft zwischen Produktvielfalt und effektiver Überwachung wird größer statt kleiner.

Heute ziehen Experten eine ernüchternde Bilanz. Was als Jahr der großen europäischen Harmonisierung angekündigt war, endet ohne Durchbruch bei verbindlichen Höchstmengen für Vitamine und Mineralstoffe. Die EU-Kommission hat im November zwar technische Anpassungen für Folsäure-Quellen vorgenommen, doch die seit langem geforderte “Sicherheitsbremse” für überdosierte Produkte fehlt weiterhin.

Der Verbraucherzentrale Bundesverband erneuerte diese Woche seine Forderung nach einem nationalen Alleingang. Der Grund: Das Bundesamt für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit verzeichnete 2025 einen erneuten Rekord bei den Produktanzeigen – ein System am Limit.

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Einer der kritischsten Punkte bleibt das Fehlen einheitlicher, gesetzlich bindender Obergrenzen für Vitamine und Mineralstoffe in der EU.

Trotz intensiver Konsultationen existieren keine EU-weiten Grenzwerte. Das führt zu einer paradoxen Situation: Ein Produkt, das in Deutschland als “unsicher” oder zulassungspflichtiges Arzneimittel eingestuft würde, kann über ausländische Online-Shops legal als Nahrungsergänzungsmittel erworben werden.

Das Bundesinstitut für Risikobewertung hat seine Empfehlungen für Höchstmengen bereits mehrfach bekräftigt. Diese sehen für Vitamin D oder Magnesium deutlich strengere Grenzen vor, als sie in vielen Lifestyle-Produkten zu finden sind. Hersteller ignorieren diese wissenschaftlichen Empfehlungen – rechtlich können sie das.

“Wir sehen weiterhin Produkte am Markt, die die empfohlenen Tagesdosen um das Vielfache überschreiten”, erklärt ein Sprecher der Verbraucherzentrale. Besonders kritisch: Kombinationspräparate. Wer mehrere Produkte gleichzeitig nimmt (Multivitamin + Magnesium + Immunbooster), kann toxische Gesamtmengen erreichen.

Botanicals: Leberschäden und Wechselwirkungen

Noch problematischer sind pflanzliche Stoffe wie Ashwagandha, Curcumin oder Grüntee-Extrakte. Während Vitamine zumindest gut erforscht sind, bereiten diese “Botanicals” den Behörden massives Kopfzerbrechen.

Im Gegensatz zu Vitaminen gibt es keine EU-weite “Positivliste”, die regelt, welche Stoffe überhaupt verwendet werden dürfen. Es gilt lediglich das Verbot, dass Lebensmittel nicht unsicher sein dürfen. Den Nachweis der Unsicherheit müssen die Behörden jedoch mühsam im Einzelfall führen.

2025 häuften sich Berichte über Leberschäden im Zusammenhang mit hochkonzentrierten Grüntee-Extrakten. Auch Wechselwirkungen von pflanzlichen Mitteln mit verschreibungspflichtigen Medikamenten werden zum Problem. Die Forderung nach einer strengen Prüfung vor Markteinführung – ähnlich wie bei neuartigen Lebensmitteln – wird lauter.

Aktuell können Hersteller Produkte mit exotischen Pflanzenextrakten auf den Markt bringen, indem sie diese beim BVL anzeigen. Eine Sicherheitsprüfung findet nicht statt.

Neue Verordnungen: Zu wenig, zu spät

Trotz der Kritik gab es 2025 spezifische regulatorische Fortschritte:

Verordnung (EU) 2025/352 (Februar): Genehmigte Calcidiol-Monohydrat als neue Quelle für Vitamin D. Ein Sieg für die Industrie, die damit effizientere Präparate anbieten kann. Doch der Druck, Höchstmengen festzulegen, steigt – Calcidiol wirkt schneller als herkömmliches Vitamin D3.

Verordnung (EU) 2025/2224 (November): Aktualisierte die Zulassung bestimmter Folsäure-Salze.

Diese Detailregelungen ändern nichts an der grundlegenden Problematik. Sie zeigen jedoch: Bei der Zulassung neuer Stoffquellen agiert die EU-Kommission schneller als bei der Beschränkung bestehender Risiken.

Anzeigepflicht statt Zulassungsverfahren

Ein Kernproblem ist das deutsche System der Anzeigepflicht. Viele Verbraucher glauben, Nahrungsergänzungsmittel seien “staatlich geprüft”. Das stimmt nicht.

Hersteller müssen ein Produkt lediglich beim BVL anzeigen. Eine inhaltliche Prüfung auf Wirksamkeit oder Sicherheit findet nicht statt. Die Behörden kommen mit der Marktüberwachung kaum hinterher.

Durch den Boom von Direct-to-Consumer-Brands, die über TikTok und Instagram vermarkten, strömen täglich Dutzende neue Produkte auf den Markt. Die Lebensmittelüberwachungsämter müssen reaktiv tätig werden – oft erst, wenn ein Produkt bereits tausendfach verkauft wurde.

Marktanalysten beobachten eine Verschiebung: Während Apothekenmarken konservativ formulieren, nutzen neue Online-Player regulatorische Grauzonen aggressiv aus. Sie werben mit “High Dose”-Versprechen, die wissenschaftlich oft nicht haltbar oder riskant sind.

Was bringt 2026?

Der Druck auf den Gesetzgeber ist so hoch wie nie. Für 2026 zeichnen sich mehrere Szenarien ab:

Nationaler Alleingang: Sollte die EU-Kommission im ersten Quartal keinen finalen Entwurf für harmonisierte Höchstmengen vorlegen, könnte Deutschland nationale Obergrenzen festlegen. Dies würde jedoch den freien Warenverkehr erschweren und auf Widerstand der Industrie stoßen.

Fokus auf Health Claims: Die seit Jahren ausgesetzte Bewertung von gesundheitsbezogenen Angaben bei Pflanzenstoffen muss gelöst werden. Die Europäische Behörde für Lebensmittelsicherheit wird 2026 voraussichtlich neue Leitlinien vorlegen.

Haftung für Marktplätze: Wenn Amazon oder andere Plattformen ungeprüfte Importe aus Drittstaaten verkaufen, sollen sie künftig stärker in die Pflicht genommen werden.

Für Verbraucher gilt weiterhin: “Viel hilft viel” ist bei Nährstoffen der falsche Ansatz. Die behördliche Registrierung eines Produkts ist kein Qualitätssiegel. Der Ruf nach einer Positivliste und klaren Obergrenzen bleibt das dominierende Thema der Ernährungspolitik.

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