DGB-Studie, Achtstundentag

DGB-Studie: 72 Prozent wollen Achtstundentag behalten

07.12.2025 - 21:29:12

Die Debatte ist beendet – zumindest aus Sicht der Beschäftigten. Eine überwältigende Mehrheit der Arbeitnehmer in Deutschland lehnt längere Arbeitszeiten kategorisch ab. Das zeigt der am Donnerstag in Berlin vorgestellte DGB-Index Gute Arbeit 2025. Während Arbeitgeberverbände und Teile der Politik für eine Aufweichung des Arbeitszeitgesetzes werben, schlägt die Realität in den Betrieben eine andere Sprache: Überlastung, unbezahlte Überstunden und fehlende Zeiterfassung prägen den Alltag vieler Beschäftigter.

Die Gewerkschaften warnen eindringlich vor einem „gesundheitlichen Burnout” quer durch alle Branchen. Die Zahlen liefern ihnen massives Munition im Kampf gegen Deregulierung.

Die Kernbotschaft der repräsentativen Studie könnte klarer kaum sein: 72 Prozent der Beschäftigten wollen, dass ihr Arbeitstag maximal acht Stunden dauert. Bei längeren Schichten wird die Ablehnung noch deutlicher – 98 Prozent lehnen Arbeitstage von mehr als zehn Stunden ab.

Diese Zahlen stehen in scharfem Kontrast zu aktuellen Forderungen nach einer Umstellung von der täglichen auf eine wöchentliche Höchstarbeitszeit. Eine solche Reform könnte Arbeitstage von bis zu 13 Stunden rechtlich ermöglichen. „Die aktuellen gesetzlichen Leitplanken schützen Menschen – und genau deshalb müssen sie unangetastet bleiben”, stellte DGB-Vorsitzende Yasmin Fahimi bei der Präsentation klar. Längere Arbeitszeiten würden keine Produktivitätsprobleme lösen, sondern wie ein „Brandbeschleuniger” für Gesundheitsprobleme und den Fachkräftemangel wirken.

Anzeige

Passend zum Thema Zeiterfassung: Studien zeigen, dass bei 23% der Beschäftigten gar keine Arbeitszeit dokumentiert wird – das führt oft zu unbezahlten Überstunden und rechtlichen Risiken. Ein kostenloses E‑Book erklärt praxisnah, wie Sie die Arbeitszeiterfassung rechtssicher umsetzen (inkl. einsatzbereiter Mustervorlagen für Stundenzettel sowie Pausen- und Ruhezeit-Regelungen). Ideal für Personaler, Betriebsräte und Führungskräfte, die jetzt handeln müssen. Arbeitszeiterfassung jetzt rechtssicher umsetzen

Bemerkenswert: Selbst unter jenen Beschäftigten, die regelmäßig über acht Stunden arbeiten, wünschen sich 59 Prozent kürzere Arbeitszeiten, wenn sie selbst entscheiden könnten. Lange Schichten sind also selten freiwillig, sondern meist systemischer Zwang.

Zeiterfassung: Das ignorierte Schutzinstrument

Ein kritischer Befund der Studie betrifft die mangelhafte Umsetzung der Arbeitszeiterfassung. Trotz europäischer und nationaler Vorgaben, die eine systematische Erfassung vorschreiben, klafft eine alarmierende Lücke in der Praxis.

23 Prozent der Beschäftigten geben an, dass ihre Arbeitszeit vom Arbeitgeber überhaupt nicht erfasst wird. Bei weiteren 7 Prozent erfolgt die Dokumentation nur lückenhaft. Für den DGB ist dies kein bürokratisches Versäumnis, sondern ein zentraler Treiber für die „Entgrenzung” von Arbeit.

Die Daten zeigen einen eindeutigen Zusammenhang: Wo Arbeitszeit nicht erfasst wird, arbeiten Beschäftigte signifikant häufiger über, verpassen Ruhezeiten und leiden unter Work-Life-Balance-Konflikten. Ohne präzise Dokumentation wird der gesetzliche Achtstundentag zum theoretischen Recht statt zur gelebten Praxis – unbezahlte und unsichtbare Überstunden werden zur Norm.

Arbeitsverdichtung gefährdet die Gesundheit

Die Kluft zwischen Wunsch und Wirklichkeit hat strukturelle Ursachen. 40 Prozent der Beschäftigten arbeiten häufig mehr als acht Stunden täglich, obwohl die Mehrheit das nicht möchte. Warum können sie ihre Arbeitszeit nicht reduzieren? 63 Prozent verweisen auf starre betriebliche Strukturen, 60 Prozent berichten, dass das zugewiesene Arbeitspensum schlicht nicht in der vertraglich vereinbarten Zeit zu schaffen ist.

Diese Arbeitsverdichtung hinterlässt messbare Spuren: Die Studie belegt einen direkten Zusammenhang zwischen häufigen Überstunden und negativen Gesundheitsfolgen wie Erschöpfung, Schlafstörungen und der Unfähigkeit, nach Feierabend abzuschalten.

