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ePA-System: Deutschlands Digitalisierung im Stresstest

28.11.2025 - 02:42:12

Deutschlands digitale Gesundheitsinfrastruktur steht unter Druck. Ausgerechnet in der ersten kritischen Phase nach der Einführung der elektronischen Patientenakte für alle kommt das System an seine Grenzen. Millionen Versicherte können nicht auf ihre Gesundheitsdaten zugreifen, Arztpraxen schalten auf Notbetrieb – und das nächste Problem steht bereits vor der Tür.

Was war als Meilenstein der Digitalisierung geplant, entpuppt sich derzeit als Belastungsprobe. Nur wenige Wochen nach der verpflichtenden Einführung der elektronischen Patientenakte (ePA) am 1. Oktober zeigen sich massive Schwachstellen in der von Gematik betriebenen Infrastruktur. Ärzte, Apotheker und Patienten stecken im digitalen Stillstand fest.

Der Dienstagmorgen, 25. November, markierte den Beginn einer turbulenten Woche. Gematik bestätigte eine schwerwiegende Störung in einer “technisch relevanten Komponente” der elektronischen Patientenakte. Betroffen waren vor allem Millionen Versicherte bei AOK, Barmer und Techniker Krankenkasse.

Doch damit nicht genug. Am Mittwoch, 26. November, weitete sich die Instabilität aus. Während IBM-Deutschland-Spezialisten noch die ersten Probleme analysierten, brach eine zweite Störungswelle über die Apps weiterer Versicherer herein – diesmal DAK, KKH sowie diverse BKK- und IKK-Kassen. Der Fehler lag beim Kontosystem-Anbieter Bitmarck, der Patienten faktisch von ihren eigenen Gesundheitsdaten aussperrte.

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“Wir erleben gerade genau das, was wir befürchtet haben: eine fragile Infrastruktur, die unter Last zusammenbricht”, kommentierte ein Apothekerverbands-Sprecher die Lage. Für Apotheken, die ohnehin mit Personalmangel kämpfen, bedeutete die Unzuverlässigkeit des E-Rezept-Systems einen Rückfall in zeitraubende manuelle Notlösungen und Telefonate mit Arztpraxen.

Heute, Freitag, 28. November, bleibt die Situation angespannt. Gematik kündigte für die Nacht von Mittwoch auf Donnerstag geplante Wartungsarbeiten an, um die Identitätsdienste für die AOK zu stabilisieren – und warnte gleichzeitig vor weiteren möglichen Zugriffsproblemen bei der GesundheitsID.

Hohe Akzeptanz trifft auf niedrige Stabilität

Die offiziellen Zahlen klingen beeindruckend. Seit dem Start der “ePA für alle” im Januar 2025 mit Widerspruchslösung wurden rund 70 Millionen Patientenakten angelegt. Ende Oktober meldete Gematik über 37 Millionen hochgeladene Dokumente und betonte, dass 81 Prozent der medizinischen Einrichtungen mindestens einmal auf eine ePA zugegriffen hätten.

Doch zwischen Statistik und Praxisrealität klafft eine erhebliche Lücke. Die verpflichtende Nutzung für Ärzte und Krankenhäuser, die am 1. Oktober 2025 in Kraft trat, hat das System schlagartig ins Rampenlicht gerückt.

“Die Zahlen sehen auf dem Papier gut aus, aber wenn das System nicht verfügbar ist, während ein Patient am Tresen steht, schwindet die Akzeptanz sofort”, analysiert ein Experte für digitale Gesundheit. Die Widerspruchsquote lag im April 2025 bei lediglich fünf Prozent – ein Zeichen, dass Patienten theoretisch bereit sind. Die technische Umsetzung hält mit dem Volumen jedoch nicht Schritt.

Ärzte und Kassen bremsen ab

Die medizinische Community reagierte schnell und pragmatisch. Am Donnerstag, 27. November, verkündete die Kassenärztliche Bundesvereinigung (KBV) ein bedeutendes Zugeständnis: Die Vergütung für die Erstbefüllung der ePA in Höhe von etwa elf Euro wird bis zum 30. Juni 2026 verlängert.

Diese Verlängerung ist ein stilles Eingeständnis. Das System ist noch nicht reif für den Routinebetrieb ohne finanzielle Anreize, die den Mehraufwand und die technischen Reibungsverluste ausgleichen. “Die Beratungen über eine neue Vergütungsstruktur laufen noch”, teilte die KBV mit – ein Signal dafür, dass der Übergang zu vollständig digitalen Workflows weit langsamer voranschreitet als vom Bundesgesundheitsministerium erhofft.

Kritiker sprechen mittlerweile von einem “Datenfriedhof”. Ohne nahtlose Interoperabilität zwischen Praxisverwaltungssystemen und der zentralen Infrastruktur bleiben hochgeladene Dokumente oft unstrukturiert und für Fachärzte schwer nutzbar.

Die tickende Zeitbombe: Konnektor-Tausch bis Jahresende

Als wäre die aktuelle Situation nicht angespannt genug, steht eine harte Hardware-Deadline vor der Tür. Bis zum 31. Dezember 2025 müssen Tausende Arztpraxen ihre Sicherheitskonnektoren austauschen. Geräte mit älterem RSA-Verschlüsselungsstandard werden ab dem 1. Januar 2026 von der Telematikinfrastruktur (TI) ausgeschlossen.

Die KBV warnte am 27. November eindringlich: “Ohne neuen Konnektor gibt es keine TI-Anwendungen.” Praxen, die in den nächsten vier Wochen nicht aufrüsten, verlieren faktisch die Möglichkeit, E-Rezepte auszustellen, elektronische Überweisungen zu bearbeiten oder auf die ePA zuzugreifen.

Bei der aktuellen Systeminstabilität wächst die Befürchtung, dieser Hardware-Wechsel könnte Anfang 2026 einen “perfekten Sturm” an Verbindungsproblemen auslösen.

Ein kritischer Winter steht bevor

Die kommenden Wochen werden entscheidend für die Glaubwürdigkeit der deutschen Digital-Health-Strategie. Gematik und seine Industriepartner stehen unter enormem Druck, die Identity-Provider-Systeme vor den Feiertagen zu stabilisieren.

2026 steigt der Einsatz weiter. Die Einführung des vollständig elektronischen Medikationsplans (eMP) ist für das neue Jahr geplant – eine weitere Komplexitätsebene für das bereits angeschlagene System. Zudem sollen ab Januar 2026 Sanktionen für medizinische Einrichtungen greifen, die die ePA nicht unterstützen.

Die Botschaft aus den Praxen ist eindeutig: Zuverlässigkeit muss vor Expansion kommen. Wie die Verlängerung der Vergütungsfrist durch die KBV zeigt, stellt sich das deutsche Gesundheitssystem auf einen Marathon ein – nicht auf einen Sprint. Kann das System die Belastung aushalten? Die nächsten Wochen werden es zeigen.

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