Nordkirche, Präventionsrecht

Nordkirche verschärft Präventionsrecht – Bayern plant Stellenabbau

22.11.2025 - 10:51:11

Die evangelische Kirche in Deutschland steht vor einem Spagat: Während die Nordkirche ihre Arbeitsrechtspflichten im Bereich Gewaltprävention massiv ausweitet, bereitet sich Bayern auf drastische Sparmaßnahmen vor. Für Kirchenmitarbeiter und ihre Vertretungen bedeuten beide Entwicklungen tiefgreifende Veränderungen – die eine Region setzt auf mehr Kontrolle, die andere auf weniger Personal.

Die Landessynode der Nordkirche hat heute in Lübeck-Travemünde ihre dreitägige Herbsttagung abgeschlossen. Im Mittelpunkt stand die Verschärfung des kirchlichen Präventionsrechts. Zeitgleich lädt morgen die Evangelisch-Lutherische Kirche in Bayern (ELKB) zur Synode nach Amberg – dort geht es um die Strategie bis 2035 und damit um die Zukunft tausender Arbeitsplätze.

Die 156 Synodalen in Lübeck haben eine umfassende Novelle des Präventionsgesetzes auf den Weg gebracht. Das Gesetz setzt die sogenannte Anerkennungsrichtlinie der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) in regionales Kirchenrecht um – mit direkten Folgen für den Arbeitsalltag.

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Konkret bedeutet das: Alle Mitarbeitenden müssen künftig verpflichtende Schulungen zur Prävention sexualisierter Gewalt absolvieren. Erweiterte Führungszeugnisse werden zur Regelanforderung. Die Mitarbeitervertretungen (MAV) stehen vor der Aufgabe, diese neuen Anforderungen in bestehende Dienstvereinbarungen zu integrieren.

Was auf dem Papier wie eine bloße Formalie wirkt, verändert die Arbeitsbedingungen spürbar. Von der Gemeindebüro-Assistenz bis zur Kita-Leitung: Niemand wird ausgenommen. Die Kirche will eine “Kultur der Achtsamkeit” nicht nur predigen, sondern arbeitsrechtlich durchsetzen.

Flankiert werden die Präventionsregeln durch überarbeitete Richtlinien kirchlichen Handelns. Diese Grundsatzdokumente verknüpfen theologische Maximen mit konkreten Verhaltensanforderungen im Beschäftigungsverhältnis. Das Ergebnis: Kirchliches Arbeitsrecht entwickelt sich zum zentralen Instrument der Missbrauchsbekämpfung.

Neue Kirchenleitung für Reformkurs gewählt

Bereits am Donnerstag hatten die Synodalen eine neue Kirchenleitung bestimmt. Das 13-köpfige Gremium fungiert als Exekutive zwischen den Synoden – und entscheidet damit über Ressourcenverteilung und Stellenpläne.

Landesbischöfin Kristina Kühnbaum-Schmidt verabschiedete die ausscheidenden Mitglieder und führte die Neuen ins Amt ein. Die Zusammensetzung gilt als ausgewogen: Theologen und Nichttheologen sollen gemeinsam den anstehenden Strukturwandel gestalten.

Für die MAV ist diese Personalentscheidung von hoher Relevanz. Die Kirchenleitung bestimmt letztlich, welche Reformprojekte Priorität erhalten – und wo gespart wird. Die gewählten Vertreter setzen nach eigenen Angaben auf “behutsame Modernisierung” statt radikale Einschnitte.

Ein historischer Exkurs rundete die Tagung ab: Unter dem Titel “Gemeinsame Vergangenheit – Geteilte Verantwortung” diskutierten die Synodalen die Aufarbeitung der DDR-Geschichte. Der Rückblick diente auch der Selbstvergewisserung: Welche Identität will die Nordkirche bewahren, während sie sich strukturell wandelt?

Mitbestimmung im Fokus der Politik

Die Beschlüsse von Lübeck fallen in eine Phase verstärkter politischer Aufmerksamkeit für kirchliches Arbeitsrecht. Anfang November trafen sich Vertreter der Zentralen Arbeitsrechtlichen Kommission – Mitarbeiterseite (ZAK-MAS) mit Bundespolitikern, um über Unternehmensmitbestimmung in kirchlichen Einrichtungen zu sprechen.

