Clearview, Britisches

Clearview AI: Britisches Tribunal stärkt Datenschutz-Reichweite

23.12.2025 - 21:39:12

Ein britisches Gericht hat die globale Reichweite der Datenschutz-Grundverordnung gestärkt. Das Urteil betrifft ausländische KI-Firmen – trotz einer aktuellen Berufungszulassung.

London. Die digitale Grenze zwischen Europa und dem Rest der Welt ist durchlässiger geworden – zumindest für Datenschutzbehörden. Das Upper Tribunal, ein britisches Berufungsgericht, hat in einer Grundsatzentscheidung klargestellt: Ausländische Tech-Unternehmen können sich nicht mehr hinter fehlenden Niederlassungen verstecken, um der EU-Datenschutz-Grundverordnung (DSGVO) zu entgehen. Das Urteil vom Oktober 2025 hat Signalwirkung für den gesamten europäischen Rechtsraum, auch wenn der betroffene Konzern, das US-Unternehmen Clearview AI, nun in Berufung gehen darf.

Im Zentrum des Verfahrens The Information Commissioner v Clearview AI Inc steht das Geschäftsmodell des Biometrie-Spezialisten. Clearview durchsucht das offene Internet nach Milliarden von Gesichtsbildern und erstellt daraus eine durchsuchbare Datenbank, die an Strafverfolgungsbehörden weltweit verkauft wird.

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Das Unternehmen argumentierte, als US-Firma mit ausländischen Kunden unterfalle es nicht dem britischen Datenschutzrecht. Das Tribunal wies diese Auffassung zurück. Es bestätigte, dass die Verarbeitung von Daten britischer Bürger als „Verhaltensüberwachung“ nach Artikel 3 der DSGVO einzustufen ist – und zwar unabhängig vom Sitz der Firma oder ihrer Kunden.

„Die Überwachung findet in dem Moment statt, in dem die Daten zur Erstellung eines Verhaltensprofiles verarbeitet werden“, so die Richter. Diese Auslegung setzt einen wichtigen Präzedenzfall. Juristen der Kanzlei Gowling WLG kommentieren: „Die Entscheidung unterstreicht das regulatorische Risiko, personenbezogene Daten von Bürgern außerhalb Europas nicht konform zu verarbeiten – selbst für Zwecke der Strafverfolgung.“

Neue Wendung: Berufung zugelassen, Signalwirkung bleibt

Die Schlacht ist jedoch noch nicht vorbei. Am 19. Dezember 2025 gewährte das Upper Tribunal Clearview AI die Erlaubnis, gegen das Urteil beim Court of Appeal, dem höheren Berufungsgericht, vorzugehen. Damit ist die endgültige Durchsetzung einer Geldbuße von umgerechnet 8,8 Millionen Euro, die die britische Aufsichtsbehörde ICO bereits 2022 verhängt hatte, vorerst ausgesetzt.

Doch die grundsätzliche Rechtsauffassung des Tribunals bleibt bestehen und entfaltet bereits jetzt Wirkung. „Das Urteil gibt Menschen in Großbritannien größeres Vertrauen, dass wir handeln werden – unabhängig davon, wo das Unternehmen sitzt“, sagte der britische Datenschutzbeauftragte John Edwards. Die Zulassung der Berufung sei ein Verfahrensschritt, der die substanzielle Feststellung nicht infrage stelle, so Datenschutzaktivisten.

Europäische Offensive: Koordinierte Schläge gegen Biometrie-Riesen

Der britische Fall ist Teil einer europaweiten Offensive gegen Clearview AI. Obwohl das Land die EU verlassen hat, ist die „UK DSGVO“ in puncto territorialer Reichweite identisch mit der EU-Verordnung. Das Urteil wird daher in Brüssel und den nationalen Hauptstädten genau beobachtet.

Die Niederlande gingen bereits härter vor: Die dortige Aufsichtsbehörde verhängte im September 2024 eine endgültige und unanfechtbare Geldbuße von 30,5 Millionen Euro gegen Clearview. Die Begründung: Aufbau einer „illegalen Datenbank“. Zudem drohte die Behörde damit, die Geschäftsführer persönlich haftbar zu machen – eine deutliche Eskalation der Durchsetzungsmethoden.

In Österreich erhöhte die Digitalrechte-Gruppe NOYB im Oktober 2025 den Druck weiter. Sie erstattete Strafanzeige gegen Clearview, um über das Strafrecht Durchsetzung zu erreichen, wo Verwaltungsstrafen ignoriert wurden.

Was bedeutet das für die Tech-Branche?

Die Bestätigung der extraterritorialen Reichweite der DSGVO hat tiefgreifende Folgen für die globale KI- und Tech-Branche. Das Argument einer „souveränen Immunität“ – also der Befreiung von Regeln, weil man für ausländische Regierungen arbeite – verliert vor europäischen Gerichten an Überzeugungskraft.

Die zentralen Erkenntnisse für Unternehmen:
* Kein sicherer Hafen: Ein Firmensitz außerhalb der EU/UK oder ausschließlich ausländische Kunden schützen nicht vor DSGVO-Pflichten.
* Weite Definition: Schon die Erstellung durchsuchbarer Profile aus öffentlichen Daten kann die DSGVO auslösen, auch ohne direkte Ansprache von Personen.
* Scharfe Zähne: Aufsichtsbehörden sind zunehmend bereit, hohe Geldbußen zu verhängen und auf persönliche Haftung von Führungskräften zu pochen.

Während der Fall 2026 vor dem Court of Appeal verhandelt wird, herrscht in der Branche Unsicherheit. Sollte das Urteil des Upper Tribunal bestätigt werden, würde es eine rechtliche Firewall um die biometrischen Daten europäischer Bürger zementieren. Nicht konforme Überwachungsfirmen wären damit faktisch vom digitalen Boden des Kontinents ausgeschlossen. Die Botschaft der Gerichte ist bereits jetzt klar: Digitale Grenzen sind ebenso durchsetzbar wie physische – und der Arm der DSGVO reicht lang genug über den Atlantik.

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