EU-Aufsicht, WhatsApp

Meta unter EU-Aufsicht: WhatsApp wird zum KI-Zankapfel

04.12.2025 - 17:31:12

Die Europäische Kommission hat ein förmliches Kartellverfahren gegen Meta eingeleitet. Der Vorwurf: Der Konzern missbraucht seine Marktmacht bei WhatsApp, um konkurrierende KI-Anbieter systematisch auszusperren. Was steckt dahinter – und warum könnte diese Untersuchung die Zukunft der künstlichen Intelligenz in Europa prägen?

Am Donnerstag verkündete Brüssel die Eröffnung des Verfahrens, das sich auf Metas jüngste Änderungen bei WhatsApp Business konzentriert. Die Wettbewerbshüter vermuten: Meta blockiert gezielt Drittanbieter-Chatbots, während der eigene KI-Assistent „Meta AI” bevorzugt wird. Italien ist von der Untersuchung ausgenommen – dort läuft bereits ein paralleles nationales Verfahren.

Im Oktober 2025 führte Meta eine folgenreiche Änderung für die „WhatsApp Business Solution” ein. Diese Schnittstelle ermöglicht es Unternehmen, mit Kunden in großem Umfang zu kommunizieren – und hat sich längst zur kritischen Infrastruktur für den Kundenservice entwickelt.

Die neuen Nutzungsbedingungen enthalten jedoch eine brisante Klausel: Drittanbieter dürfen die WhatsApp Business API nicht mehr nutzen, wenn ihr Hauptgeschäft das Angebot von KI-Chatbots oder allgemeiner künstlicher Intelligenz ist. Zwar können Unternehmen KI weiterhin für „Nebenaufgaben” wie einfache automatisierte Antworten einsetzen. Eigenständige KI-Assistenten – etwa von OpenAI oder Anthropic – sind jedoch faktisch verboten.

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„Wir prüfen, ob Metas neue Richtlinie gegen Wettbewerbsregeln verstößt und ob wir schnell handeln müssen, um irreparablen Schaden für den Wettbewerb im KI-Bereich zu verhindern”, erklärte Teresa Ribera, Exekutiv-Vizepräsidentin der EU-Kommission für Wettbewerbspolitik.

Die Befürchtung der Regulierer: Meta schafft einen „eingezäunten Garten”, in dem der eigene KI-Assistent – tief in die Verbraucher-Version von WhatsApp integriert – ohne interne Konkurrenz operiert. Da WhatsApp für Millionen Europäer das zentrale Kommunikationsmittel darstellt, könnte der Ausschluss rivalisierender KI-Firmen den entstehenden Markt für Konversations-KI dauerhaft verzerren.

Meta weist Vorwürfe zurück: „Technische Notwendigkeit”

Der Konzern konterte prompt und bezeichnete die Vorwürfe als „unbegründet”. Die Einschränkungen seien technischer, nicht wettbewerbswidriger Natur, so ein Unternehmenssprecher.

„Das Aufkommen von KI-Chatbots auf unserer Business API belastet unsere Systeme in einer Weise, für die sie nicht konzipiert wurden”, erklärte Meta. Die WhatsApp Business API sei für transaktionale Updates und Kundenservice entwickelt worden – nicht für die hohen Datenmengen, die universelle KI-Assistenten erzeugen.

Zudem betonte Meta, der KI-Markt bleibe robust und hochgradig wettbewerbsorientiert. „Menschen haben auf verschiedensten Wegen Zugang zu den Diensten ihrer Wahl – über App Stores, Suchmaschinen, E-Mail-Dienste und Betriebssysteme.”

Doch Kritiker sehen das anders: Das Timing der Richtlinie – genau während Meta seine eigenen KI-Funktionen massiv über Instagram, Facebook und WhatsApp ausrollt – deutet auf eine strategische Offensive hin. Ziel dürfte sein, den Markt für Konversations-KI zu erobern, bevor Wettbewerber in der weltweit beliebtesten Messaging-App Fuß fassen können.

