Steuerfreie Überstunden: Großer Plan, kleine Wirkung
05.12.2025 - 17:51:12Die Bundesregierung wollte mit steuerfreien Überstundenzuschlägen den Arbeitsmarkt beleben. Doch eine neue ifo-Studie zertrümmert diese Hoffnungen regelrecht: Die Reform würde kaum neue Jobs schaffen, gleichzeitig aber Millionen an Steuereinnahmen kosten. Was nach einem cleveren Anreiz klang, entpuppt sich als fiskalisches Luftschloss.
Berlin/München – Die Rechnung schien einfach: Wer mehr arbeitet, soll mehr Netto vom Brutto bekommen. Mit steuerfreien Überstundenzuschlägen wollte die Koalition aus Union und SPD den Fachkräftemangel bekämpfen und gleichzeitig einen Wachstumsimpuls setzen. Doch die Realität dürfte den politischen Hoffnungen einen Strich durch die Rechnung machen.
Eine am Freitag veröffentlichte Studie des ifo Instituts kommt zu einem ernüchternden Ergebnis: Die geplante Maßnahme würde lediglich 3.000 bis maximal 12.000 neue Vollzeitäquivalente schaffen. Bei knapp 46 Millionen Erwerbstätigen in Deutschland fällt dieser Effekt kaum ins Gewicht. Gleichzeitig müsste der Fiskus mit Mindereinnahmen zwischen 11 und 45 Millionen Euro rechnen.
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„Unterm Strich hätte die geplante Reform kaum Effekte auf Beschäftigung, Steueraufkommen und Wachstum”, fasst ifo-Forscher Volker Meier die Ergebnisse zusammen. Damit steht die Untersuchung in direktem Widerspruch zu den Erwartungen der Regierung, die das Vorhaben im April als zentrales Instrument gegen den Arbeitskräftemangel präsentiert hatte.
Warum verpufft der Anreiz? Die Antwort liegt in der deutschen Arbeitswelt. Die meisten Überstunden werden gar nicht ausgezahlt, sondern über Arbeitszeitkonten ausgeglichen – und genau hier liegt das Problem.
Die ifo-Daten für 2024 zeigen ein klares Bild: 71 Prozent der geleisteten Überstunden landen auf Freizeitkonten statt auf dem Gehaltszettel. Rund 3,1 Millionen Beschäftigte betrifft das. Für diese Stunden greift die Steuerbefreiung von vornherein nicht. Weitere 19 Prozent der Mehrarbeit werden gar nicht vergütet.
Lediglich 16 Prozent der Beschäftigten – etwa 688.000 Menschen – erhalten ihre Überstunden direkt ausbezahlt und könnten somit theoretisch profitieren. Doch selbst bei ihnen fällt der Effekt bescheiden aus. „Durchschnittlich ist bei den betroffenen Vollzeitbeschäftigten mit sieben Überstunden pro Woche zu rechnen. Die Steuerbefreiung wird ihre wöchentliche Arbeitszeit im Mittel allerdings nur um etwa eine halbe Stunde erhöhen”, erklärt Studienautor Leander Andres.
Der finanzielle Anreiz ist schlicht zu schwach für eine massive Verhaltensänderung. Hinzu kommt: Da nur Zuschläge auf die Überstundenvergütung steuerfrei gestellt werden sollen – begrenzt auf 25 Prozent des Grundlohns –, während der Grundlohn selbst steuerpflichtig bleibt, schmilzt der Netto-Vorteil weiter dahin.
Wissenschaft schlägt Alarm
Die ifo-Studie, in Auftrag gegeben von der Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft (INSM), ist nicht die erste warnende Stimme. Bereits im Oktober hatten das Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) und das Wirtschafts- und Sozialwissenschaftliche Institut (WSI) ähnliche Schwachstellen aufgezeigt.
Das IAB warnte vor einer Verschärfung der Ungleichheit: Da Männer deutlich häufiger in Vollzeit arbeiten und bezahlte Überstunden leisten als Frauen, würde die Reform bestehende Einkommensunterschiede zwischen den Geschlechtern zementieren. Frauen in Teilzeit wären weitgehend ausgeschlossen, da die Regelung erst greift, wenn die reguläre Vollzeitarbeitszeit überschritten wird.
Auch das WSI kam zu dem Schluss, dass vor allem Gutverdiener profitieren würden, während Beschäftigte im Niedriglohnsektor leer ausgehen. Die ifo-Zahlen untermauern diese Bedenken nun mit harten ökonomischen Fakten: Viel Aufwand, wenig Wirkung – und das auch noch sozial ungerecht verteilt.
Koalition unter Zugzwang
Für Union und SPD kommt die Veröffentlichung zur Unzeit. Das “Wachstumschancengesetz 2.0” sollte eigentlich ein Befreiungsschlag für die stagnierende deutsche Wirtschaft werden. Wer mehr leistet, soll mehr Netto haben – ein Versprechen, das in beiden Parteien auf Zustimmung stieß.
Doch die Datenlage zwingt zum Umdenken. Wirtschaftsverbände fordern zunehmend breitere Entlastungen bei der Einkommensteuer statt komplizierter Sonderregelungen, die zusätzlichen bürokratischen Aufwand in der Lohnabrechnung bedeuten. Auch eine Flexibilisierung der Arbeitszeitgesetze steht häufiger im Raum.
Die Gewerkschaften sehen sich bestätigt. Der DGB hatte bereits früh kritisiert, dass steuerfreie Überstunden falsche Anreize setzen und die Gesundheit der Beschäftigten gefährden könnten. Die Befürchtung: Reguläre Stellen werden nicht besetzt, stattdessen wird die Arbeitslast auf die vorhandene Belegschaft abgewälzt. Wenn der Beschäftigungseffekt tatsächlich so marginal ausfällt wie prognostiziert, dient die Maßnahme eher der Mitnahme durch Besserverdienende als der Mobilisierung neuer Arbeitskraft.
Drei mögliche Wege aus dem Dilemma
Bis Jahresende will die Regierung die Details des Gesetzentwurfs finalisieren. Drei Szenarien sind denkbar:
Option eins: Die Bemessungsgrundlage wird erweitert. Eine Ausweitung auch auf Teilzeitkräfte könnte die Gerechtigkeitslücke schließen – würde aber die ohnehin schon angespannte Haushaltslage weiter belasten.
Option zwei: Statt ausgezahlter Überstunden werden Zeitguthaben steuerlich begünstigt. Das würde mehr Beschäftigte erreichen, widerspricht aber dem eigentlichen Sinn von Arbeitszeitkonten als Flexibilisierungsinstrument.
Option drei: Die Koalition lässt das Vorhaben fallen. Angesichts der prognostizierten Wirkungslosigkeit wäre das die ehrlichste Variante – allerdings auch ein politisches Eingeständnis des Scheiterns.
In den anstehenden parlamentarischen Beratungen wird die ifo-Studie zweifellos als gewichtiges Argument dienen. Klar ist seit Freitag: Der erhoffte einfache Hebel für mehr Wachstum erweist sich bei genauerem Hinsehen als stumpfes Schwert. Die Frage ist nun, ob die Regierung den Mut hat, ihre Strategie zu überdenken – oder ob sie an einem Vorhaben festhält, das wissenschaftlich bereits durchgefallen ist.
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