Guido Zeitler, Vorsitzender der Gewerkschaft Nahrung-Genuss-Gaststätten (NGG), warnte eindringlich: „Am Achtstundentag darf nicht gerüttelt werden.” In der Süßwarenindustrie, in Bäckereien und in der Gastronomie arbeiteten die Menschen bereits „am Limit”. Eine Ausweitung der zulässigen Arbeitszeiten in diesen körperlich fordernden Bereichen würde den bereits kritischen Personalmangel durch Burnout-bedingte Berufsausstiege weiter verschärfen.

Gewerkschaften: Geschlossene Front gegen Reform

Die Veröffentlichung des Index hat die großen deutschen Gewerkschaften geeint. Frank Werneke, Vorsitzender der Vereinten Dienstleistungsgewerkschaft ver.di, wies Argumente für mehr Flexibilität als Vorwand für Ausbeutung zurück.

„Es gibt absolut keinen Grund, den Achtstundentag auszuhebeln”, erklärte Werneke. Seine besondere Sorge gilt Branchen mit schwachen Betriebsräten oder geringer gewerkschaftlicher Organisation, etwa der Paketbranche. Dort würde eine Umstellung auf wöchentliche Höchstarbeitszeit Arbeitgebern ermöglichen, 13-Stunden-Schichten „gnadenlos durchzusetzen” – gegen den Willen der Belegschaft. Allein in der Paketbranche gibt es 14.000 Unternehmen mit weniger als zehn Beschäftigten, wo der Kündigungsschutz schwach ausgeprägt ist.

Der DGB-Index zeigt zudem: Nur 40 Prozent der Beschäftigten sind mit ihrer aktuellen Wochenarbeitszeit zufrieden, 53 Prozent wünschen sich eine Reduzierung. Bei Beschäftigten mit schlechten Arbeitsbedingungen steigt dieser Wert auf 72 Prozent.

Flexibilität für wen? Der Kern des Konflikts

Die Studienergebnisse treffen auf eine aufgeheizte Debatte. Arbeitgeberverbände argumentieren seit Jahren, der starre Achtstundentag sei ein Relikt des Industriezeitalters und passe nicht zur digitalen Wissensökonomie. Sie werben für einen „wöchentlichen Arbeitszeitkorridor”, der Unternehmen mehr Spielraum bei Auftragsspitzen gibt.

Doch die DGB-Daten zeigen: Die Flexibilität, die Beschäftigte wollen, unterscheidet sich fundamental von jener, die Arbeitgeber fordern. Während Angestellte Flexibilität für sich suchen – um Care-Aufgaben oder persönliche Interessen zu managen –, erleben sie arbeitgebergetriebene Flexibilität als Unberechenbarkeit. 63 Prozent der Beschäftigten haben massive Vereinbarkeitsprobleme, wenn Arbeitgeber die Arbeitszeiten kurzfristig ändern.

Die Diskrepanz offenbart einen Grundkonflikt: Arbeitgeber sehen die Acht-Stunden-Grenze als Produktivitätshemmnis, Gewerkschaften und Beschäftigte als unverzichtbaren Gesundheitsschutz. Wenn 60 Prozent der Mitarbeiter ihre Aufgaben nicht in der vorgesehenen Zeit schaffen können, liegt das Problem nicht bei rigiden Arbeitszeiten, sondern bei unrealistischer Personalausstattung.

Was kommt jetzt?

Der DGB-Index wird die Gewerkschaften in anstehenden Tarifverhandlungen und Gesetzgebungsverfahren stärken. Die Zahlen dürften für aggressive Lobbyarbeit gegen jede Aufweichung des Arbeitszeitgesetzes genutzt werden.

Die fehlende Zeiterfassung bei 30 Prozent der Arbeitsplätze wird zudem den Druck auf Aufsichtsbehörden erhöhen, die Urteile des Bundesarbeitsgerichts zur verpflichtenden Zeiterfassung durchzusetzen. Unternehmen, die konforme Systeme verzögert haben, könnten verstärkt ins Visier geraten.

Kurzfristig dürfte die Debatte die Definition der „Vertrauensarbeitszeit” ins Zentrum rücken. Die DGB-Erkenntnisse legen nahe: Ohne Leitplanken verkommt dieses in Unternehmen beliebte Modell oft zu unbezahlten Überstunden. Betriebsräte bundesweit werden die Studie als Hebel nutzen, um strengere Einhaltung des Achtstundentags und robuste Erfassungssysteme in Betriebsvereinbarungen durchzusetzen.

Anzeige

PS: Viele Unternehmen unterschätzen die neue Pflicht zur systematischen Zeiterfassung und die rechtlichen Folgen. Das kostenlose PDF liefert einsatzbereite Mustervorlagen, Praxis-Tipps zu Pausen- und Ruhezeiten und zeigt, wie Sie unbezahlte Überstunden transparent dokumentieren – ideal für Betriebsräte und Personalverantwortliche, die jetzt rechtssicher handeln wollen. Kostenlose Mustervorlagen zur Arbeitszeiterfassung herunterladen

@ boerse-global.de