ME / CFS als Berufskrankheit: Gerichte ebnen den Weg
29.12.2025 - 09:13:12Wegweisende Urteile erkennen chronische Erschöpfung nach Arbeitsinfektionen an. Aktualisierte Leitlinien stärken Betroffene und erhöhen den Druck auf Versicherer und Arbeitgeber.
Chronische Erschöpfung nach Infektionen am Arbeitsplatz wird zunehmend als Berufskrankheit anerkannt. Zwei wegweisende Gerichtsurteile und aktualisierte Leitlinien markieren einen Durchbruch für Tausende Betroffene, vor allem aus Gesundheitswesen und Schulen.
Präzedenzfall aus Berlin-Brandenburg
Das Landessozialgericht Berlin-Brandenburg hat mit einem Urteil vom Dezember 2025 (Az. L 3 U 206/19) Maßstäbe gesetzt. Es sprach einer Lehrerin eine Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) von 40 Prozent zu. Sie hatte sich 2012 am Arbeitsplatz mit Parvovirus B19 (Ringelröteln) infiziert und entwickelte daraus ein Myalgische Enzephalomyelitis/Chronisches Fatigue-Syndrom (ME/CFS).
Während die Infektion als Arbeitsunfall anerkannt war, lehnte die Berufsgenossenschaft die Anerkennung der chronischen Fatigue jahrelang ab – mit Verweis auf fehlende wissenschaftliche Kausalität. Das Gericht wies diese Argumentation zurück. Es stützte sich auf medizinische Gutachten, die einen ursächlichen Zusammenhang bejahten.
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Dieser Präzedenzfall ist entscheidend: Er schlägt explizit die Brücke zwischen einer spezifischen Berufsinfektion und der Entwicklung von ME/CFS. Eine Verbindung, die Versicherer historisch bestritten. Die Begründung des Gerichts gilt juristischen Experten zufolge auch unmittelbar für Long- oder Post-Covid-Fälle. Sie untergräbt die Standardabwehr der Versicherer, es fehle an ausreichender wissenschaftlicher Evidenz.
Aktualisierte Leitlinien stärken Betroffene
Passend zu dieser Rechtsentwicklung veröffentlichte das Portal betanet.de am 27. Dezember aktualisierte Hinweise zu „Long-Covid und Post-Covid als Berufskrankheiten“. Die Leitlinie betont: Anerkennungsfähig sind nicht mehr nur akute Atemversagen, sondern auch systemische neuro-immunologische Folgen.
Dazu zählen schwere Fatigue, kognitive Dysfunktion („Brain Fog“) und Belastungsintoleranz. Für Antragsteller bietet dies einen klaren Rahmen, um Symptome zu dokumentieren, die den juristischen Schwellenwert für eine MdE erreichen. Die Leitlinie stellt klar: Kann eine Infektionskette am Arbeitsplatz (etwa in Klinik oder Schule) belegt werden, verschiebt sich die Beweislast zugunsten der Beschäftigten.
Der „Heilbronner Weg“ wird bestätigt
Die aktuelle Dynamik baut auf einem Grundsatzurteil des Sozialgerichts Heilbronn auf, das Anfang 2025 rechtskräftig wurde. Dieses erkannte ein Post-Covid-Syndrom mit Fatigue und kognitiven Defiziten als Folge einer Berufskrankheit (BK Nr. 3101) an und sprach eine MdE von 30 Prozent zu.
Das Gericht wies das Argument der „unzureichenden wissenschaftlichen Kenntnis“ zurück. Es berief sich auf die AWMF-S1-Leitlinie zu Long/Post-Covid und befand die medizinische Evidenz für ausreichend, um Kausalität zu begründen.
Der „Heilbronner Weg“ wird nun durch das Berlin-Brandenburger Urteil gestärkt und schafft eine doppelte Präzedenz:
1. Wissenschaftliche Akzeptanz: Gerichte akzeptieren aktuelle medizinische Leitlinien als ausreichenden Nachweis für Krankheitsmechanismen.
2. Kausalanerkennung: Gerichte sind bereit, Berufsinfektionen (selbst aus Jahren zurückliegenden) mit chronischen Behinderungen wie ME/CFS zu verknüpfen.
Folgen für Versicherer und Arbeitgeber
Die Konsequenzen für die gesetzliche Unfallversicherung (DGUV) sind erheblich. Seit Pandemiebeginn wurden Hunderttausende Berufskrankheiten-Anzeigen im Zusammenhang mit COVID-19 erstattet. Studien deuten darauf hin, dass die wirtschaftliche Belastung durch Long-Covid mittlerweile der großer chronischer Krankheiten wie Psoriasis oder Diabetes gleicht.
Für Arbeitgeber, besonders im Gesundheits- und Sozialwesen, unterstreichen diese Entwicklungen die Notwendigkeit rigoroser Infektionsschutzmaßnahmen. Die Anerkennung von ME/CFS als mögliche Berufskrankheit bedeutet, dass das langfristige Haftungsrisiko für Infektionen am Arbeitsplatz deutlich höher ist als bisher angenommen. Juristen rechnen damit, dass der „Signal-Effekt“ des Berlin-Brandenburger Urteils eine Welle von Wiederaufnahmegesuchen für abgelehnte Anträge auslösen könnte.
Ausblick: Warten auf das Bundessozialgericht
Die rechtliche Aufmerksamkeit richtet sich nun auf das Bundessozialgericht. Obwohl das Berlin-Brandenburger Urteil ein Einzelfall bleibt, sind die zugrundeliegenden Rechtsfragen zu Beweislast und Kausalität reif für eine bundesweite Klärung.
Patientenvertretungen und Anwaltskanzleien werden die neuen Leitlinien und Gerichtserfolge nutzen, um weitere Ablehnungen anzufechten. Für Versicherer wird es zunehmend riskant, kostspielige Prozesse zu führen, die sie wahrscheinlich verlieren. Für die Betroffenen sendet die Rechtsprechung ein klares Signal: Chronische postvirale Fatigue ist unter bestimmten Bedingungen keine private Pechsträhne, sondern eine entschädigungspflichtige Berufskrankheit.
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