Die „Italien-Ausnahme” und das rechtliche Schlachtfeld

Ungewöhnlich: Die EU-Untersuchung erstreckt sich auf den gesamten Europäischen Wirtschaftsraum – mit Ausnahme Italiens. Diese Ausnahme soll Konflikte mit laufenden Ermittlungen der italienischen Wettbewerbsbehörde (AGCM) vermeiden.

Die italienischen Regulierer starteten bereits im Juli 2025 eine eigene Untersuchung zu Metas KI-Integration in WhatsApp und der Handhabung von Nutzerdaten für KI-Training. Im November wurde das Verfahren erweitert, um auch die Blockade rivalisierender Chatbots zu prüfen. Durch den Ausschluss Italiens vermeidet Brüssel eine „doppelte Verfolgung” und gewährleistet Rechtssicherheit.

Interessant: Die Untersuchung läuft unter traditionellem EU-Kartellrecht (Artikel 101 und 102 AEUV), nicht unter dem neueren Digital Markets Act (DMA). Während der DMA eine Checkliste von Ge- und Verboten für Gatekeeper vorgibt, erlauben klassische Kartellverfahren eine flexiblere, fallspezifische Analyse von Marktmachtmissbrauch. Diese Wahl des Rechtsinstruments signalisiert: Die Kommission sieht den mutmaßlichen Verstoß als eigenständigen, sich entwickelnden Schaden, der einen maßgeschneiderten Ansatz erfordert.

Hohe Einsätze: Strafen und „Sofortmaßnahmen”

Für Meta steht viel auf dem Spiel. Bei einem Schuldspruch drohen Bußgelder von bis zu zehn Prozent des weltweiten Jahresumsatzes. Noch beunruhigender dürfte für den Konzern jedoch sein, dass die Kommission „Sofortmaßnahmen” erwägt.

Sofortmaßnahmen sind ein seltenes, aber mächtiges Instrument: Sie ermöglichen es den Regulierern, ein umstrittenes Verhalten zu stoppen, während die Untersuchung noch läuft. Meta könnte gezwungen werden, seine Richtlinienbeschränkungen sofort auszusetzen – ohne auf ein jahrelanges Verfahren zu warten.

„Wir müssen sicherstellen, dass europäische Bürger und Unternehmen voll von dieser technologischen Revolution profitieren können, und verhindern, dass dominante digitale Platzhirsche ihre Macht missbrauchen, um innovative Wettbewerber zu verdrängen”, betonte Ribera.

Der Zeitplan verschärft den Druck: Für Drittanbieter, die WhatsApp bereits vor der Oktober-Ankündigung nutzten, tritt das vollständige Verbot am 15. Januar 2026 in Kraft. Das gibt der Kommission nur ein enges Zeitfenster von sechs Wochen, um über Sofortmaßnahmen zu entscheiden – falls sie bestehende Dienste vor Störungen bewahren will.

Wegweisender Kampf um die KI-Verteilung

Diese Untersuchung markiert eine neue Front im EU-Kampf gegen Big Tech: die Verteilungsebene künstlicher Intelligenz. Während KI-Modelle zunehmend zur Massenware werden, verlagert sich das Schlachtfeld dorthin, wo Nutzer auf diese Modelle zugreifen. Messaging-Apps mit ihrer hohen Nutzerbindung und natürlichen Gesprächsschnittstelle gelten als Premiumstandort für die nächste Generation von KI-Assistenten.

Branchenanalysten spekulieren: Sollte Meta gezwungen werden, WhatsApp für konkurrierende KI-Bots zu öffnen, könnte sich die App zu einer „Super-App”-Plattform ähnlich WeChat in China entwickeln – allerdings mit einem vielfältigen Ökosystem von KI-Anbietern statt einem dominanten Akteur. Setzt sich Meta hingegen durch, könnte WhatsApp zur exklusiven Domäne des eigenen KI-Ökosystems werden und die Führungsposition im Consumer-KI-Bereich auf Jahre zementieren.

Kein Wunder also, dass die Branche gebannt nach Brüssel blickt. Mit der Januar-Deadline vor Augen dürften die kommenden Wochen intensive juristische Manöver bringen – Meta wird versuchen, seine technischen Beschränkungen zu rechtfertigen, während ein entschlossener Regulierer den KI-Markt offen halten will.

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