Der sogenannte “Dritte Weg” der kirchlichen Arbeitsbeziehungen steht auf dem Prüfstand. Kritiker bemängeln, dass Beschäftigte gegenüber Arbeitnehmern in der Privatwirtschaft benachteiligt seien. Die Nordkirche will mit ihren Reformen beweisen, dass verschärfte Compliance und echte Partizipation vereinbar sind.

Für die MAV bedeutet das Gelegenheit und Risiko zugleich. Einerseits stärken die neuen Präventionsvorschriften ihre Position als Wächter der Arbeitsbedingungen. Andererseits droht der administrative Aufwand die Kapazitäten zu überfordern – gerade in kleineren Verwaltungseinheiten.

Bayern bereitet Kahlschlag vor

Während im Norden noch Hoffnung auf ausgewogenen Wandel herrscht, droht in Bayern harter Sparkurs. Die Landessynode der ELKB beginnt morgen in Amberg mit einem Programm, das Mitarbeitervertretern schlaflose Nächte bereitet.

Im Zentrum stehen die Strategie 2035 und der Haushalt 2026. Hinter den sperrigen Begriffen verbirgt sich eine simple Realität: Sinkende Mitgliederzahlen bedeuten weniger Kirchensteuer – und damit weniger Stellen.

Drei Kernthemen bestimmen die viertägige Beratung:

Verwaltungsreform: Vorschläge zur Zusammenlegung von Verwaltungseinheiten liegen auf dem Tisch. Was technokratisch klingt, bedeutet konkret: Stellenbeschreibungen werden neu geschrieben, Zuständigkeiten verschoben, Arbeitsplätze gestrichen.

Stellenplan 2026: Das Budget bestimmt, wie viele Vollzeitstellen die bayerische Kirche sich künftig leisten kann. Die Zahlen werden erst während der Synode veröffentlicht, durchgesickerte Entwürfe deuten jedoch auf erhebliche Kürzungen hin.

Digitalisierung: Investitionen in IT-Infrastruktur sollen Effizienzgewinne bringen. Die Kehrseite: Klassische Verwaltungsaufgaben werden automatisiert, die betroffenen Mitarbeitenden müssen sich umschulen oder neue Tätigkeitsfelder finden.

Vergleich mit säkularen Arbeitgebern

Der Kontrast zu weltlichen Großorganisationen fällt auf. Während Konzerne wie SAP oder die Telekom bei Restrukturierungen auf Sozialpläne und Transfergesellschaften setzen, fehlen solche Instrumente im kirchlichen Arbeitsrecht weitgehend.

Die MAV verfügt zwar über Anhörungsrechte bei Stellenabbau, echte Mitbestimmung wie in Betriebsräten existiert jedoch nicht. Der “Dritte Weg” erweist sich in der Krise als Einbahnstraße – zumindest aus Sicht der Beschäftigten.

Gleichzeitig verschärft die Nordkirche ihre Anforderungen an bestehende Mitarbeiter. Die Frage drängt sich auf: Wie soll ein schrumpfender Apparat steigende Compliance-Lasten bewältigen?

Spagat zwischen Anspruch und Realität

Die beiden Synoden dieses Wochenendes verkörpern das Dilemma der evangelischen Kirche in Deutschland 2025: Mehr Kontrolle bei weniger Ressourcen.

Im Norden will man zeigen, dass die Kirche ihre Hausaufgaben in Sachen Missbrauchsprävention macht. Die neuen Gesetze sind umfassend, die Anforderungen hoch. Ob die Strukturen ausreichen, um das ambitionierte Programm umzusetzen, wird sich zeigen.

Im Süden dominiert die nackte Notwendigkeit. Bayern muss sparen – die Frage lautet nur noch, wie schmerzhaft der Einschnitt wird. Die Strategie 2035 zielt auf eine “verschlankte, zukunftsfähige Kirche”. Für viele Beschäftigten dürfte vor allem das erste Adjektiv relevant sein.

Die Mitarbeitervertretungen stehen vor ihrer bisher größten Bewährungsprobe. Sie müssen gleichzeitig neue Schutzstandards implementieren und Arbeitsplätze verteidigen. Ein Balanceakt, der kaum zu gewinnen ist – besonders nicht, wenn die rechtlichen Instrumente begrenzt sind.

Die Beschlüsse aus Amberg werden in den kommenden Tagen erwartet. Sie könnten richtungsweisend für alle Landeskirchen werden. Denn das bayerische Problem ist kein regionales: Überall in Deutschland schrumpft die evangelische Kirche. Die Frage ist nur, wer als Erster den Mut aufbringt, die Konsequenzen auszusprechen.

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